Bürgerrechtler zu DNA-Entnahme

„Das riecht nach einer Abschreckungsmaßnahme“
von am 31. Januar 2011 veröffentlicht in Hintergrund, Polizei & Justiz, Titelstory

Martin R. hat sich am vergangenen Freitag dem Druck der Strafverfolgungsbehörden gebeugt und eine DNA-Probe bei der Polizei abgegeben. Begleitet wurde dies von einer großen Debatte über Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit, über Kriminalisierung und politische Justiz. Wir haben mit Sönke Hilbrans vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein über den Fall gesprochen. Er vermutet hinter der DNA-Entnahme eine Abschreckungsmaßnahme.

Herr Hilbrans, warum hat der Staat denn überhaupt ein Interesse an der DNA seiner Bürger und warum ist das vielleicht auch mit Skepsis zu betrachten?

Fangen wir mit der Skepsis an. DNA-Daten sind nicht irgendwelche Daten. DNA sind hochbrisante Informationen und je mehr die Wissenschaft fortschreitet, desto größer ist das Erkenntnispotential dieser DNA-Informationen. Sie erreichen damit inzwischen eine ganz enorme Einblickstiefe in die Konstruktion des menschlichen Erbgutes und können daraus auch zunehmend sichere Rückschlüsse aus Verhalten, Verhaltensdispositionen, die gesundheitliche Situation und natürlich solche Rahmendaten wie zum Beispiel das Geschlecht ziehen. Das heißt, DNA-Daten sind nicht irgendwelche Daten, DNA-Daten sind mit die interessantesten und wichtigsten Daten über den Menschen überhaupt.

Und warum ist das für den Staat interessant?

Wir reden hier über zwei Konstellationen. Die erste Konstellation ist, dass von einer bestimmten Person in einem Strafverfahren eine DNA-Probe genommen wird. Damit kann man gucken, ob eine Tatortspur mit der DNA der untersuchten Person überein stimmt. Sie kennen das von den Massengentests zum Beispiel nach Serien von Sexualdelikten, bei denen DNA hinterlassen wurde. Dann kann man schauen, wer in der Bevölkerung ein vergleichbares DNA-Muster hat.

„die Vorratsdatenspeicherung der DNA

Die zweite Variante ist sozusagen die Vorratsdatenspeicherung der DNA. Personen, die aus polizeilicher Sicht auffällig geworden sind, verurteilten oder auch nicht verurteilten mutmaßlichen Straftätern, wird DNA abgenommen. Diese DNA-Profile werden gespeichert. Wenn dann während der Speicherungsdauer – das können viele Jahre sein – eine DNA mit diesem Profil auftaucht, dann weiß man ja gleich, von wem sie ist. Man hat sonst überhaupt keine Spur, man hat nur diese DNA am Tatort gefunden und zack – findet man im elektronischen Archiv die DNA der Person wieder. Das macht DNA so hochinteressant. Sogar Fingerabdrücke können sich im Laufe der Zeit verändern, DNA tut das – nach allem, was wir wissen – nicht.

Dem Göttinger Antifa-Aktivisten soll die DNA abgenommen werden, weil er angeblich einen Böller geworfen haben soll. Für welche Fälle sind denn DNA-Entnahmen rechtspolitisch eigentlich vorgesehen? Wo findet diese Maßnahme in der Regel Anwendung?

Also, rechtspolitisch würden einige Rechtspolitiker sie am liebsten schon bei der banalsten Alltagskriminalität sehen. Wenn wir in die Strafprozessordnung schauen, dann handelt es sich nur um Fälle, in denen jemand einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder Sexualdelikte, beschuldigt wird. Also vielleicht auch jemand, der noch gar nicht verurteilt ist. Das sind die beiden Fallgruppen.

Kommentar

Die Solidaritätswelle für den Antifa-Aktivisten, dem die DNA-Probe am Freitag entnommen wurde, ist breit. Sogar Landtagsabgeordnete von SPD und Linkspartei stellen sich hinter den jungen Mann. Bei Göttingens Polizeipräsident Robert Kruse stößt das auf Unverständnis. Diese „offenkundige Sympathiekundgebung von Angehörigen unseres Parlaments für einen Mann, der aktuell eben einer solchen Gewalttat verdächtig ist, durch die ein Polizist verletzt wurde“ findet er befremdlich. Solche politischen Statements über Pressemitteilungen unters Volk zu bringen, überschreitet Kruses Kompetenzen. Es ist nicht die Aufgabe eines Polizeipräsidenten, Mitglieder des Parlamentes öffentlich und ohne Nachfrage zu kritisieren.

Die Gewalttaten gegen Polizeibeamte auf der Demonstration am vergangenen Freitag sei ein Beleg für die Ablehnung des Rechtsstaates in der linken Szene. Das mag sogar stimmen, trifft aber ganz offensichtlich auch für Polizei und Staatsanwaltschaft zu. Wenn Kruse ankündigt, weiter „konsequent und mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln“ gegen Linke vorzugehen, wünscht er sich keinen liberalen Rechtsstaat, sondern eine autoritär durchgreifende Exekutive, die ganz offensichtlich auch bereit ist, rechtsstaatliche Prinzipien zu Umgehen, um ihre Ziele zu erreichen. Das zeigt sich in diesem Fall exemplarisch und das ist auch der Kontext, in dem die aggressive Stimmung auf der Demonstration vom Freitag zu sehen ist. Sowas kommt von sowas.

Alleine das Abfackeln eines Silvesterknallers ist sicher keine Straftat von erheblicher Bedeutung. Wenn hier Gefahr für Leib und Leben anderer bestanden hat, dann kann man vielleicht darüber diskutieren, ob sich das schon im Bereich der mittleren Kriminalität bewegt. Aber wenn ein Böller in eine Menschenmenge geworfen wird und es kommt weder zu schweren Folgen, noch sind solche absehbar gewesen, dann reden wir nicht von einer Straftat von erheblicher Bedeutung.

Sie haben es gerade schon gesagt: man muss gar nicht verurteilt worden sein, damit der Staat einem die DNA abnehmen darf. Auch hier in Göttingen reichte dem Landgericht, dass die Entnahme angeordnet hat, der bloße Verdacht aus, der Aktivist könnte in Zukunft weitere Straftaten begehen. Wie kann man das denn rechtsstaatlich einordnen oder auch begründen? Da wird jemandem eine Maßnahme angetan, obwohl noch gar nicht verurteilt wurde.

Es wäre eine romantische Vorstellung vom Rechtsstaat und auch von der Unschuldsvermutung, wenn man davon ausginge, dass polizeiliche Maßnahmen nicht gegen Noch-nicht-Verurteilte oder sogar erwiesenermaßen Unschuldige nicht möglich wären. So weit geht die Unschuldsvermutung nicht und so weit reichende rechtsstaatliche Grenzen für polizeiliche Maßnahmen gibt es auch nicht.

Man wird in jedem Einzelfall genauer hingucken müssen. Handelt es sich um ein Geschehen, dass die Prognose nahelegt, dass in Zukunft von dieser Person tatsächlich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Straftaten ausgehen, sodass es aus polizeilicher Sicht erwünscht ist, auch so eingriffsintensive Daten wie DNA- Daten vorrätig zu halten, um schneller Straftaten zu ermitteln. Das ist die Kernfrage.

„da stimmt die Proportionalität nicht mehr

Hier haben wir es auf der einen Seite mit einem recht banalen Geschehen zu tun. Auf der anderen Seite steht eine sehr eingriffsintensive Maßnahme. Und da stimmt die Proportionalität nicht mehr. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, gerade wenn man sich das Verbot der übermäßigen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte vor Augen hält, wäre das also sicherlich unverhältnismäßig. Das würde wohl sogar für den Fall gelten, in dem der Betroffene verurteilt wird.

Welchen konkreten Nutzen könnte sich die Staatsanwaltschaft denn von der DNA eines Antifa-Aktivisten überhaupt versprechen? Also was hat die Staatsanwaltschaft davon, wenn sie diese DNA dann irgendwann mal hat?

Auslösendes Kriterium für diese Maßnahme ist sicherlich nicht, dass er Antifa ist. Jedenfalls darf das nicht sein. Die politische Gesinnung kann nicht der Auslöser für eine solche Datenerhebung sein. Falls irgendein Polizist in Deutschland davon träumen sollte, dann hätte er seinen Beruf verfehlt!

Ich entnehme aber auch der Entscheidung des Landgerichts nicht, dass das Kernargument ist, dass er Antifa sein soll. Rechtsstaatlich wäre das vollkommen unerträglich. Das Kernargument ist die Prognose zukünftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung.

Selbst wenn ein Böllerwurf eine solche Straftat wäre, ließe sie sich denn überhaupt mit Hilfe von DNA-Spuren aufklären?

Sie werden sicherlich genauso skeptisch sein, wie ich. Ein explodierter Silvesterknaller hinterlässt sicherlich keine brauchbaren DNA-Spuren. Wegen der hohen Staubbelastung am Explosionsort, wegen der hohen Temperatur und weil ein Böller vor allem aus Papier besteht, dass sowieso DNA-Spuren schlecht konserviert. Dann werden die Reste auch noch in alle Winde zerstreut, mühsam aufgesammelt und sind vielleicht noch feucht geworden. Da finden Sie keine verwertbaren DNA-Spuren.

Dieses Tatbild gibt also überhaupt keinen Anlass für die Annahme, dass man zukünftig von diesem Täter an einem Tatort mal DNA finden wird. Anders als bei den klassischen Fällen: Einbruchsserien, Waffendelikte, Sexualstraftaten.

Das ist bei dieser Geschichte eine der Merkwürdigkeiten und lässt in der Tat vermuten, dass es sich nicht um eine Maßnahme handelt, mit der in Zukunft Straftaten aufgeklärt werden sollen. Das riecht doch deutlich nach einer Abschreckungsmaßnahme.

Das Bundesverfassungsgericht hat nichts desto Trotz eine Beschwerde gegen diese Maßnahme gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Bedeutet das, dass es diese Maßnahme für verfassungsgemäß hält?

Schwer zu sagen. Traurig genug, dass bei der gigantischen Zahl von Verfassungsbeschwerden, die das Gericht zu entscheiden hat, viele nur mit einem Dreizeiler abgelehnt werden. Das ist aber auch anders kaum möglich.

Ich denke, daraus sollte man nicht den Schluss ziehen, dass das Bundesverfassungsgericht kein Problem mit DNA-Entnahmen hat. Ganz im Gegenteil. Ich erinnere mich an mehrere Entscheidungen, die recht genau und sehr ausführlich waren und in denen es auch um Fälle bizarrer polizeilicher Prognosen ging, wegen derer DNA entnommen werden sollte. Das Bundesverfassungsgericht hat in einigen Fällen entschieden, dass die DNA- Speicherung nicht zulässig ist, und das war der selbe Senat, der jetzt im Göttinger Fall eine tiefergehende Analyse offenbar nicht vorgenommen hat.

Schauen wir noch einmal in die Zukunft. Welche Bedeutung hat es, dass diese Maßnahme jetzt rechtmäßig durchgeführt werden kann? Könnte das bedeuten, dass DNA-Entnahmen zu Standard-Maßnahmen bei kleineren Vergehen bei Demonstrationen werden?

„Ich sehe nicht, dass die Göttinger Entscheidung Schule machen wird

Genausowenig wie wir aus der Nichtentscheidung aus Karlsruhe entnehmen können, dass das Gericht das bei vollem Bewusstsein gutgeheißen hat, können wir daraus entnehmen, dass solche Maßnahmen allgemein zulässig sind. Abgesehen davon, dass die Entscheidung des Landgerichts Göttingen ein spezifisches Colorit hat: es entscheiden in Deutschland viele Staatsanwälte und viele Landgerichte über solche Maßnahmen. Ich sehe nicht, dass die Göttinger Entscheidung Schule machen wird.

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Ein Kommentar auf "„Das riecht nach einer Abschreckungsmaßnahme“"

  1. Ergänzer sagt:

    Artikel in der Jungle World über den DNA-Zirkus:

    http://jungle-world.com/artikel/2011/04/42485.html

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