Verfolgende Unschuld – Wie die Polizei sich vom Aggressor zum Opfer macht
von am 21. März 2010 veröffentlicht in politische Justiz

16. Mai 2006. Im Jahr 2004 wird der Vater einer neunköpfigen Familie, Achmed Saado, von der Polizei mit einem bewaffneten Einsatzkommando aus seiner Wohnung abgeführt, um – gegen ärztlichen Rat – in die Türkei abgeschoben zu werden. Der Verantwortliche für diese Aktion im Ausländeramt bekommt dafür einige Tage später von UnterstützerInnen der Familie Saado einen blutigen Füller überreicht, als Auszeichnung für seine Rolle als „Schreibtischtäter“. Der „Geehrte“ erstattet Anzeige wegen Beleidigung, Sachbeschädigung und Nötigung. Am 16. Mai 2006 kommt es vor dem Amtsgericht Göttingen zum Prozess gegen einen der Beteiligten der Übergabeaktion. Viele Menschen sind gekommen, um den Angeklagten zu unterstützen. Mehreren Personen wird der Zugang zu dem öffentlichen Prozess verwehrt – der Saal ist zu klein. Sie warten, beobachtet von einem großen Polizeiaufgebot, vor dem Gerichtsgebäude auf das Ende des Prozesses. Dieser endet mit der Einstellung des Verfahrens. Die erleichterten UnterstützerInnen, die im Gerichtssaal Platz gefunden hatten, stoßen nun zu der draußen wartenden Gruppe. Daraufhin greift die Polizei ein und will die Personalien von mehreren Personen feststellen. Begründung: Bei der Gruppe handele es sich um eine unangemeldete Versammlung. Die BesucherInnen des Prozesses – darunter JournalistInnen – werden daran gehindert sich zu entfernen. Die Personen, die kontrolliert werden sollen, weigern sich, ihre Personalien abzugeben und versuchen, den Ort zu verlassen. Ohne weiteren Anlass werfen die Polizisten nun einzelne Personen aus der Gruppe zu Boden, darunter auch einen bekannten antirassistischen Aktivisten ohne deutschen Pass. Zur Begründung, warum sie ihn angegangen seien, wird einer der beteiligten Beamten später aussagen, er sei der einzige mit schwarzer Hautfarbe gewesen. Damit sei er ihnen besonders aufgefallen. Der Aktivist wird schließlich auf die viel befahrene Berliner Straße gedrängt, mitten auf der Fahrspur niedergeworfen und festgenommen.

Der Vorfall hat ein juristisches Nachspiel – jedoch nicht für die Polizisten, sondern für den Angegriffenen. Der Aktivist wird angezeigt wegen „versuchter Körperverletzung“

Dieser Text stammt aus der Broschüre der Initiative für gesellschaftliches Engagement – gegen Kriminalisierung und politische Justiz. Presserechtlich verantwortlich ist Patrick Humke-Focks, MdL.

Dieses Mal hat die Polizei jedoch selbst in den Augen des Amtsgerichtes Göttingen den Bogen überspannt. Im Laufe des Prozesses wird deutlich, dass es für das Handeln der Polizisten keine Rechtsgrundlage gegeben hatte. Jede Versammlung ist durch das Versammlungsgesetz geschützt, wenn die Polizei sie nicht mit einer entsprechenden Begründung (z.B. Gefahr für die öffentliche Sicherheit) auflöst. Erst wenn die VersammlungsteilnehmerInnen sich nach einer solchen Auflösung weigern, den Ort der Versammlung zu verlassen, kann die Polizei eingreifen. Mit solchen Formalitäten hatten sich die eingesetzten Beamten nicht aufgehalten. Sie hatten ohne eine Auflösung der Versammlung einzelne Personen angegriffen, als sie sich von der Versammlung entfernen wollten. Das Verfahren endet mit Freispruch für den Angeklagten.

Auch in diesem sehr eindeutigen Fall sind die Übergriffe und falschen Anschuldigungen der Polizei für diese jedoch nicht mit einem Risiko verbunden. Die Opfer des Polizeiübergriffes erstatten gegen die Polizisten Anzeige wegen Körperverletzung im Amt. Obwohl sie ärztlich nachgewiesene Verletzungen durch den Einsatz davon getragen haben und obwohl der Einsatz richterlich bestätigt ohne Rechtsgrundlage stattfand, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die beteiligten Polizisten ein. Kein Grund für die Polizei also, beim nächsten Mal nicht wieder so zu handeln.

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