Verfassungsschutz überwacht Grünen Aktivisten

„Es gibt kein Rezept gegen Spitzel“
von am 1. August 2012 veröffentlicht in Polizei & Justiz, Titelstory

Göttingen hat seinen nächsten Verfassungsschutz-Skandal: Nachdem im vergangenen Herbst bekannt wurde, dass der Journalist Kai Budler von dem Geheimdienst überwacht wird, trifft es jetzt ein Mitglied der Grünen Jugend. Der 25-jährige Student Jan Wienken will nächstes Jahr für die Grünen in den Landtag einziehen und hat gerade erfahren, dass der Verfassungsschutz eine Akte über ihn führt. Wir haben mit ihm gesprochen.

Hallo Jan. Der niedersächsische Verfassungsschutz führt eine Akte über dich und wir plaudern darüber jetzt im Facebook-Chat. Glaubst du, dass die Schlapphüte in Hannover gerade mitlesen?

Ich denke, wenn sie meine elektronischen Spuren folgen würden hätten sie gemerkt, dass ich im Oktober in Hildesheim auf der Landesmitgliederversammlung der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen gewesen bin und nicht auf der Demonstration „Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung“ in Göttingen, wie es in meiner Akte beim Verfassungsschutz steht. Von daher bin ich entspannt und achte zwar grundsätzlich auf Sicherheit im Netz, lasse mich aber nicht beunruhigen.

Fühlst du dich denn offline manchmal beobachtet? Oder lässt dich die Tatsache völlig kalt, dass sich ein Geheimdienst sich für dich interessiert?

Für mich ist der Beweis, dass es eine Akte gibt, nun vor allem eine Gewissheit. Zwar habe ich immer ein bisschen damit gerechnet eine Akte zu haben, bei einer politischen Betätigung im linken Spektrum bleibt es nicht aus. Problematisch ist grundsätzlich, welche Daten der Staat erhebt und speichert, die beiden echten Einträge kamen von der Polizei bzw. der Justiz. Der Verfassungsschutz hat diese beiden Datensätze zusammen geführt.

Was genau steht denn in deiner Akte?

Auf meiner Homepage jan-wienken.de habe ich Ausszüge veröffentlicht. Es wird von drei Einträgen berichtet: 1. Ein Platzverweis in Vechta 2006. 2. Die Erstürmung der Kohlekraftswerksbaustelle in Hamburg-Moorburg und 3. Die angebliche Teilnahme an der Demonstration „Solidarität mit der Freiheitsbewegung Kurdistans“ im Oktober 2011. Vielleicht sind auch weitere Einträge vorhanden, die mir jedoch mit dem Verweis auf Quellenschutz, oder Arbeitsmethoden vorenthalten werden.

Diese Verweigerung kann unter anderem bedeuten, dass der Verfassungsschutz einen Spitzel schützen will, der mit dir in Kontakt steht. Eine unangenehme Vorstellung: Sogar Freunde könnten eigentlich Feinde sein.

Ja in der Tat. Aber besonders in Göttingen arbeitet der Verfassungsschutz sehr engmaschig, da kann es leicht politisch Aktive, zum Beispiel in der GRÜNEN JUGEND, treffen. Das ist leider die Gefahr, dass es politischen Zusammenhängen Spitzel gibt. Ein Patentrezept dagegen gibt es leider nicht.

Überwachung in Göttingen

Im vergangenen Herbst wurde bekannt, dass der Journalist Kai Budler bei der Ausübung seines Berufes vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Er klagt mittlerweile vor dem Bundesverwaltungsgericht auf vollständige Akteneinsicht, vor dem Verwaltungsgericht Hannover auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Überwachung und beim Verwaltungsgericht Göttingen auf Löschung der Akteneinträge. Der Ausgang der Verfahren ist noch offen.
Auch der frühere Stadtradio-Mitarbeiter und heutige taz-Autor Felix Lee war in seiner Zeit in Göttingen ins Visier der Schlapphüte geraten.
Bereits 2001 hat das Anti Atom Plenum in seinen Reihen einen Polizei-Spitzel enttarnt.
Immer wieder gibt es Berichte über Rekrutierungsversuche des VS, zuletzt im März.

Der Verfassungsschutz sagt, er überwacht nur Mitglieder „extremistischer Gruppierungen“. Die Grüne Jugend Niedersachsen hat in der Zeit, als du ihr Sprecher warst, die Abschaffung des Kapitalismus gefordert. Man könnte auf die Idee kommen, dass sei verfassungsfeindlich.

Das Grundgesetz schreibt explizit keine Wirtschaftsordnung vor. Im Gegenteil, die Paragraphen über die Eigentumsverhältnisse beschreiben, dass die Produktionsmittel enteignet werden können und in staatlicher Hand bleiben. Im Zusammenhang mit der Extremismusdoktrin wurde das Eigentum zu einem gleichen Wert erhoben, wie Menschenrechte und der Schutz vor Rassismus, um beispielsweise gegen Hausbesetzer_innen vorzugehen. Das zeigt, auf welchem absurden Niveau diese Behörde angekommen ist

Wie bewertest du die Überwachung politisch? Offensichtlich muss man ja gar nicht so viel tun, um in das Visier des Geheimdienstes zu gelangen.

Ich bewerte die Diskussion um meine Verfassungsschutzakte positiv. Ein ehemaliges Gründungsmitglied der Grünen sagte in diesem Zusammenhang zu mir, dass es in Gründungsphase eine Ausnahme war, keine Verfassungsschutzakte zu haben und die meistens einen ganzen Aktenschrank füllten. Immerhin hat sich das Bewusstsein gegenüber der Verfassungsschutzbehörde soweit geändert, dass die Existenz einer Akte ein Skandal ist.

Generell muss über die Existenz der gesamten Behörde nachgedacht werden. Ist ein Geheimdienst mit einer Demokratie vereinbar? Eine Behörde die Geheimnisse sammelt um sie anderen staatlichen Institutionen zur Verfügung zu stellen, aber nicht der breiten Öffentlichkeit? Ich meine nicht. Zumal der politische Missbrauch durch die jeweiligen Regierungsparteien sehr einfach ist.

Geht deine Auseinandersetzung mit dem Geheimdienst nun weiter? Oder wirst du dir die Überwachung gefallen lassen?

Ich warte auf die Auseinandersetzung im Innenausschuss des Landtages. Die grüne Fraktion, zusammen mit der SPD und der Linken möchten Akteneinsicht erreichen und diesen Vorfall politisch aufklären. Falls sich der VS uneinsichtig zeigt, behalte ich mir eine Klage zur Offenlegung vor. Die Vergangenheit hat jedoch in vergleichbaren Fällen gezeigt, dass diese Prozesse sehr lange dauern können und nicht selten erst vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden.

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Ein Kommentar auf "„Es gibt kein Rezept gegen Spitzel“"

  1. ulf sagt:

    eine anmerkung zu „Das Grundgesetz schreibt explizit keine Wirtschaftsordnung vor. Im Gegenteil“

    der vollständdige gesetzestext lautet:

    „Artikel 14

    (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

    (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

    (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“

    siehe auch http://www.nao-prozess.de/blog/stichwort-legalismus/

    und (re-)produktionsmittel in staatlicher hand hebeln die kapitalistische wirtschaftsweise nicht aus. so ist etwa im universitätsklinikum göttingen keineswegs der communismus am ruder.

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