Maikundgebung

Arbeitskampf der Bienen
von am 1. Mai 2011 veröffentlicht in featured, Soziale Bewegungen

Die traditionelle Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes vor dem Gänseliesel stand in diesem Jahr ganz im Zeichen der miesen Arbeitsbedingungen im Einzelhandel. Mehrere hundert Menschen fanden sich am Sonntagmittag in der Innenstadt ein, um „faire Löhne, gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ einzufordern.

Als fleißige Bienchen verkleidet stehen etwa 20 Angestellte aus dem südniedersächsischen Einzelhandel auf der DGB-Bühne vor dem alten Rathaus. Sie machen ihrem Ärger musikalisch Luft. „Und wir im Handel, ja wir wollen jetzt mehr Kohle. Freizeit, Würde, Lohn und noch mehr Kohle“, trällern sie zur Melodie des Titelsongs von Biene Maja. „Kooohle, sie regiert die Welt. Kooooohle ist das was uns fehlt…“

Eigentlich mangelt es den Beschäftigten an viel mehr als nur an Geld. Die Arbeitsbedingungen, von denen die Discounter-Angestellten berichten, sind offenbar katastrophal. „Es herrscht ungeheurer Arbeitsdruck, sodass Ruhezeiten, Pausen und das Verbot, unbezahlte Überstunden zu machen, gar nicht eingehalten werden“, beklagt Göttingens Verdi-Sekräterin für den Bereich Handel, Katharina Wesenick.


Verdi-Sekretärin Katharina Wesenick (Mitte)

„Die Hälfte der Beschäftigten wird schon nicht mehr nach Tarif bezahlt, sondern bekommt Löhne zwischen 5 und 8 Euro“ sagt sie, obwohl den Angestellten teils über 13 Euro in der Stunde zustünden. „Diejenigen, die noch nach Tarif bezahlt werden, werden systematisch rausgemobbt“, berichtet die Gewerkschafterin. Einige würde das sogar psychisch krank machen.

Angestellte von Netto, Schlecker, Edeka und Karstadt stehen auf der DGB-Bühne und fordern bessere Arbeitsbedingungen ein. Es soll der Auftakt für eine öffentlichkeitswirksame Kampagne sein. Für den 14. Mai kündigen sie eine Kundgebung vor der Netto-Filiale in der Prinzenstraße an.


Detlef Athing bei seiner Mairede

Verantwortlich für diese miesen Bedingungen sind die Arbeitgeber, sagt Verdi-Landeschef Detlef Ahting in seiner Mairede. In der Wirtschaftskrise hätten Gewerkschaften gut mit ihren Kontrahenten zusammengearbeitet.Jetzt aber würden die Arbeitgeber wieder eine „knallharte Lobbypolitik für Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung“ machen, sagt er. „Damit sind sie verantwortlich für die Ausbreitung solcher Beschäftigungsverhältnisse, wie wir sie heute eben gerade geschildert bekommen haben.“ Auch deshalb stünde die Kundgebung unter dem Motto „für faire Löhne, für gute Arbeit, für soziale Gerechtigkeit.“

Athing spricht in seiner Rede weitere Themen an, wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union. Ab dem 1. Mai gilt diese auch für Staatsbürger osteuropäischer Länder wie Polen oder Litauen. „Wir begrüßen diese Freizügigkeit ausdrücklich“, sagt Athing, „aber wir erwarten eine sozial gerechte Freizügigkeit.“ Wo es keine allgemeinverbindlichen Tarifregelungen gäbe, gälten die Bestimmungen aus dem Herkunftsland der Beschäftigten. „Das kann nicht gut gehen“, findet Athing. Deshalb fordert er eine „anständige Bezahlung für alle, egal, wo man her kommt, egal, welchen Geschlechts.“ 8,50 Euro ist die Höhe des Mindestlohns, die ihm vorschwebt.


Lothar Hanisch

Eröffnet hat die Kundgebung der DGB Regionsvorsitzende Lothar Hanisch, der in seiner Rede darauf verwies, dass „Banker, Manager und Spekulanten“ über ihre Verhältnisse gelebt hätten, nicht „wir“.

Kommentar

Spätestens seit Beginn der so genannten Finanzkrise begibt sich der DGB auch in Göttingen in seiner Analyse der Verhältnisse in gefährliches Fahrwasser. „Spekulanten, Manager und Banker“ hätten über ihre Verhältnisse gelebt, nicht „wir“, sagt DGB-Südniedersachsen-Chef Lothar Hanisch. Wer genau eigentlich „wir“ sind und wodurch die sich von „Spekulanten, Managern und Bankern“ abgrenzen, lässt er unbeantwortet.

Zu befürchten steht, dass sich dahinter – bewusst oder unbewusst – die Aufteilung der Lohnarbeit in „schaffende“ und „raffende“ Tätigkeit verbirgt. Wir, die guten Arbeiter, ihr, die bösen Spekulanten. Die Schuld am kapitalistischen Elend bei den Akteuren der Finanzsphäre zu verorten, ist ein klassisch antisemitisches Motiv, dass es auch bei Linken gibt. Ganz ähnliche Töne hört man immer wieder von Neonazis. Auch die NPD schimpft und hetzt gegen „Börsenspekulanten“ und „Bankmanager“. Zufall? Wohl kaum.

Zur Erklärung der aktuellen Krisenphänomene taugen solche Äußerungen ohnehin nichts, sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Die Gesellschaft wird nicht dadurch gerechter, dass sich ein paar Banker am Riemen reißen – so einfach ist das nicht. Nun ist Hanisch wohl kein Antisemit und ganz bestimmt kein Nazi, wohl aber ist er ihnen rhetorisch näher, als es ihm lieb sein kann. Das sollte zu denken geben, ebenso wie der Fakt, dass diese und ähnliche Äußerungen bei den Maikundgebungen in Göttingen seit Jahren unwidersprochen bleiben und mit Applaus gewürdigt werden.

Natürlich bedeutet das nicht, dass viele der anderen Forderungen der Gewerkschaften nicht ihre Berechtigung hätten. Das haben sie zweifelsohne. Manchmal sollte man jedoch kritisch prüfen, ob man alles so stehen lassen kann, was da zwischen Bier und Bratwurstbude geäußert wird.

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4 Kommentare auf "Arbeitskampf der Bienen"

  1. retmarut sagt:

    Kurze Korrekturen:

    a) Im Song heisst es übrigens nicht „Freizeit, Würde, Lohn und noch mehr Kohle“, sondern Freizeit, Würde, Lob und noch mehr Kohle“, es geht also um 1. um ein Leben auch jenseits des Jobs (also gegen Anrufe aus dem Frei, für klare Wochenarbeitspläne etc.), 2. gegen unwürdige, erniedrigende Arbeitsbedingungen, 3. für eine Anerkennung der geleisteten Arbeit, 4. Auszahlung der Tariflöhne (einige langjährige Beschäftigte erhalten 6,50 bzw. 7,50 EUR statt ihnen zustehenden 13,20 EUR/Stunde; Netto hält sich flächendeckend schlicht gar nicht an den vertraglich ausgehandelten Tarif).

    b) Der ver.di Landesbezirksleiter (Chefs gibt’s bei Schlecker, Edeka und Netto, aber nicht bei der Gewerkschaft) heisst übrigens Ahting. – Vielleicht mal im Text vereinheitlichen.

    c) Die Spitze gegen Lothar Harnisch ist wirklich unterste Kanone. Klar gehören solche, gerade auch in gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen, aber eben auch linksradikalen/autonomen Kreisen weit verbreiteten Anschauungen kritisiert. Nicht Manager oder „Bankster“ sind das Problem, sondern der antagonistische Widerspruch liegt zwischen Kapital und Arbeit, also die Auseinandersetzung zwischen der bürgerlichen Klasse der Kapitalist_innen und der lohnabhängigen Klasse der Proletarier_innen. Und wer den kapitalismusimmanenten Klassenkampf nicht thematisieren will (oder ihn gar längst verschwunden wähnt), kommt halt schnell zu unreflektierten, kruden Betrachtungen. „Schaffendes“ vs. „raffendes“ Kapital ist solch eine, die von der deutschen Bourgeoisie im letzten Jahrhundert immer wieder gerne eingesetzt und von Kleinbürger_innen aufgegriffen wurde. Das „böse Kapital“ sei demnach immer die ausländische Bourgeoisie, die eigene wolle ja stets nur das Gute. So hat der deutsche Imperialismus zwei Weltkriege begründet – die ausländischen Imperialismen würden das arme Vaterland im Würgegriff halten, da müsse halt zum letzten Mittel (Vernichtungskrieg) gegriffen werden, blablubb.

    Klar, haben insb. Nazis solche Bilder im Kopf, wobei sich bei denen vulgärer Antikapitalismus eben mit rassistischer Ideologie und Herrenmenschentum mischt. – Jeden vulgär Antikapitalismus mit faschistischer Ideologie gleichzusetzen, ist nicht wirklich haltbar und auch wenig hilfreich. So gesehen halte ich den Kommentar für arg deplaziert und ziemlich unter der Gürtellinie, wenn ein sozialdemokratischer Gewerkschafter und Antifaschist hier mit Nazis verglichen wird.

    d) Dass so wenig Unmut kommt. liegt wohl weniger an „Bier und Bratwurstbude“, sondern daran, dass auf diese Rede kaum jemand hört, weil doch immer wieder der gleiche Mumpitz kommt (s.o.). Die guten Beiträge von den Kolleg_innen aus Netto, Schlecker, Edeka und der UMG fanden beim Publikum weitaus größeren Anklang und wurden mit großem Beifall versehen.

    PS: Wo war eigentlich die radikale Linke – wohl kaum alle in Bremen, Halle, Greifswald oder Heilbronn? Reale Arbeitskämpfe scheinen wohl nicht so sehr zu interessieren?

  2. apl sagt:

    „Das sollte zu denken geben, ebenso wie der Fakt, dass diese und ähnliche Äußerungen bei den Maikundgebungen in Göttingen seit Jahren unwidersprochen bleiben und mit Applaus gewürdigt werden.“

    So kritikwürdig seine Äußerung tatsächlich ist (viel eher hätte ich aber auch erwartet, dass auf das „Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland“ abgehoben wird) – was wirklich zu denken geben sollte ist mE, dass allem Anschein nach die emanzipatorische, autonome Linke sich entweder nicht dazu bequemen kann am 1. Mai auf die Straße zu gehen oder dem Demotourismus Richtung Bremen, Hamburg und Berlin frönt.

  3. Braiiins sagt:

    @retmarut
    Ich hätte das jetzt nicht als Nazi-Vergleich gelesen, sondern eher als „Eine Argumentation die mit Bankern und Spekulanten hantiert, bietet sich leider dafür an von Nazis vereinnahmt zu werden.“ Die lesen dann nur: „Hah, selbst der doofe linke DGB sagt mitlerweile, dass es die Zinsknechtschaft ist, die uns die Krise eingebrockt hat“. Naja und als Schlussfolgerung eben jene, dass wir als Linke vielleicht bei unseren Reden und Slogans das so abdichten müss(t)en in Theorie, Praxis und Vermittlung, dass uns da nicht irgendwelche Nazis in die Parade fahren und mithupen wollen, nur weil wir bei der Kritik des Kapitalismus bei Krise = Banker stehen bleiben.

    My two cents.

  4. ulf sagt:

    hier ein bericht von der hauptkundgebung des DGB in Kassel: http://de.indymedia.org/2011/05/306415.shtml

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