Polizei findet Antwort auf Kritik: Polemik und Diffamierung
von Harvey am 18. Juni 2010 veröffentlicht in PolitikGewohnt an einen eher konservativen und recht kritiklosen Berichterstattungsstil gab es für Leser des Göttinger Tageblatts am vergangenen Samstag plötzlich eine Überraschung: Ein Kommentar unter dem Titel »wer Pizza sucht, findet Pizza« nahm die wenig überzeugenden politisch gefärbten Verlautbarungen der Polizei zu den Ermittlungen beim vorgeblichen Brandanschlag in der Ausländerbehörde aufs Korn. Aber Kritik will sich die Polizei nicht bieten lassen und hält polemisch dagegen.
Heute veröffentlichte die Polizei eine Pressemitteilung, die zur Hälfte noch einmal den Ermittlungsstand in der Sache als abgeschlossen bezeichnet und sich dann der Schilderung der Ermittlungsarbeit widmet – wir hatten hier bei Monsters auch bereits (mehrfach) darüber berichtet. Neu ist allenfalls, dass das bisher als »Flugblatt« geläufige Aservat nun als »Pappschild« bezeichnet wird und der Text zitiert ist: »Abschiebestopp! Wer bleiben will, soll bleiben! Antirassistische Offensive „Frühling“!«. Der interessierte Leser erfährt außerdem, dass die Verwendung von Kleber in »vergleichsweise einfachen« Aufbauten von Brandsätzen typisch »linksmotiviert« ist.
Die Polizei nennt mittlerweile einen hochgerüsteten Propaganda-Apparat ihr eigen. Es sind PR-Pofis am Werke, ganz anders als noch vor zehn Jahren. Und diese Profis verstehen ihr Handwerk, täuschen und belügen mitunter Journalist*innen, wenn die eigene politische Linie das nicht zulässt. So geschehen zum Beispiel in einem Artikel in der Tageszeitung taz zu einem Beschluss des Rats der Stadt Göttingen, einen »runden Tisch« mit unter anderem Kriminalisierten und Polizei einzurichten. Der zitierte Polizeisprecher gab vor, von dem Beschluss nichts zu wissen. Das wäre an sich schon merkwürdig, wird aber noch übertrumpft durch die Tatsache, dass ein Polizeibeamter in der entsprechenden Ratssittzung anwesend war. Die Polizei belügt also die Presse, die demokratieidealistisch die »vierte Gewalt« sein und auch der Exekutive auf die Finger schauen soll. Darf sie das eigentlich?
Natürlich nicht. »Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen«, heißt es im niedersächsischen Pressegesetz. Unter gewissen Umständen darf die Aussage verweigert werden, ein Recht auf Lüge gibt es jedoch nicht.
Die juristische Debatte um das Thema »Pressearbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften« beginnt gerade erst. Das Phänomen, dass die Polizei selbst wertende Berichterstattung betreibt, ist noch vergleichsweise neu. Rechtsgrundlagen gibt es für diese Arbeit der Polizei eigentlich keine: Insbesondere zu Personen gibt es eigentlich nur den Fahndungsaufruf, der gesetzlich im Rahmen der Strafverfolgung geregelt ist. Neben Angriffen auf die Presse selbst ist nämlich vor allem der Vorverurteilungseffekt relevant, der mit Rechtsgrundsätzen wie dem fairen Verfahren und der Unschuldsvermutung bricht.
In sich hat es aber der zweite Teil der Mitteilung, die sich in Empörung über den Tageblatt-Kommentar ergießt. Dieser habe zunächst für »großes Unverständnis« gesorgt. Unverständnis hindert aber nicht den Polizeipräsidenten Kruse daran, sich mit seinem eigenen Kommentar zitieren zu lassen. So wirft er dem Tageblatt-Redakteur, sicher wegen seiner langen Tätigkeit zu diesem Bereich der Berichterstattung einem der besten Kenner der polizeilichen Arbeit in Göttingen, »tiefe Wissenslücken« vor, ja, ihm sei gar »das Zusammenwirken von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren offenkundig fremd«. Kurz zusammengefasst: der Redakteur sei halt zu ahnungslos. Als Sachargument kann man das beim allerbesten Willen nicht gelten lassen.
Aber das reicht der Polizei – pardon: dem zitierten Polizeipräsidenten natürlich – aber nicht aus. Nein, nicht nur voller tiefer Wissenslücken sei der Redakteur, sondern auch voller »abstoßendem Zynismus«, kurz wohl: ein schlechter Mensch. Die Kritik verböte sich nämlich moralisch angesichts der Tatsache, dass ein Mensch verletzt wurde.
Mit keinem Wort aber hatte der Redakteur Pietät gegenüber dem verletzten Landkreisbeschäftigten vermissen lassen: Vor allem die polizeilichen Verlautbarungen nahm er aufs Korn und gab damit doch nur das wieder, was vermutlich viele denken würden, denen ständig von »szenetypischen Brand- und Sprengsätzen« erzählt und dann Streichhölzer und eine Tube Klebstoff präsentiert werden: frühpubertäre Bastelei.
Auffallend ist, dass die Polizei die eigentliche Kritik im Tageblatt-Kommentar nicht aufgreift, nicht einmal mit einer weiteren persönlichen Attacke: die richtete sich nämlich dagegen, wie die Polizei ihre eigene Arbeit der Öffentlichkeit präsentierte. Das sei nämlich entweder dillettantisch in den Schlussfolgerungen – oder aber politisch gewollt.
Die Pressemitteilung der Polizei lotet die Grenzen zur Beleidigung aus und geht damit dermaßen weit, dass das wohl als »Schnellschuss« zu bewerten ist. Dennoch lässt sie Einblicke in die Kritik- und Verständnisfähigkeit der Polizei zu – und der fehlenden Bereitschaft sich tatsächlich für ihr Handeln zu rechtfertigen, stattdessen aber Unwerturteile über andere Menschen nicht nur zu fällen, sondern auch zu verbreiten.
Als Behörde braucht die Polizei für alles, was sie tut, auch eine Rechtsgrundlage – eigentlich auch für das Verfassen von Pressemitteilungen. Die Polizei handelt aber rein politisch motiviert, wenn sie nun einen Redakteur für seine Kritik öffentlich abstraft. Daran kann hier kein Zweifel mehr bestehen, es geht der Polizei hier nicht um eine inhaltliche Debatte. Die Polizei macht hier Politik. Und das ist natürlich nicht ihre Aufgabe.
Nun wird zu beobachten sein, wie das Tageblatt reagiert. Natürlich werden sich dort auch weiter die täglich mehrfach herausgegebenen Pressemitteilungen der Polizei Göttingen in kaum redigierter übernommener Form finden, die bereits länger wichtiger Bestandteil der Lokalberichterstattung sind. Ob allerdings der Redakteur auch weiterhin hin und wieder mal etwas kritisches schreiben darf, wird abzuwarten sein. Denn sicher ist in einem kleinstädtischen Milieu wie hier in Göttingen auch: Man kennt einander, auch, was die höhreren Etagen im Tageblatt angeht, und Presseinformationen gingen sicher in der harmonischen Vergangenheit auch oft den exklusiven direkten Weg über persönliche Beziehungen. Und da war die Pressemitteilung der Polizei ein deutlicher Schuss vor den Bug.
Dem Redakteur ist zu wünschen, dass er auf das Rückgrat des Tageblatts zählen kann. Und der Rolle der Presse wäre es angemessen, wenn die Pressemitteilung nicht ohne Antwort bleibt – und damit ist nicht etwa ein Beschwichtigungsversuch, zum Beispiel in der Wochenendkolumne der Chefredaktion, gemeint.
Link: Die Pressemitteilung der Polizei bei presseportal.de
Was ihr schildert ist kein spezielles Göttinger Problem. Es ist generell so, dass die Polizeireporter nicht kritisch über die Polizei berichten (auch in Großstädten). Denn der Preis für Exklusivinfos sind eine wohlwollende Berichterstattung. Der Göttinger Polizeireporter dürfte gezwungen sein demnächst in ein anderes Ressort zu wechseln.
Grundsätzlich gibt es bei der Polizei auch die Tendenz keine Fehler einzugestehen. Ganz pervers wird dies bei der Entführung in Heidenheim, wo dem Ehemann die Schuld an der gescheiterten Lösegeldübergabe zugeschoben wird.
Einfach unglaublich aber da muss ich Medienkritiker recht geben die Polizeireporter berichten eher selten kritisch über die Polizei