Kolumne

Erfahrungen mit einem Protest der nicht stattfand
von am 25. Mai 2011 veröffentlicht in Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft, featured

Tja liebes Göttingen, das war wohl nix. Oder … nee warte mal, vielleicht sollte ich mit was Positivem zum Protest gegen den NPD Parteitag beginnen: Es bleibt die Erkenntnis, dass die Kugel Eis in Göttingen 10 Cent weniger als in Northeim kostet. Was noch? Ach ja: Wetter war auch schön. Aber wenn man nix Nettes sagen kann, sagt man am Besten gar nichts. Vielleicht hätte auch Polizei-Einsatzleiter Rusteberg lieber die Klappe gehalten, aber er musste ja noch Öl ins Feuer gießen. So berichtet die HNA, dass der Tag laut Polizei „zufriedenstellend“ verlaufen sei, denn deinen Vertreter_innen, liebes Göttingen „gelang es nicht, ihre vielfach angekündigten Drohung, den Landesparteitag mit allen Mitteln zu verhindern, umzusetzen.“ Na wenn das mal kein Erfolg ist! Freilich polemisierten nicht alle im „gute Stadt-böse Stadt“ Schema. Lothar Hanisch, der DGB Vorsitzende der Region Südniedersachsen-Harz zum Beispiel schaffte es doch tatsächlich auf der Bühne beim „Bürgerfest“ die Nicht-Anwesenheit von Leuten aus Göttingen zu bedauern und gleich im nächsten Teilsatz, den Einsatz der „Kollegen von der Polizei“ zu loben. Bei so viel Einigkeit schmeckte die Bratwurst gegen Nazis gleich doppelt so gut.

Ein Erlebnisbericht
Da Nazis ihre Veranstaltungen leider nicht in vorheriger Absprache mit ihren Gegner_innen organisieren, bin ich morgens um 9 Uhr am Bahnhof Göttingen noch etwas verschlafen. Ein Blick in die Gesichter um mich herum zeigt, dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Die „Kollegen“ von der Polizei dagegen wirken aufgeregt und nervös. Als eine größere Gruppe Antifas den Bahnhof betreten will, kommt es zu Rangeleien, Pfeffersprayeinsatz und individuellen „Gefährdeansprachen“. Eine „Kollegin“ mit frisch gefärbten lila Strähnchen grinst und deutet umherstehenden Leuten an, sich von der anschließenden Körperkontrolle eines Mannes zu entfernen.

Polizeikette

Polizei : Antifa 1:0
„Und so gut gemeint war das alles. Wirklich, wirklich gut gemeint. Anzukündigen, dass sich nicht an die Regeln von Team Green gehalten und Form sowie Ort des Protestes selbst bestimmt werden…“ träume ich wenige Minuten nach dem Verlassen des Zuges in Northeim so vor mir her. Doch der schlechte Einfluss des Poststrukturalismus auf die Linke wird abermals deutlich: Diskurse durchbrechen keine Polizeikontrollen. Ich stehe an der Seite zwischen Demospitze und Absperrgitter, als sich in etwa folgender Dialog zwischen den Fronten entspinnt:

Einsatzleiter via Lauti (süffisant): „Wir wünschen ihnen einen schönen guten Morgen und begrüßen sie in Northeim.“
Demo: < < Beifall >>
E.v.L. (süffisanter): „Wir hoffen auf ein gutes Gelingen ihrer Veranstaltung …“
Demo: < < Gelächter >>
E.v.L. (glaubt selbst nicht, dass folgendes passieren wird): „… doch zunächst müssen sie die Transparente abnehmen und einzeln durch die Kontrollstellen gehen.“
Demo (laut): „BRD – Bullenstaat … ACAB … Haut ab!!!“ etc.

Eine Rangelei später – bei der die Kollegen von der Polizei den Transpiträger_innen äußerst kollegial gegen die Schienbeine treten – haben sich die BFE’s auch schon Leute ausgesucht, die sie in den nächsten Stunden aus der Versammlung zerren werden.

Festnahme

Spaltung gegen Rechts
Nach einigen Stunden zieht die Bündnisdemo in einer Straße neben dem Bahnhof vorbei. Über 1000 Leute drehen vor einer Reihe Polizist_innen ab, bleiben damit ordnungsgemäß auf der angemeldeten Route und ziehen nicht zum Bahnhof um die Wartenden ‚abzuholen’. Sie setzen außerdem keine Fuß auf den frisch gemähten Rasen der Vorgärten. Die gekesselten Göttinger_innen entschließen sich letztlich zurück zu fahren.

Ich habe es derweil auf die Bündnisdemoroute geschafft, wo noch ein paar versprengte Grüppchen stehen. Lothar Hanisch erklärt umstehenden Leuten, dass er „nichts machen“ könne, die Demo wolle weiterziehen. Soviel zur Solidarität. Meine Stimmung hellt sich erst etwas auf als ich Genosse Mitbewohner treffe. Er hat einen hochroten Kopf und riecht nach Bier.

„Genosse Mitbewohner, du trägst die Farbe der Revolution.“
„Das ist Sonnenbrand und Zornesröte Genosse Feindbild. Ich war stundenlang eingekesselt von den Schergen des Kapitals.“
„Und wie bist du rausgekommen? Ist IM Bulle noch im Dienst?“
„Nein, schon längst nach Moskau zurückgerufen. Aber ein guter Kämpfer für die Revolution findet seinen Weg durch die feindlichen Linien, wenn er einen Auftrag zu erfüllen hat.“
„Wie lautet dein Auftrag, Genosse Mitbewohner?“
„Ich werde Genosse Hanisch davon überzeugen, sich einzusetzen für den Ausschluss der bezahlten Schlägertrupps der Bourgeoise aus dem DGB.“
„Dein Idealismus in alle Ehren.“
„Rotfront, Genosse!“
„Rotfront.“

Ein Sonntagnachmittag in Northeim
Eine Abkürzung verschafft mir einen Vorsprung gegenüber der Demo und ich bin früher am Marktplatz, wo das „Bürgerfest“ stattfinden soll. Ich bemerke ein paar Männer mit Sonnenbrille, die mich grimmig anschauen. Nazis? Antifas? Prolls? Ich habe keine Ahnung, halte aber alles für möglich. Als die Demo kommt und vor die Bühne zieht, ruft ein Beobachter mit Fahrrad einer herumstehenden Gruppe junger Leute zu, dass jetzt der Zeitpunkt sei, „die Bomben zu werfen“.

Verschiedene Gruppen machen auf ihre Beteiligung am Fest mit Transparenten aufmerksam. Die CDU lässt allerdings Schlüsselkompetenzen vermissen. An ihrem Banner an der Bühne ist so ziemlich alles falsch, was sich falsch machen lässt: schlecht gesprayt, unleserliche Farbkombi (gelb auf weiß) und inhaltlich ist man auch nicht gerade über den eigenen Schatten gesprungen („Gegen Extremismus“). Erfrischender ist dagegen die Evangelische Jugend: „Unser Kreuz hat keine Haken“. Scheinbar gibt es unter den jungen Christ_innen auch solche, die auf zünftige Oi-Musik von den Jesusskins stehen. Jedoch geht es dann musikalisch weitaus konventioneller zu: geboten wird heruntergeleierter Lagerfeuer-Folk, der die apathische Meute nicht mal zum rhythmischen Mitklatschen animieren kann (epic fail: ein Volksfest ohne klatschende Omis). Vorher erklärt Lothar Hanisch noch, dass sich Northeim gegen Nazis wehrt und dass Göttingen heute leider nicht kommt, aber schön grüßen lässt. Im Übrigen seien Polizisten „auch Kollegen“ und die NPD rechtsextremistisch. Heute Nachmittag sitzt das Weltbild wieder fest und der Bürger kauft morgen halt in einem anderen Gemüseladen ein.

Extremismus

Die übrige Zeit bis zur Rückfahrt verbringe ich an einem Brunnen in der Nähe, schaue mir biertrinkende Jungprolls und motzige Northeimer an, höre im Hintergrund schwafelige Reden von der Bühne und denke über den Sinn von „Bürgerfesten“ nach. Schließlich esse ich auf dem Weg zum Bahnhof auch noch ein Eis gegen Rechts und streife dabei die soeben beendete ver.di Kundgebung, wo ein Mann lautstark den Djihad herbeiruft. Fremdschämend und hoffend, dass dies nicht der ver.di Redner ist, begegne ich wieder Genosse Mitbewohner, der von seiner fehlgeschlagenen Überzeugungsarbeit bei Hanisch nichts wissen will.

Djihad

Hä? War irgendwas?
So liebes Göttingen – alte Keule – und jetzt mal zum negativen Teil. Neben Würsten brieten am Sonntag in Northeim auch Antifas in der Hitze am Bahnhof, aber das war den meisten Menschen, die sich zwischen Bürgerfest und Bündnisdemo bewegten egal. Vergessen war da die massive Unterstützung im Vorfeld bei der Mobilisierung. Dass Göttingen aufgrund antifaschistischen Engagements und nicht aufgrund von Sonntagsreden als NoGoArea für Nazis gilt, war denjenigen die vor dem Bahnhof kehrt machten und sich nicht mit den dort wartenden Menschen solidarisierten keine Überlegung wert. So konnten die Northeimer_innen unter sich bleiben, brauchten sich nicht mehr vor der „Gewaltbereitschaft“ fürchten und konnten sich friedlich distanzierend auf ihren Marktplatz setzen – unweit von 100 NPD’ler_innen, die in der Stadthalle ihren neuen Vorsitzenden bestimmten und nicht mal 24 Stunden, nachdem einem türkischen Gemüsehändler in der Stadt der Laden abgefackelt wurde.

Ach ja: Und warum hat eigentlich niemand die Notbremse gezogen?

Artikel teilen

12 Kommentare auf "Erfahrungen mit einem Protest der nicht stattfand"

  1. Broeckelhaus sagt:

    Im Grunde genommen, weil jeweils drei bis vier berüstete Beamt_innen an den Zugausgängen standen. Aber die Frage trifft sicherlich den Kern des pragmatischen Problems, dass es für Situationen a la Northeimer Bahnhof einen Plan B hätte geben sollen und bei der Art und Weise der Mobilisierung auch geben müssen. Ich will damit keine Schuldzuweisungen aufmachen, es ist eben alles scheisse gelaufen was scheisse laufen konnte, aber es muss überlegt werden wie auf solche Situationen in Zukunft besser reagiert werden kann. Denn den heißen Empfang haben wir bekommen und zum Desaster ist der antifaschistische Protest geworden.

    btw: Eine Demo aufgezwungen zu bekommen, wie es schließlich nach der Rückkehr gekommen ist, habe ich auch noch nicht erlebt. Erst hieß es, hier kommt keiner raus, weil angeblich Strafttaten im Zug begangen worden seien (habe ich nur seitens der Polizei mitbekommen), dann durfte der Kessel nur als Demo verlassen werden, hä?! Da aufgrund der Aufrufe im Vorfeld den Kontrollen wahrscheinlich wirklich nicht juristisch bei zukommen ist, frage ich mich, ob dies beim Göttinger Bahnhofkessel nicht doch der Fall wäre, denn so eine polizeiliche Maßnahme sollte mindestens gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstossen haben.

  2. retmarut sagt:

    Ich bezweifle, dass das NVersG der Polizei das Recht einräumt, Reisegruppen, die nach einer Demo (an deren Besuch sie durch eben diese Polizei gehindert wurden) nach Hause wollen, am Bahnhofsvorplatz mittels Kesseltreiben und Einsatzstock eine Demo aufgezwungen werden kann. Aber was interessiert die Cops schon Gesetze?

    Ihre Aufgabe an dem Tag war von oben klar definiert: Größtmögliche Schikane der Göttinger Antifas und nach all dem internen Distanzierungsgehampel des Northeimer Bündnisses noch mal von außen den Spaltkeil tiefer treiben. Die Göttinger Antifaschist_innen sollten an dem Tag so viel Frust schieben, dass sie beim nächsten (schon angemeldeten) Nazi-Aufmarsch zu Hause bleiben. Die Norteimer Antifaschist_innen sollten vorgeführt bekommen, dass nur wegen der Polizeimaßnahmen ein „marodierender Mob“ (wahlweise auch „Schwarzer Block“ oder „Linksextremisten“) in Zaum und die Demo friedlich gehalten werden konnte. Und mundgerecht wird das voher geplante Polizeischauspiel dann zuerst am Northeimer und dann am Göttinger Bahnhof zelebriert.

    Und es wird übrigens weiter gebohrt, um das antifaschistische Bündnis von außen zu knacken: Im GT hat der Göttinger Polizeidirektor Gerd Hujahn davon schwadroniert, der DGB pflege „generell einen Schmusekurs mit autonomer Militanz“.

    Es liegt letztlich an uns, ob wir diese Spaltung zulassen oder nicht. Ich finde, trotz der schlechten Erfahrungen in Sachen Solidarität am Samstag darf mensch solch ein Bündnis nicht platzen lassen, denn das würde nur Polizei und Nazis in die Hände spielen.

  3. scheissbonzen sagt:

    „Polizei und Nazis in die Hände spielen“… Komisch. Von ersteren Wünsche ich mir vermehrte Präsenz, damit sie mich schützt – vor randalierenden Linken und Antifaschisten, die sich heute genau so gebärden und ähnliche Mittel verwenden wie gewisse Gruppen in der Zeit von 1933-1945, um ihre Gegner und Andersdenkende mundtot zu machen.

  4. Harvey sagt:

    Ist das in etwa dein Diskursniveau oder hast du bloß den letzten Satz von retmarut gelesen und den Rest mal eben frei assoziiert? Übrigens hat sich die Polizei in meiner Erfahrung eher selten um Wünsche gekümmert, also erwarte dir lieber nicht zuviel.

  5. Broeckelhaus sagt:

    @ scheiss Bonze

    Nenn mir mal den letzten Zeitpunkt der ach so schlimmen linken Randale in Göttingen. Wenns geht dann sogar mehr als ein, denn so wie es bei dir klingt kann Mensch sich gar nicht mehr sicher auf Göttingens den Strassen bewegen. Das Umwerfen von Mülltonnen zählst du hoffentlich nicht als Randale, denn das passiert durch besoffenes Deutschvolk wirklich fast jede Nacht.

    Vermehrte Präsenz der Polizei? Schon mal dein Verbindungshaus verlassen? In Göttingen gibt wohl die meisten Polizisten pro Einwohner deutschlandweit und die Nazigleichsetzung, wirklich? Neben Pietätslosigkeit (gegenüber der Opfer des Faschismus), Geschichtsrevisionismus und Realitätsverweigerung, können Demonstrationen mit humanistischer Grundlage wie dem Bleiberecht für alle oder gegen menschenverachtende Einstellungen wie Homophobie, Transphobie und Sexismus nicht ernsthaft von dir in einen Nazikontext gesetzt werden.

    Falls es dir armen kleinen Burschi darum geht, dass du deine geliebten Farben doch so gerne in der Öffentlichkeit tragen willst, dann musst du eben auch damit rechnen, dass das nach Außen tragen deines sexistischen, sozialelitären, nationalistischen oder zumindest wertekonservativen und militaristischen Weltbildes auf eine Gegenreaktion trifft. Wenn ihr Menschen verschiedene Wertigkeiten zuschreibt, was ihr am offensichtlichsten mit Frauen tut und euch damit selber den Boden der Verfassung unter den Füssen wegzieht, würde ich mir komisch vorkommen Rechtsgute wie die Meinungsfreiheit einzufordern.

  6. A.M.P. sagt:

    Warum wird hier eigentlich auf Kommentare von Burschies reagiert? Ach ja zu den Methoden: Ein Platz im Gulag oder wahlweise Wand ist dir gewiss. Weißt schon wegen der Wahlfreieheit 😉 Nee Spass, das wird eine lustige Umerziehung mit Punkrock, Techno und ganz viel Lesen. Also sprich mir nach: „Ich werde den NS-Vernichtungswahn nicht relativieren, sonst bekomme ich aus gutem Grund Ärger!“

  7. apl sagt:

    Blogsport-Anzeige:
    Konfliktmanagement
    Seminar zum konstruktiven Lösen von Konfliken

  8. Die Mitte erobern! sagt:

    Wurde mein Kommentar gelöscht? Ich meine, hier heute Mittag was geschrieben zu haben…

  9. Harvey sagt:

    Ja. Bei der Gelegenheit vielleicht die Anmerkung, dass unser Kommentarbereich ein verdammt schlechter Ort ist, die Grenzen zum „Aufruf zu Straftaten“ auszuloten. Und dass es nie geschadet hat, sich in Ruhe zu überlegen, ob es clever ist, das zu posten, was man da gerade flugs runtergetippert hat.

  10. Die Mitte erobern! sagt:

    Naja, war ja kein Aufruf. Nur ein „ich frage mich, warum nicht…passiert ist“
    Ich hatte da sogar kurz drüber nachgedacht und war dann zu dem Schluss gekommen, dass der Straftatbestand o.ä. nach meinem Gefühl nicht erreicht war. Gut, hätte dem MOG-Image vielleicht nicht gut getan…

  11. Genosse mit reformorientierten Alüren sagt:

    Hmm, Genosse Feindbild:

    Sehr interessante Darstellung der Ereignisse. Und Zustimmung bei der These der „NoGoArea“ Göttingen. Stutzig machte mich jedoch deine Orientierung auf Bratwürste, woher kommt die?

    Mit sozialistischem Gruß

  12. ulf sagt:

    die NPD mobilisiert anscheinend weiter für eine demonstration am 11. juni in northeim (siehe website der npd göttingen). gibt es irgendwo infos über geplante gegenaktionen ?

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.