„Den Neonazis im Südharz kein ruhiges Hinterland lassen“ – Zum Prozess gegen einen Antifaschisten vor dem Amtsgericht Herzberg
von am 10. März 2010 veröffentlicht in politische Justiz

Am 19. Januar 2008 findet in Bad Lauterberg eine antifaschistische Bündnisdemonstration statt. Sie richtet sich gegen die wachsenden Neonazistrukturen in Bad Lauterberg und Umgebung. Sie richtet sich auch gegen die wachsende Normalisierung von Neonaziumtrieben in der Region. Solche Befürchtungen sind nur zu berechtigt: Die Nazis unterhalten in Bad Lauterberg einen Tattooladen. Die örtlichen Nazikader erzielen bei Wahlen erschreckend hohe Ergebnisse. Der Bürgermeister Otto Matzenauer verteidigt Ende Oktober 2009 vehement in aller Öffentlichkeit den Abdruck einer Werbeanzeige für den Neonazi-Tattooladen „Zettel am Zeh“ im offiziellen Werbeheft der Stadt Bad Lauterberg: Er wolle und könne niemanden aus der städtischen Publikation ausschließen und werde gegen jene vorgehen, die eine Verbreitung der Neonazi-Werbung behindern würden. Dass sich konservative Politiker schützend vor die Neonazis stellen, ist in dieser Region nichts Außergewöhnliches. Bereits zwei Jahre vorher erregt ein Fall in Herzberg bundesweite Aufmerksamkeit. Dort trinkt der CDU-Bürgermeister und Ex-Polizist Gerhard Walter am 15. April 2007 mit dem Neonazi-Ordnerdienst des NPD-Landesparteitags in Herzberg-Scharzfeld eine Apfelsaftschorle und geht nach dessen Aufforderung handgreiflich gegen JournalistInnen des NDR vor.

Dieser Text stammt aus der Broschüre der Initiative für gesellschaftliches Engagement – gegen Kriminalisierung und politische Justiz. Presserechtlich verantwortlich ist Patrick Humke-Focks, MdL.

Ausgerechnet vor dem Amtsgericht Herzberg wird am 21. Oktober 2009 ein Antifaschist aus dem Göttinger Bündnis gegen Rechts zu einer Strafe von 1.500 Euro verurteilt. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, während der Bündnisdemonstration am 19. Januar 2008 zur „versuchten Nötigung angestiftet“ zu haben. Wegen einer erzwungenen erkennungsdienstlichen Behandlung, nämlich der Aufnahme von Portraitfotos durch die Polizei, beschäftigt der Fall zuvor bereits das Amts- und das Landgericht in Göttingen. Zahlreiche BündnispartnerInnen aus Göttingen und dem Harz drücken in einem offenen Brief und durch die Beobachtung des Gerichtsprozesses ihre Solidarität mit dem Verurteilten aus.

Der Richter am Amtsgericht Herzberg, Schindler, folgt mit dem verhältnismäßig hohen Strafmaß von 50 Tagessätzen zu 30 Euro in Gänze der Forderung der Staatsanwaltschaft Göttingen. Auch durch seine Verhandlungsführung macht der Richter deutlich, dass er von vornherein keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten hegt. Offensichtliche Widersprüche in den Aussagen des „Augen- und Ohrenzeugen“ Jörg Käding von der Bereitschaftspolizei Hannover ignoriert er oder legt sie zu Ungunsten des Beschuldigten aus. So ergeht sich eben jener Ohrenzeuge in Schilderungen, in denen er dramatisch auszumalen bemüht ist, wie er sich während der Demonstration an den Beschuldigten heranschleicht, das Visier seines Polizeihelms hochklappt, um so belauschen zu können, was jener der Demonstrationsspitze für „geheime Anweisungen“ gibt. Von einem Helm ist allerdings auf von der Verteidigung vorgelegten Fotos nichts zu sehen. Die weit ins Gesicht gezogene Mütze und ein bis über die Nase hoch gezogener Uniformkragen lassen sogar eher den Polizeibeamten als die DemonstrationsteilnehmerInnen vermummt erscheinen. Ein Grund für seinen auffällig heimlichtuerischen Auftritt in Bad Lauterberg könnte Kädings Tätigkeit als Zielfahnder sein. Diese hebt der Oberkommissar als Routinetätigkeit, bei der er sich „Gesichter gut merken“ müsse, hervor.
Aus der fehlenden Konkretisierung des Tatvorwurfs, nämlich dem Wortlaut der vermeintlichen „Aufforderung“ des Angeklagten, kann Richter Schindler nur schließen, dass es besonderes glaubwürdig erscheine, sich nicht genau erinnern zu können. Schließlich, so Schindler, gäbe es keinen Grund, warum der Polizeibeamte dem Antifaschisten einen falschen Vorwurf machen sollte. Mit anderen Worten: Die Polizei hat vor dem Amtsgericht Herzberg immer Recht, egal wie absurd und wenig belegbar ein Vorwurf auch sein mag. Die Bemühungen der Verteidigung , durch eine Befragung des zweiten Polizeizeugen Dirk Lawrenz von der Polizei Northeim/Osterode klar zu machen, dass die Polizei hier eben nicht „nur ihren Job macht, sondern innerhalb der politischen Auseinandersetzungen, um die es geht, aktive Konfliktpartei ist“, weiß Richter Schindler durch Unterbrechungen der Befragung zu unterbinden. Der verurteilte Antifaschist legt gegen das Urteil Berufung ein, so dass der Fall in den nächsten Monaten erneut vor dem Landgericht in Göttingen verhandelt werden wird.

In einer politischen Erklärung, die der Angeklagte zu Beginn des Prozesses am 21. Oktober 2009 in Herzberg verliest, erklärt er: „Das ruhige Hinterland für Neonazis fällt nicht einfach so vom Himmel, sondern wird hervorgebracht durch ein gesellschaftliches Klima des Wegschauens, Verschweigens und heimlichen Beifallklatschens.“ Und abschließend: „Ich bin der Richtige, wenn es darum gehen sollte, jemanden für eine antifaschistische Politik zu verurteilen, die die eingangs beschriebenen Verhältnisse in Südniedersachsen deutlich kritisiert und dagegen vorgehen will.“

Zum Hintergrund: „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ (Kurt Tucholsky)

Antifaschistinnen und Antifaschisten befinden sich schnell im Konflikt mit Polizei und Justiz. Wer sich in Deutschland gegen alte und neue Nazis zur Wehr setzt, sieht sich erzwungenermaßen auch mit jenen gesellschaftlichen Bedingungen konfrontiert, die diese hervorbringen oder begünstigen. Die bezeichnende Rolle von kommunalen Verwaltungen, Staatsschutzabteilungen der Polizei und des Verfassungsschutzes soll im Folgenden anhand von aktuellen Ereignissen in Südniedersachsen nachgezeichnet werden.
Wenn Dirk Lawrenz allmorgendlich seine Arbeit beginnt, weiß er, wo oben und unten, wo links und rechts ist. Er blättert durch Lichtbildmappen, schreibt Aktenvermerke, fordert Telekommunikationsüberwachungen und Hausdurchsuchungen an, muss noch eine Vorladung schreiben, hat später noch eine Zeugenvernehmung, muss morgen vor Gericht als Belastungszeuge aussagen. Vorher nimmt er noch Kontakt mit dem Richter auf. Warum? Weil er den Richter vor möglichen „Störern“ warnen muss, denn Menschen aus Parteien und Gewerkschaften haben angekündigt, den Prozess gegen einen Antifaschisten beobachten zu wollen. Deshalb schickt Lawrenz seine Männer als „Schutz“ in den Prozess. Der 53-jährige ist Polizeioberkommissar beim polizeilichen Staatsschutz – der politischen Polizei – beim 4. Fachkommissariat der Polizeiinspektion Northeim/Osterode.

Die Landkreise Northeim und Osterode im südlichen Niedersachsen sind seit Jahrzehnten eine Schwerpunktregion der Aktivitäten organisierter Neofaschisten. In Northeim konnte sich der ehemalige Naziskinhead Thorsten Heise zu einer Führungsfigur der bundesdeutschen Neonaziszene mausern. Hier betrieb er bis 2002 ein faschistisches Zentrum und auch nach seinem erzwungenen Umzug ins westthüringische Fretterode blieben die alten Strukturen der „Kameradschaft Northeim“ eine aktive Größe. Brauner noch geht es im Landkreis Osterode zu. Insbesondere in den Kleinstädten Herzberg und Bad Lauterberg, mit ihren umliegenden ländlichen Strukturen im Südharz, tummeln sich die Neonazis wie Fische im brackigen Wasser. In Bad Lauterberg konnte die faschistische NPD zur niedersächsischen Landtagswahl im Januar 2008 eines ihrer höchsten Wahlergebnisse verbuchen. Seit 2006 sitzt Heises Freund und Ex-Mitglied der „Kameradschaft Northeim“, Michael Hahn, für die NPD im Rat der Südharzstadt. In Bad Lauterberg finden regelmäßig Rechtsrockkonzerte statt, in der Hauptstraße 175 wird mit dem Tattooladen „Zettel am Zeh“ ein öffentlicher Anlaufpunkt für Neonazis und rechte Jugendcliquen betrieben. Während seit Ende 2005 durch die Rückkehr Michael Hahns und den gezielten Zuzug weiterer Neonazis – wie dem Liedermacherpaar Annett und Michael Müller – die beschriebene Ausweitung und Verfestigung der Neonaziaktiväten im Südharz zu beobachten war, folgten 2009 weitere qualitative Steigerungen.

Bewaffnete Faschisten

Bei über 30 Hausdurchsuchungen gegen Neofaschisten in Südniedersachsen fand die Polizei im Januar 2009 in der Hälfte aller Objekte Waffen, darunter Granaten und Maschinenpistolen. Der Schwerpunkt der Durchsuchungen lag in den Landkreisen Northeim und Osterode. Vorausgegangen war eine Auseinandersetzung zwischen Neonazis in der Tabledance-Bar „Moon Light“ (heute „Strip“). Ihren Streit trugen die „Kameraden“ am 30. November 2008 mit einer Pumpgun und Molotow-Cocktails aus. Unter den Angreifern war auch ein Faschist aus Herzberg am Harz. AntifaschistInnen hatten bereits seit Mai 2008 Widerstand organisiert, um zu verhindern, dass Neonazis aus dem Umfeld der „Kameradschaft Northeim“ in der Tabledance-Bar in der Hannoverschen Straße 86 in Göttingen einen offenen Veranstaltungsort für Rechtsrockkonzerte zu etablieren versuchten. Die Schießerei und die folgenden Waffenfunde dokumentierten, wovor AntifaschistInnen bereits seit Jahren gewarnt hatten: Die Neonazistrukturen in Südniedersachsen haben sich mit Schusswaffen und Sprengstoff bewaffnet und sind offenbar auch bereit, diese gegen Menschen einzusetzen. Die Pumpgun-Schützen und Molotow-Cocktail-Werfer wurden vom Landgericht Göttingen lediglich wegen Verstößen gegen das Waffengesetz und versuchter Brandstiftung verurteilt. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) zündet unterdessen Nebelkerzen: Bereits nach dem Fund eines Maschinengewehres im Anwesen des NPD-Bundesvorstandsmitgliedes Thorsten Heise, wusste Schünemann in einem Zeitungsinterview am 7. November 2007 verharmlosend zu bewerten: „Viele Rechtsextremisten haben eine hohe Affinität zu Waffen (…) Ob und inwieweit sie diese Waffen auch zum politischen Kampf einsetzen, müssen die Ermittlungen zeigen“. Göttingens ehemaliger Polizeichef Hans Wargel, in dessen Verantwortungsbereich die Neonazibewaffnung stattfinden konnte, wurde kürzlich befördert. Er ist seit 1. Januar 2010 neuer Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Sein Nachfolger in Göttingen im Job mit den „besonderen Herausforderungen“ (Wargel am 15. Dezember 2009 im Göttinger Tageblatt) ist seit 1. Februar 2010 Robert Kruse, bislang Verfassungsschutzvizepräsident in Hannover. Die eigentliche Trennung von Polizei und Geheimdiensten ist längst ins Absurde getrieben.
(K)ein ruhiges Hinterland für Neonazis!

Der Südharz ist eine Region, in der es zwar viel Schwarz/Braun aber wenig Buntes gibt. Das bekommen auch engagierte BürgerInnen und Jugendliche im Landkreis Osterode zu spüren. Noch während die Mitglieder des Bündnisses „Bunt statt Braun“ sich im Herbst 2007 darüber berieten, in welcher Weise sie eine von der Antifaschistischen Linken Internationale A.L.I. aus Göttingen initiierte Bündnisdemonstration im Januar 2008 in Bad Lauterberg unterstützen könnten, standen die Polizei und der Verfassungsschutz bei ihnen auf der Matte. Hilfesuchende Gespräche von BürgerInnen, um Schutz vor befürchteten Neonaziattacken zu erlangen, wurden von den Polizeibeamten des Staatsschutzes in Verhöre verkehrt und selbst offene Drohungen ausgesprochen, , dass man das Bündnis Bunt statt Braun für heraufbeschworene Vorfälle auf der Bündnisdemo verantwortlich machen werde. Die Schulen Bad Lauterbergs wurden vom Verfassungsschutz aufgesucht und vor einer Unterstützung an der antifaschistischen Bündnisdemonstration gewarnt. Die Bedrohung durch die Neonaziszene wird hingegen konsequent geleugnet oder klein geredet. So erklärte Frank Müller vom polizeilichen Staatsschutz Northeim/Osterode gegenüber dem Harzkurier, lediglich die A.L.I. würde behaupten, die Betreiber des Tattooladens „Zettel am Zeh“ seien Neonazis. Tatsächlich – und das dürfte auch Herrn Müller bekannt gewesen sein – wurde Oliver Keudel, einer der Betreiber des Ladens, am 21. Oktober 2006 in Berlin festgenommen, weil er als Sänger der Rechtsrockband „Agitator“ von der Bühne herab grölte „Ich bin mit Leib und Seele Nazi!“. Anwesend bei diesem vielsagenden „Pressegespräch“ war auch Wolfgang Freter (Dezernatsleiter im niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz). Bereits während einer Bürgerversammlung anlässlich eines bevorstehenden Neonaziaufmarsches am 9. Mai 2009 in Friedland erklärte er dem erstaunten Publikum: „Südniedersachsen ist ein weißer Fleck auf der Karte des Rechtsextremismus“. Derart eingebettet und angewiesen durch das niedersächsische Innenministerium gestaltete sich auch der Polizeieinsatz gegen jene Bündnisdemonstration am 19. Januar 2008 in Bad Lauterberg, eine Woche vor der niedersächsischen Landtagswahl. In einem offenen Brief, den über zwanzig Einzelpersonen und Initiativen aus dem Göttinger „Bündnis gegen Rechts“ im Nachgang der Demo an verantwortliche Polizeibeamte richteten, heißt es:„Der gesamte Demonstrationsverlauf am 19. Januar 2008 in Bad Lauterberg war von einem unverhältnismäßig massiven Polizeieinsatz gekennzeichnet. Anreisende Busse wurden verzögernden Vorkontrollen unterzogen, bei denen die Polizei versuchte, die Personalien aller DemonstrationsteilnehmerInnen aufzunehmen. Die Demonstration wurde in ein einschließendes, teils Schulter an Schulter enges Polizeispalier genommen. Der gesamte Demonstrationsverlauf wurde, ohne dass eine konkrete Straftat benannt werden konnte, von der Polizei gefilmt. (…) Während die antifaschistische Demonstration in Bad Lauterberg von der Polizei verzögert, überwacht und politischer Vermittlungsmöglichkeiten beraubt wurde, konnten Neonazis am Rande, von der Polizei völlig ungehindert, TeilnehmerInnen fotografieren. In den Wochen nach der Demonstration wurde jungen Frauen aufgrund dieser „Erkenntnisse“ der faschistischen „Anti-Antifa“ mit Vergewaltigung gedroht. Hinter den massiven Polizeisperren, die die ursprünglich angemeldete Demonstrationsroute beschränkten, konnten sich gewaltbereite Neonazis im Nazi-Tattooladen „Zettel am Zeh“ in der Hauptstraße 175 versammeln und von hier aus JournalistInnen bedrohen. OrdnerInnen der Demonstrationsleitung, die diese Umstände gegenüber der polizeilichen Einsatzleitung und einzelnen Beamten thematisierten, wurden ignoriert oder bedroht und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Ihnen wurde beispielsweise trotz Kenntlichmachung mit einer Gewerkschaftsordnerarmbinde verweigert, das enge Polizeispalier zu verlassen. So entstand ein ständiger Konflikt mit den eingesetzten Beamten.“

Eben jene durch gängelnde Demonstrationsauflagen und selbstherrliche Polizeieinsatzkräfte provozierten Konflikte führten auch zu einem Strafverfahren gegen einen Antifaschisten aus dem Göttinger „Bündnis gegen Rechts“ (siehe Artikel „Den Neonazis kein ruhiges Hinterland lassen!“). Nachdem der 35-jährige als Ordner der Demonstrationsleitung scheinbar zu sehr auf den Rechten der VersammlungsteilnehmerInnen beharrte, erhielt er die Quittung für sein „unkooperatives Verhalten“ in Form einer Strafanzeige. Der konstruierte Vorwurf eines Bereitschaftspolizisten: Der Antifaschist habe versucht, dazu anzustiften, dass andere versuchen sollten, Polizisten zu nötigen. Das wirkt zunächst lächerlich und durchschaubar, funktioniert aber trotzdem, wenn alle anderen mitspielen.

Konkrete Verantwortliche

Mitgespielt hat sogleich der eingangs erwähnte Mitarbeiter der politischen Polizei in Northeim/Osterode. Auf die durch die Bereitschaftspolizisten erstattete Strafanzeige setzte POK Lawrenz noch einen drauf und ließ den Beschuldigten zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorladen. Sollte der Antifaschist der Vorladung zur Aufnahme von „Lichtbildern und Portraitaufnahmen“ sowie der Abnahme von Fingerabdrücken, Handflächen- und Handkantenabdrücken“ nicht nachkommen, würden diese Maßnahmen mit „unmittelbarem Zwang“ durchgesetzt, so die Polizei. Schließlich, so wurde weiter angefeuert, könne man ja auch eine Hausdurchsuchung bei dem „versuchten Aufforderer zur versuchten Nötigung“ durchführen. Verhältnismäßigkeit? Keine Spur! Was Fingerabdrücke und Hausdurchsuchung zur Aufklärung des konkret vorgehaltenen Vergehens beizutragen haben? Nichts, aber darum geht es ja auch gar nicht. Worum es der politischen Polizei tatsächlich geht, kann deutlicher nicht werden, wenn man das weitere Verhalten des Staatsschutzes in dieser Angelegenheit beleuchtet: Einige Zeit nach der Bündnisdemonstration in Bad Lauterberg verhörte Herr Schwarz (ebenfalls 4. Fachkommissariat Northeim/Osterode) einen jungen Mann von der ver.di-Gewerkschaftsjugend. Der Beschuldigte sollte eine schlimme Straftat begangen haben: Nachdem Neonazis die faschistische NPD-Schulhof-CD an Berufsschulen in Northeim verteilt hatten, versammelten sich spontan 50 bis 60 Jugendliche in Northeim, um dagegen zu protestieren. Der junge Mann der ver.di-Jugend trat dabei gegenüber der Polizei als Versammlungsleiter auf. Die Staatsschützer aus Northeim/Osterode warfen ihm nun vor, die Versammlung sei gar nicht spontan gewesen, schließlich hätten die Jugendlichen Transparente verwendet, die sie bereits zuvor in Bad Lauterberg gezeigt hätten. Im Verhör ging es sodann auch zur Sache: Ob er bei „der Antifa“ Mitglied sei? Unter dramatischen Vorhaltungen wird dem Beschuldigten eine Kiste vorgeführt, gefüllt mit Gegenständen, die von der Polizei am 19. Januar 2008 bei Vorkontrollen im gesamten Südharz sichergestellt wurden. Ob er wisse, mit welch gefährlichen Leuten er sich bei der Bündnisdemo eingelassen habe? Als der Kollege von Herrn Schwarz später vor dem Amtsgericht Herzberg durch den Rechtsanwalt des „versuchten Anstifters“ dazu befragt wurde, leugnete POK Lawrenz die Existenz dieser „Waffenkiste“ in seiner Abteilung.

Mitgespielt hat bei der Gerichtsverhandlung allerdings auch der Richter am Amtsgericht Herzberg, Schindler. Dieser war mittels ständigen Unterbrechens deutlich bemüht, die Polizeizeugen vor weiteren unangenehmen Befragungen durch die Verteidigung in Schutz zu nehmen. Anderenorts ist das nicht immer anders: Nachdem ein Richter am Amtsgericht Göttingen dem Widerspruch des Beschuldigten gegen die angedrohte erkennungsdienstliche Behandlung zunächst stattgegeben hatte und auch die vorgeworfene Straftat als zweifelhaft erkannte, legte Oberstaatsanwalt Hans-Hugo Heimgärtner die Angelegenheit einfach einem anderen Richter vor. Und auf den war Verlass, Richter Werner spielte bedenkenlos mit. Er entschied ganz im Sinne der Staatsanwaltschaft, der Polizei und seines Richterkollegen in Herzberg. Das Einzige, was er vergaß, war, in seinem aus Textbausteinen zusammen gewürfelten Beschluss den richtigen Namen des zu behandelnden Antifaschisten einzutragen. Und so fragen wir uns bis heute: Welche Straftat hat wohl der „Beschuldigte Hanik“ begangen…?

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