NS-Verharmlosung im Dokumentarfilm

Göttingen unterm Hakenkreuz
von am 21. November 2010 veröffentlicht in Kultur, Titelstory

Die Sieg-Heil-Rufe sind noch in der ganzen Stadt zu hören, als Adolf Hitler am 21. Juli 1932 seine Rede in Göttingen hält. 30.000 Menschen sind in den Kaiser-Wilhelm-Park im Stadtwald gekommen, um ihrem „Führer“ zuzuhören. Von diesem Ereignis kann der Dokumentarfilm „Göttingen unterm Hakenkreuz“ nur Fotos und Audioaufnahmen vorweisen. Von vielen anderen zeigt er Filmaufnahmen und lässt so gut erahnen, wie es in Göttingen zu dieser Zeit zugegangen ist. Und verharmlost dabei die Geschehnisse.

Der Filmemacher Uwe Fanelli hat zusammen mit Ehefrau und Produzentin Monika bislang nie gezeigtes Filmmaterial aus Zeiten des Nationalsozialismus in Göttingen zusammengetragen und in ihrem neuen Dokumentarfilm verarbeitet. Es sind die Aufnahmen der massenhaften Aufmärsche von SS, SA und anderen Nazis, mit denen die Dokumentation Eindruck hinterlässt. „Wir wollten dieses Material der Göttinger Öffentlichkeit zugänglich machen“, sagt Fanelli. Ein gutes und wichtiges Anliegen.

Zweites Ziel des Filmemachers ist es gewesen, die Bilder von ZeitzeugInnen kommentieren zu lassen. Und das ist das große Manko des Films: „Göttingen unterm Hakenkreuz“ erzählt die Geschichte aus der Perspektive von TäterInnen oder MitläuferInnen, zeigt kaum die Schicksale der Verfolgten des NS-Regimes. Regisseur Fanelli unterlässt weitgehend Wertungen, auch auf geschichtliche oder politische Einordnungen durch Fachleute verzichtet er, wo er nur kann. Mehr noch, die ZeitzeugInnen begeistern sich mitunter für die Aufmärsche der Nationalsozialisten. „Ich hatte ja dann auch gesehen, wie dieses Jungvolk marschierte. Das war ein sehr erhebendes Gefühl, und das imponierte mir“, sagt einer im Film. Fanelli lässt auch dieses Statement unkommentiert stehen.

„Die, die die Nachkriegserziehung über Schule, Universität, Medien mitbekommen haben, sind langsam unter sich“, rechtfertigt sich der Regisseur. „Und diese Leute sollten so erwachsen sein, um einzuordnen, wer was aus welcher Perspektive erlebt hat.“ Damit begeht der Filmemacher den Fehler, unpolitisch sein zu wollen. Ein Vorhaben, das gerade in diesem Zusammenhang scheitern muss. Wenn Fanelli sagt, er wollte gar keinen Film machen, der die Nazizeit aufarbeitet („Das können andere besser“), macht er es sich zu einfach.

Gepaart mit den Darstellungen von alltäglichen Szenen aus Fußballspielen oder vom Flanieren am Bahnhof zu fröhlicher Musik wirkt es dann manchmal so, als wäre eigentlich gar nichts schlimmes passiert. Die wirklich hässliche Fratze der Nazis kommt in diesem Film kaum zur Geltung. Nur am Rande werden die grauenhaften Erfahrungen von JüdInnen und eines Sozialdemokraten thematisiert. Damit verharmlost der Film, wenngleich sicher nicht beabsichtigt, den Nationalsozialismus.

Trotzdem lohnt es sich, den Film anzusehen – allein schon wegen der Bilder. Und auch die Einschätzungen der ZeitzeugInnen – immerhin die wohl letzten ihrer Art – sind aufschlußreich. Wenn man denn weiß, wie man sie nehmen muss. Manchmal treffen auch die den Nagel auf den Kopf: „Und damals hätte man schon wissen müssen: wenn so viele Soldaten in Göttingen sind, in einer kleinen Stadt, und so viele Kasernen, dass das nicht gut gehen konnte.“

Die DVD „Göttingen unterm Hakenkreuz“ ist ab sofort für 14,90 Euro im Göttinger Buchladen erhältlich.

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4 Kommentare auf "Göttingen unterm Hakenkreuz"

  1. janko sagt:

    Durch die weitgehend unkommentierte Präsentation von Propaganda aufnahmen erlaubt man es darüber hinaus dem Dritten Reich sich auch Jahrzehnte später noch öffentlich zu reproduzieren. Das das nicht geht hat mittlerweile sogar Knopp gemerkt. Aber in den provinziellen Dokumentarfilmkreisen ist das wohl noch nicht angekommen. -.-

  2. Das Harald-Juhnke-Internat distanziert sich ausdrücklich von jeglichen Vergleichen oder Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus.
    Es sind leider meistens die Leute, die für mehr Toleranz und gegen Oberflächlichkeit sind, die uns hier in die rechte Ecke drängen wollen, ohne uns zu kennen.
    Jeder der auch nur einen von uns kennt, oder während der Wahl kennengelernt hat, weiss wie lächerlich diese Anschuldigungen sind.
    Also bitte nicht gleich mit dem Finger auf einen Zeigen, ohne mal eine Minute drüber nachzudenken.

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