Öffentlicher Protest gegen Bundeswehrauftritt ist der Polizei ein Dorn im Auge
von am 18. März 2010 veröffentlicht in politische Justiz

Die Bundeswehr kündigt an, am 28.April 2008 auf dem Schulhof der BBS1 mit einem Info-Truck Werbung für den Soldatenberuf zu machen. Ein Göttinger Aktivist vom „Netzwerk Gewaltfrei Leben“ (NGL) wendet sich daraufhin namentlich und mit einem offenem Brief an die Schulleitung. Zu einem persönlichen Gespräch geladen fordert er die Schulleitung auf, von ihrem Handlungsspielraum Gebrauch zu machen und den so genannten Schuleinsatz der Bundeswehr abzusagen. Zeitgleich rufen verschiedene Gruppen und Initiativen zur Blockade des Bundeswehrfahrzeugs auf. Der Protest ist erfolgreich. Am Morgen des 28. April finden sich vor der Einfahrt zum Schulhof zahlreiche AntimilitaristInnen ein. Mit Sarg, Infoständen, Transparenten und Flugblättern suchen sie das Gespräch mit den SchülerInnen und unterstreichen die Forderung „Ausbildungsplätze statt Auslandseinsätze“. Die Polizei ist mit sechzig BeamtInnen im Einsatz, auch die Schulleitung erscheint und macht sich ein Bild von der Blockade. Das Bundeswehrfahrzeug kommt nicht.

Dieser Text stammt aus der Broschüre der Initiative für gesellschaftliches Engagement – gegen Kriminalisierung und politische Justiz. Presserechtlich verantwortlich ist Patrick Humke-Focks, MdL.

Gegen den Aktivisten des NGL strengen der Polizei-Einsatzleiter sowie der Leiter des 4. Fachkommissariats (politisch motivierte Straftaten) in der Folge ein Strafverfahren an: Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Dem Antimilitaristen wird vorgeworfen, Leiter der Versammlung (Blockade) gewesen zu sein, ohne dass diese angemeldet war. In einer Hintergrund-Bewertung des FK4 heißt es: „Das Thema ‘Anti-Militarismus‘ ist gegenwärtig eines der Hauptthemen in der linksextremistischen Szene. (…) Demonstrative Aktionen, wie vergleichsweise beim Lokhallenkonzert gegen die ‘Militärmusikparade‘, bei der es zu Widerstandshandlungen kam, sind auch hier einzukalkulieren.“ Der Staatsschutz hatte also bereits im Vorfeld der Blockade Stimmung gemacht – mit Verweis auf Straftaten, die die Polizei in einem anderen Fall eigens konstruierte und die sich längst als haltlos herausgestellt hatten! (vgl. Gerade noch vereitelt: So plump kann Kriminalisierung sein)

Der Antimilitarist erhebt Einspruch gegen den Strafbefehl in Höhe von 20 Tagessätzen und sucht die Verhandlung vor Gericht. Als ZeugInnen sind die zwei leitenden Polizeibeamten sowie zwei VertreterInnen der Schulleitung geladen. Alle vier versuchen, dem Angeklagten eine herausragende Stellung bei der Planung und Durchführung der Proteste gegen den Bundeswehrauftritt zu bescheinigen. Die Staatsanwaltschaft will offenbar keinen Fehler auf dem Weg zu einer Verurteilung begehen und wird daher vom Oberstaatsanwalt persönlich vertreten. Doch nach zwei Verhandlungstagen steht der Freispruch fest. Der Polizei-Einsatzleiter muss einräumen, dass der Angeklagte am Aktionstag überhaupt nicht die erforderliche Zeit anwesend war, um als Versammlungsleiter in Frage zu kommen. Auch ist die Schulleitung vor der Hofeinfahrt auf ihn zugegangen und nicht anders herum, um an das Gespräch eine Woche zuvor anzuknüpfen. Gerade weil sich dieser Sachverhalt schließlich als so eindeutig herausstellt, bleiben Fragen: Wieso und auf wessen Initiative wurde überhaupt gegen den Aktivisten ermittelt? Wieso wurde ein Strafbefehl gestellt? Wieso wurde durch Eröffnung des Gerichtsverfahrens durch Staatsanwaltschaft und Richter eine Verurteilung versucht?

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