Ausbeuterische Bedingungen mittlerweile üblich

Bessere Arbeitsbedingungen bei Netto gefordert
von am 15. Mai 2011 veröffentlicht in Soziale Bewegungen

Endloses Anhäufen von Überstunden – wird erwartet. Ein nicht zu schaffendes Arbeitspensum – wird verlangt. Einspringen für nicht besetzte Stellen – eine „Selbstverständlichkeit“. Fürchterliche Arbeitsplatz-Ergonomie – muss im Wortsinn „ausgesessen“ werden. Die Arbeitsbedingungen beim zur Edeka-Kette gehörenden „Netto Markendiscount“ sind nicht anspruchsvoll, sie sind ausbeuterisch. Die Angestellten des Göttinger Innenstadt-Supermarkts haben deshalb am Samstag mit Unterstützung der Gewerkschaft verdi den Gang an die Öffentlichkeit gewagt.

Mit einer Kundgebung, Informationsständen und einer Menge Material versuchten die Angestellten, das Samstagspublikum in der Fußgängerzone direkt vor dem Supermarkt zu erreichen. Auch lokale Politiker_innen wie Oberbürgermeister Meyer, Bürgermeister Holefleisch, die Landtagsabgeordneten Andretta, Schminke und Humke zeigten sich solidarisch und erklärten das auch vor dem Mikrofon.

Die verdi-Sekretärin Katharina Wesenick, zuständig für den Bereich „Handel“, ließ bei der Kundgebung keine Illusionen aufkommen, dass es in anderen Supermärkten erheblich besser Arbeitsbedingungen gäbe. Auch dort gäbe es vergleichbar schlechte Arbeitsbedingungen. Aber die Angestellten könnten sich wehren: „Organisiert euch, wir unterstützen euch.“

Man spürt, dass sich die Angestellten alleingelassen fühlen. Mit zu viel Arbeit, mit schlechtem Arbeitsgerät und mit hochgeschraubten Anforderungen, für deren Einhaltung dann die Angestellten, nicht die Vorgesetzten verantwortlich gemacht werden. Im Gespräch mit der taz sprachen Angestellten von regelrechtem Psycho-Terror, von Schimpftiraden, die vor den Augen der Supermarktkunden zu ertragen waren. Hier in der Göttinger Fußgängerzone haben sie auf Kartons einige ihrer Probleme notiert – und das wenige, was sie sich vom Arbeitsplatz erwarten. Vieles davon erscheint sehr selbstverständlich: „bezahlter Urlaub“, „ergonomische Kassenstühle“. Dass das Wort „Psychoterror“ nicht übertrieben ist, zeigen Wünsche, die bei einem würdevollen Umgang mit den Angestellten selbstverständlich sein müssten: „Rücksicht“ oder „Respekt und Anerkennung“.

Im Gespräch erklärt Patrick Humke, Landtagsabgeordneter für die LINKE, dass es erschreckend sei, dass Menschen, die solche katastrophalen Verhältnisse bei der Arbeit ertragen, dann auch nicht mal vom Lohn wirklich leben können. Aber: „Das ist halt so im Kapitalismus. Und ich denke, dagegen muss immer wieder protestiert werden. Also von Arbeit muss man leben können, und wir wollen gerechte Arbeitsverhältnisse haben und nicht immer einen Sturz ins Prekariat.“

Der Gang an die Öffentlichkeit hat am Samstag funktioniert. Viele interessierte und solidarische Menschen lauschten der Kundgebung, viele Passanten ließen sich in Gesprächen informieren. Eine solche Veranstaltung allein bewirkt vielleicht noch nicht viel. Aber es ist zu hoffen, dass sich viele Menschen inspirieren lassen: Zu eigenen Protesten, wenn sie unter ähnlichen Arbeitsbedingungen leiden. Und zu einem kritischeren Bewusstsein auf der anderen Seite des Kassenbands. „Es wird auch Zeit, dass die Leute endlich mal wissen, wie es wirklich bei uns aussieht. Dass wir nicht immer nur nett und freundlich an der Kasse sind, sondern dass wir hintenrum richtig leiden müssen“, zieht eine Netto-Mitarbeiterin ein Fazit.

Autoren: Harvey und ottter

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2 Kommentare auf "Bessere Arbeitsbedingungen bei Netto gefordert"

  1. retmarut sagt:

    Auf Youtube gibt es noch einen NDR-Beitrag von der Protestaktion vor der Netto-Filiale. In selbigem Beitrag kommt auch noch ein Kollege zu Wort, der bis vor kurzem bei Netto in Göttingen gearbeitet hat und offen die Schweinereien anspricht, die Netto sich gegenüber den eigenen Arbeitnehmer_innen herausnimmt:
    http://www.youtube.com/watch?v=c0cGValOU9g

    Es wird übrigens nicht die letzte Aktion zu Netto im besonderen und zur Situation im Göttingen Einzelhandel allgemein sein. Dieses Jahr sind Tarifauseinandersetzungen im Einzelhandel. Dabei gilt es, die Kolleg_innen in den Betrieben bei ihren berechtigten Forderungen von außen (als Kund_innen) zu unterstützen!

  2. buenaventura sagt:

    Weitere Infos über die ver.di-Aktivitäten bei Netto gibt es hier: http://www.neulich-bei-netto.de

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