R U ready 4 some action?
Alle werden gleich behandelt – gleich schlecht!
von schnurr am 28. April 2015 veröffentlicht in Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft, TitelstorySchreien gehört beim Bootcamp dazu. Quelle: Tigerland Action Force
Bootcamp wie bei den Marines, den Schweinehund besiegen, wissen, ob man es noch drauf hat, suck it up ’n‘ keep goin‘. Chief Instructor Scotty Stahl von Tigerland Action Force veranstaltete von Samstag auf Sonntag ein 25-Stunden-Bootcamp im Umkreis Göttingens, wo man genau das heraus finden konnte. 12 „Trooper“ und ein „Monster“ stellten sich der Herausforderung.
Morgens um 8 Uhr beim vereinbarten Treffpunkt auf einem Parkplatz irgendwo im Nirgendwo. Die 12 TeilnehmerInnen (4 Männer und 8 Frauen) warten darauf, dass der Transfer zum „Bootcamp 15-108“ beginnt. Schließlich kommt Scotty, der Organisator und Chief Instructor, und die „Einschleusung“ in einem abgedunkelten Geländewagen beginnt.
Die Spielregeln des Bootcamps klingen so hart wie simpel: durchhalten und weitermachen. Raus fliegt, wer Anweisungen mehrmals in Folge verweigert, die Mission nicht erfüllt oder Hilfe von außen annimmt. Außerdem gibt es während der 25 Stunden keine Nahrung oder Schlaf. Trotzdem soll das Bootcamp in erster Linie Spaß machen. Der Spaß ist auch einer der Hauptbeweggründe der TeilnehmerInnen: Sie wollen sich sich den Strapazen, dem Drill und der Grenzerfahrung aussetzen, die gemacht werden kann.
Viele TeilnehmerInnen kommen aus dem Extremsport, haben schon Matschläufe oder 85km-Läufe durchstanden und suchen nach einer neuen Herausforderung ihre eigenen Grenzen aufs Neue zu erreichen. In Gesprächen scheint dabei der Drill ausschlaggebend, diese überhaupt erreichen zu können. Ohne angeschrien, zu Liegestütz oder einem 100m-Sprint („Tanker“) verdonnert zu werden, weil der Gesichtsausdruck dem „Chief“ gerade missfällt, fehle die Willenskraft dazu.
Keine Häuptlinge
Andere wollen, so Scotty, wieder einmal wissen wie es ist wieder Indianer statt Häuptling zu sein. Die beruflich erlangte Führungsrolle wird zeitweise abgegeben, um wieder einmal blind zu folgen. Denn nach der Einschleusung beginnt die Metamorphose, die Verwandlung in einen Trooper. Dazu empfängt man nach dem typischen Papierkram seine Ausrüstung (Kampfjacke, Kampfhose, Rucksack, Koppel und Koppeltragegestell und Poncho). Alles in Flecktarn versteht sich. Ergänzt wird die Ausrüstung durch eine Packliste von Dingen, die selbst mitzubringen sind. Am Ende muss jede_r auf ein Rucksackgewicht von 20kg kommen. Wer aber eine Mullbinde oder Taschenlampe vergisst, bekommt je ein 1-Kilo schweres Extragewicht. Sichtbare Markennamen auf mitgenommener Kleidung sind ein Tabu, genauso wie grelle Farben.
Die Verwandlung aller TeilnehmerInnen in Trooper durch eine Uniform sei sehr wichtig für das Bootcamp, so Scotty Stahl. Durch einheitliche Kleidung soll das Gefühl einer Gemeinschaft entstehen und die Individualität wird abgegeben. Alle werden gleich behandelt- gleich schlecht. Außerdem soll durch das Verkleiden eine klare Abgrenzung zur Realität hergestellt werden. Im Vergleich zu anderen Camps, in denen TeilnehmerInnen eigene Kleidung und Ausrüstung benutzen, bedeutet es hier, durch die Entsagung eigener Ausrüstung eine klare Linie zwischen dem Spiel Bootcamp und der Realität zu schaffen.
In der Tat stimmt diese Einschätzung. Frauen bleiben bei der Betrachtung des rechten Milieus meist unsichtbar, werden als harmlos, unpolitisch und passiv eingeschätzt. Frauen wird meist „nur“ die Rolle der Mutter und Hausfrau zugesprochen, die selbst keine radikalen Ansichten vertreten. Dass dies eine Fehleinschätzung gewesen ist, ist spätestens seit der Aufdeckung des NSU klar. Eine der Schlüsselfiguren des NSU ist Beate Zschäpe, der im Vorfeld des NSU-Prozesses oft nur die Rolle der Mitläuferin und Sexpartnerin zugesprochen wurde. Eine von der Amadeu-Antonio Stiftung veröffentlichte Studie beschreibt anhand verschiedener Fallgeschichten den Einfluss und die Aktivitäten von Frauen aus dem rechten Milieu. Ihnen stehen andere Wege offen ihre völkische Ideologie zu leben und zu verbreiten. In Elternvertretungen, als nette Nachbarin oder Kommunalpolitikerin. Rassistische und fremdenfeindliche Einstellungen seien aber bei Männern wie bei Frauen gleich verbreitet, so Renate Bitzan, die sich mit rechten Frauen, Antifeminismus und völkischem Denken befasst.
Nazi freie Zone
Diese wird verstärkt durch die Anlehnung an das amerikanische Militär und die Verwendung englischer Begriffe, wodurch eine Art Entfremdung zum Deutschen hergestellt wird. Denn Nazis und braunes Gedankengut haben explizit keine Platz in Scottys Bootcamp. Durch Vorgespräche mit den TeilnehmerInnen und das Sichten von Social Media-Profilen will er sicherstellen, dass keine Nazis oder Rechte seine Camps nutzen, um ihre Gesinnung unter vermeintlich gleichgesinnten zu verbreiten. Der hohe Frauenanteil beim Bottcamp 15-108 sei auch ein Zeichen für die Abwesenheit von braunem Gedankengut, da Frauen seltener der rechten Ecke zugeordnet würden.
Nach 10 Stunden wird den letzten zwei Troopern bei Sonnenuntergang ihre nächste Mission verkündet: ein 10-Stunden Nachtorientierungsmarsch. Beide kapitulieren vor ihm und entscheiden sich für einen gemütlichen Abend bei Erbsensuppe am Feuer mit den restlichen Troopern. Die Arbeit am kommenden Montag, Muskelkater und Strapazen eines solchen Nachtmarsches im Hinterkopf lässt den Schweinehund am Ende doch siegen. Trotzdem wollen viele im Juni wiederkommen, wenn es ein weiteres Bootcamp geben soll.