Prozess wegen falscher Aussagen

Freispruch für Polizisten
von am 19. August 2010 veröffentlicht in Politik, Polizei & Justiz, Titelstory

Die drei Polizisten aus Hannover, die wegen falscher Verdächtigung vor dem Amtsgericht angeklagt waren, wurden am Mittwoch freigesprochen. Sie waren wegen falscher Verdächtigung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, absichtlich falsch einen Journalisten belastet zu haben, um ein Verfahren gegen ihn in Gang zu setzen.

Zwölf Stunden Verhandlung endeten am frühen Nachmittag mit einer einstündigen Urteilsverkündung. Tenor: „Wir können bei der Zeugenaussage eines Polizeibeamten nicht jedes Wort auf die Goldwage legen.“ Richter Lars Malskies erklärte die objektiv festgestellte Falschaussage mit dem erheblichem Streß, in dem die Beamten gewesen seien.

Zu Grunde liegt eine Situation in der Göttinger Innenstadt im Mai 2006. Vor dem Bahnhof hatten sich Neonazis zu einer Kundgebung zusammen gefunden, die GöttingerInnen demonstrierten dagegen. Die drei Angeklagten führten fernab des Demonstrationsgeschehens Personalienkontrollen durch. Einer von ihnen warf einen Demonstranten aus Lüneburg unsanft zu Boden, woraufhin der Journalist S. einschritt. Aus Sorge um die Gesundheit des Lüneburgers wollte er den Beamten bremsen, der „wütend“ gewesen sei und „die Kontrolle verloren“ habe, wie S. vor Gericht sagte.

Die Polizisten hatten ausgesagt, S. habe durch Zerren an der Uniform des W. diesen von der Festnahme abhalten wollen. Einer der drei wollte sogar einen Tritt in den Rücken seines Kollegens gesehen haben. Deswegen wurde gegen den Journalisten ein Strafverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet, das mittlerweile mangels Aussicht auf Verurteilung eingestellt wurde.


Der Fall zog großes mediales Interesse auf sich

Ein Video zeigt ein anderes Bild der Situation. Darauf ist zu sehen, wie der Journalist den Polizisten kurz mit der flachen Hand berührte und gleich darauf wieder zurück wich. „Die Aussaggen der Angeklagten sind falsch“, sagte Oberstaatsanwalt Hans-Hugo Heimgärtner. „Davon haben wir uns auf dem Video objektiv überzeugen können.“

Das bestritten zuletzt nicht einmal mehr die Verteidiger der Polizisten. Uneins waren die Parteien sich darüber, ob die Beamten absichtlich falsche Angaben gemacht oder die Situation schlicht anders wahrgenommen hatten. Wie einer der Beamten im Prozess aussagte, hätten Polizisten in so einem Einsatz zum eigenen Schutz eine „eigene Wahrnehmung“ und könnten „keine hundertprozentige Aussage treffen.“ Entsprechend widersprachen sich die Angeklagten in ihren Aussagen auch im Detail.

„Alle diese Zeugenaussagen zeigen uns, wie schlecht Zeugen als Beweismittel sind“, kommentierte Richter Malskies in seiner Urteilsbegründung den Freispruch. Es sei den Beamten nicht nachzuweisen gewesen, dass sie vorsätzlich falsche Angaben gemacht hätten. Die Polizisten seien aufgrund der hohen Belastung an diesem Tag „körperlich und geistig nicht in dem Zustand, den wir uns von einem Zeugen wünschen würden“ gewesen, so der Richter. Zwar wäre die Maßnahme „sicher keine Sternstunde der Polizeiarbeit“ gewesen. „Aber wir können von Polizisten auch nicht immer Überdurchschnittliches erwarten“, sagte Malskies.

Die Rechnung der Angeklagten, ihre falschen Aussagen mit einer Göttinger Drohkulisse zu begründen, ging auf. Hier käme es bei Demonstrationen immer zu Ausschreitungen des „militärisch agierenden“ schwarzen Blocks, Göttingen habe „erheblichstes Gewaltpotential“. Ganz abgekauft hatte Richter Malskies ihnen das dann doch nicht: „Göttingen ist nicht so!“, sagte er. „So würde ich mich wohl auf eine Reise in den Libanon vorbereiten, wie sie nach Göttingen kommen.“ Dennoch: die Beamten seien „erheblich im Streß“ gewesen, was eine mögliche Erklärung für die Falschaussagen sein könnte, so Malskies.

Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner hatte ein flammendes Plädoyer für den Rechtsstaat gehalten. „Wir müssen in die Richtigkeit der Angaben von Polizeibeamten vertrauen können“, sagte Heimgärtner. Das schlimmste, was den Strafverfolgungsbehörden passieren könne, sei eine eine falsche Anklage. Bei dem Journalisten entschuldigte er sich dafür. Heimgärtner forderte für die drei Angeklagten jeweils vier Monate Haft auf Bewährung. Den Freispruch wollte er nicht kommentieren. Ob er Rechtsmittel dagegen einlegen werde, ließ er offen.

Die Zuschauer*innen der Verhandlung wurden am Eingang zum Gerichtsgebäude auf mitgeführte Metallgegenstände untersucht. Ein Beamter des Göttinger Staatsschutzes beobachtete die Gäste vor dem Saal und nahm auch an der Urteilsverkündung teil.

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11 Kommentare auf "Freispruch für Polizisten"

  1. boah... sagt:

    boah…was für eine überraschung!

  2. Harvey sagt:

    Interessant ist, dass es auch bürgerliche Empörung hierzu gibt. Die folgt in etwa Heimgärtners Argumentationslinie: Polizisten lügen nicht, und wenn doch, dann ist das individuelle Schuld. Niemand ist davor gefeit, seiner eigenen Wahrnehmung zum Opfer zu fallen. Dass das unter Stress schon mal passiert, sollte auch ganz klar sein. Und für viele Polizisten ist Göttingen halt „Fledermausland“: Wer hat nicht schon mal einigermaßen wirre Vorstellungen davon zur Kenntnis nehmen müssen, wie es mit Quantität und vor allem Qualität von politischer Kriminalität in Göttingen so stünde — schließlich drücken sich mit solcher Diskreditierung immer gern politisch Verantwortliche vor inhaltlicher Diskussion.

    Dass nun auch bürgerliche Stimmen empört reagieren deutet aber an, wo das eigentliche Problem sitzt: Dass nämlich wegen genau solcher, höchst zweifelhafter Aussagen regelmäßig von Justizseite Repressionen gefahren werden und mit dem vorgeblich objektiven Blick der Polizeibeamten begründet werden. Klar wäre es sicher auch irgendwo mal erheiternd sein, wenn dieser Apparat sich selbst zwerfleischt. Aber prinzipiell existiert ja das theoretische Konstrukt der Unschuldsvermutung. Heikel ist nur, dass es eben woanders deutlich enger ausgelegt wird. Dass die Polizisten hier systemkonform freigesprochen wurden ist eigentlich logische Konsequenz der Unschuldsvermutung.

    Heimgärtner hat als Ankläger ein direktes Interesse daran, dass es keine falschen Aussagen von Polizisten in solchen Zusammenhängen geben darf. Und der bürgerliche Protest zeigt auch, dass man ungern sein Vertrauen in die vermeindliche Objektivität der Polizei erschüttert sehen will. Ja, der ganze Protest diente wohl der Widerherstellung dieses Objektivitätskonstrukts. Polizeibeamte, die sich irren, existieren halt aber genauso, wie Polizeibeamte, die absichtlich – Corpsgeist & Co – sich absprechen und Personen falsch belasten. Der Übergang ist da sicher absolut fließend.

    Aber schon im nächsten Verfahren wegen Landfriedensbruch und/oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wird dann das Konstrukt des vermeintlich objektiv-verhältnismäßig agierenden Beamten wieder bemüht werden, um zu begründen, warum die nächsten Strafen verhängt werden. Allen berechtigten Zweifeln zum Trotz.

  3. Richterfreund sagt:

    Harvey wird wohl leider recht behalten, aber es wäre wirklich sehr schön sich in Zukunft auf die Aussage des Richters zurückziehen zu können:
    „Die Polizisten seien aufgrund der hohen Belastung an diesem Tag „körperlich und geistig nicht in dem Zustand, den wir uns von einem Zeugen wünschen würden“ gewesen, so der Richter.“
    Die Belastung wird sich ja kaum von anderen Demonstrationen (meinetwegen in Göttingen) unterschieden haben.

  4. Kokain sagt:

    Argh bei den ganzen selbsternannten Videospezialisten in der GT-Kommentarspalte läuft es einem ja kalt den Rücken runter

  5. Golo sagt:

    Die ganze scheinheilige Empörung, auch in der Presse, nervt nur noch!

    Da gibt es endlich mal ein Video, das zeigt, daß der Pressemann den Polizisten von hinten stößt. Es war also jedenfalls nicht „gar nichts“, wie der Pressemann immer behauptet.

    Eine andere Sache ist, ob das strafbar gewesen sein soll. Aber genau das – es war „gar nichts“ – haben später auch die Gerichte entschieden, und zwar auch und gerade schon aufgrund der Aussagen der Beamten. Der Pressemann wurde freigesprochen.

    Also warum ist der Pressemann überall das arme Opfer von Polizeigewalt? Weil er so schlau war, bei laufender Festnahme einen Beamten von hinten anzuschubsen und meinte, daß das toll ankommt und jeder weiß, was er will? Oder weil er Gericht fabulierte, er habe nur „leicht angetippt“ und wollte natürlich den Beamten keine Sekunde stören? Oder weil er schon mal Polizisten beißen wollte und dafür ne Geldstrafe kriegte? Oder weil andere angebliche „Belastungszeugen“ im Prozeß vom Pferd erzählen und hinterher kommt raus, die sind im Video zu sehen, mit dem Rücken zum Geschehen!!?

    Und der Staatsanwalt singt das Lied vom Rechtsstaat, obwohl er es doch selbst war, der den Pressemann damals angeklagt hat, obwohl (siehe oben) von vornherein nichts an der Sache dran war!! Und will immer für alles Freiheitsstrafe, für den Pressemann, die Beamten, für wen wohl noch?

    Und wenn ein Richter das alles ausspricht, und nach 12 Stunden Verhandlung (!) mal Klartext sagt, daß durchaus alle – Zeugen, Staatsanwalt und die Polizisten – in der Situation irren konnten, dann ist das natürlich ein Fehlurteil und steckt der „natürlich“ mit dem Polizeistaat unter einer Decke.

    Also nun mal runter fahren die ganze Empörung und mal zur Kenntnis nehmen, daß die Justiz unabhängig ist und für sie durchaus auch mal die Vermutung spricht, daß sie nur nach dem Gesetz urteilt.

  6. Harvey sagt:

    Das ist natürlich nur ne Randnotiz, dass der Einsatz gegen den Journalisten wohl auch recht unverhältnismäßig war. Ironie des Schicksals, dass sich dabei ein Polizist die Hand verletzt hat und mit der späteren Regressklage wegen der Arzt-/Krankeitsausfallkosten die ganze aktuelle Geschichte ins Rollen kam. Die Unverhältnismäßigkeit übrigens auch in jenem Zivilverfahren von Bedeutung gewesen, da sonst ja u.U. wegen Gegenwehr sogar die Arztkosten zu erstatten gewesen wären…
    Hat hier jemand was von „Fehlurteil“ geschrieben, oder warum kommst du so missionarisch daher (und dann auch noch mit implizierter Ablehnung von Kritik, á la „Empörung runterfahren“…)?
    Vielleicht magst du ja aber die Unabhängigkeit der Justiz auch gegen den Vorwurf verteidigen, höchst parteiisch mit der Gnade der Unschuldsvermutungsgewährung zu sein? _Der_ Eindruck besteht weiter, und das Urteil ändert nichts daran, sondern unterstreicht es.

  7. Golo sagt:

    Sorry, „missionarisch“ sollte nicht sein. Auf dieser Seite war wirklich nur wenig „lastig“. Aber in anderen Foren – da schreiben Sie offenbar auch – bleiben für den Prozeßbeobachter Fragen:
    Wie kann jeder das Geschehen mal so mal so interpretieren, obwohl man Eindeutiges mit eigenen Augen sehen kann? Was ist „bürgerlich“ oder „links“ an verzerrender Darstellung?
    Das Video wird veröffentlicht, und ein eindeutiger Stoß wird mit dem „Kommentar“ unterlegt, es sei nur „berührt“ worden. Zufällig sagt der betroffene Pressemann dasselbe: „leicht angetippt“, „leicht berührt“ usw. Ist das noch „Berichterstattung“ oder „Berichterfindung“ oder „Solidarität“? Schützt uns interessengeleitete Berichterstattung und Eingreifen ins Geschehen tatsächlich als „vierte Gewalt“?
    Was soll „Gnade“ an der Unschuldsvermutung sein? Das ist ein Grundrecht und steht auch Beamten zu.
    Welchen Beleg haben Sie für verallgemeinernde, dunkle Respektlosigkeiten vom „Eindruck“ oder „Unterstreichen“ parteiischen Umgangs mit der Unschuldsvermutung durch den Richter im vorliegenden Fall? Waren Sie dabei, oder war das nur wieder eine „allgemeine Meinungsäußerung“ wie in anderen Foren, von der man sich im Zweifelsfall schnell wieder distanzieren kann…?
    Und die Zivilrichter fanden es auch nicht toll oder „ironisch“, daß sich ein Beamter den Finger gebrochen hat. Sie fanden nur kein Verschulden des Pressemanns daran. Daß es „unverhältnismäßig“ gewesen wäre, die Personalien eines rempelnden „Pressevertreters“ aufzunehmen, der sich dagegen tätlich wehrt, spielte k e i n e Rolle. Und Zivil- und Strafgerichte haben bis heute kein Recht des Pressemanns finden können, Beamte zu schubsen.
    Es bleibt dem mündigen Bürger also nur, kritisch zu bleiben, und darauf zu bestehen, daß es eine unabhängige Berichterstattung gibt, die ihm Raum für eine eigene Meinung läßt. Daß ist hier – und das ist das einzige sträfliche an all dem Nebbich – vernachlässigt worden…

  8. Harvey sagt:

    Bisher wird sich hier in diesem Forum geduzt, also nicht übel nehmen, wenn ich es weiter so halte. Das vorweg sag ich zu deinem Sermon erstmal nur, dass ich das aktuelle und weitere Verfahren hier in Göttingen beobachtet habe oder Teil von ihnen war. Ich habe aus dem Mund eines Richters die Worte gehört „warum sollte der Polizeibeamte denn lügen?“ als es darum ging, politisches Handeln mit der Härte der Justiz zu „ahnden“. Dieses Verfahren hier gibt zumindest eine Antwort: Weil der Polizist sich einbildet, er sage die Wahrheit. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, reagieren nun autoritätsverliebte Konservative so, dass sie entweder kräftig Bestrafung der Polizisten fordern (damit zB der Staatsanwaltschaft die Illusion der Ausnahme erhalten bleibt) oder aber die Szene schönzureden versuchen, indem allerlei an den Bildern herumgedeutelt wird (was nicht zur Identität mit den falschen Aussagen führen wird).

    Wenn deine Wahrheit ist, dass der Journalist irgendwen so geschubst hat, dass das als Widerstand mit Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte im Rechtssinne war, dann leb‘ halt mit ihr, aber beschwer‘ dich nicht, dass es Leute gibt, die darin eher einen Akt der Zivilcourage sehen, der mit Gewalt schon gar nichts zu tun hat. Ich frage mich auch, was das konkret mit der Sache zu tun hätte. Die Polizisten haben sich hier nicht für ihren Einsatz zu verantworten, sondern dass sie halt hinterher Scheiße ausgesagt haben, die nichts mit der objektiven Wahrheit zu tun hat. Also sparen wir uns doch das alberne Geplänkel, in dem du das Recht der Polizisten verteidigen willst, sich gegen vermeintliche Angriffe zu verteidigen. Leben wir mit dem traurigen Gedanken, dass du wohl eher nicht eingreifst, wenn vor dir Polizisten jemanden mit Gewalt zu Boden bringen und es der Person offensichtlich körperlich nicht gut dabei geht.

  9. Golo sagt:

    Ok Harvey,

    also nicht Siezen, kein Respekt, alles Sermon, alles subjektive Wahrheit, wer anders denkt, hat keine Zivilcourage.

    Aber die Fragen, die beantworten Sie nicht. Witzig, nicht?

  10. Harvey sagt:

    Ja, ich amüsiere mich köstlich. Du willst mir doch nicht erzählen, dass Antworten auf deine rhetorischen Fragen irgendwohin führen würden, oder? Ich sehe bisher in deinen Kommentaren bloß einen leidlich intellektuellen Versuch, herumzutrollen. Schließlich überzeichnest du jede Abstraktheit zur Konkretheit und drehst einige Sätze so, dass sie scheinbar *deine* Empörung rechtfertigen, erklärst aber andere für empört und unterstellst „Eindeutigkeit“, wo keine ist. Glaub‘ nicht, dass ich angesichts dieser Voraussetzungen nun auch noch anfange, die losen Enden, die du „Fragen“ nennst, zu sortieren respektive zu beantworten. Worauf ich mich mit der Zivilcourage beziehe, sollte dir auch selbst klar werden, wenn du noch mal deinen ersten Kommentar liest.

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