Die ganz normale Hartz4-Verarsche..
von am 17. Juni 2009 veröffentlicht in Politik

..oder: Warum man in einem Antrag nicht jeden Scheiß angeben muss. Denn in dem ALG 2-Antrag wird man unter anderem dazu aufgefordert diverse Angaben über seine Mitbewohner zu machen. Zum Bespiel auch über deren Aufenthaltsstatus und Arbeitserlaubnis. Dass ein ALG 2 Antrag auch ohne diese Angaben genehmigt werden kann hat vor kurzem ein Freund erfahren dürfen, der es sich nun auf die Fahne geschrieben hat andere AntragstellerInnen über diese Tatsache zu informieren. Im Hinblick auf das von ihm organisierte Soli-Konzert haben wir uns zu Kaffee und Frühstücksei für ein (semi-professionelles) Interview getroffen. Außerdem saßen zwei MitgliederInnen von der Band Rogue Steady Orchestra mit am Tisch, die auf dem Soli-Konzert spielen werden.

„(…) Nach den Wünschen des Fachamt Soziales soll man halt ein total gläserner Mensch werden, wo man von nachvollziehbaren Sachen wie Ehestatus bis hin zu komplett nicht nachvollziehbaren Sachen zur Prüfung des Hartz 4-Antrags gefragt werden. Ich bin eigentlich nur zum Amt gegangen und wollte einen ALG 2-Antrag stellen, und dachte dann ‚Ok, ich drucke mir mal die Vordrucke die es im Internet gibt aus‘. Das hat zum Glück nicht geklappt, denn beim Amt habe ich gesehen dass dort ein ganz anderer Antrag ausliegt. Und dort wurde mir auch gleich gesagt ‚Ja, das stimmt, Göttingen hat einen eigenen Antrag‘. (…) Dann habe ich halt diesen Antrag bekommen, hab den versucht auszufüllen und alle Angaben zum Vermögen aufgeführt (also Kontoauszüge der letzten 3 Monate, genauer Betrag der KFZ-Versicherung, eventuelle Schulden usw.). Also bei diesen finanziellen Punkten kann man halt sagen, egal wie man das jetzt selber findet, die wollen halt einfach wissen was hast du an Kohle. Dann ist es aber halt so, dass mir bei meinem ersten Beratungstermin von der SachbearbeiterIn zu Unterpunkt 9 des Antrages („Unterhaltsansprüche“) gesagt wurde, da gibt es eine missverständliche Formulierung, das sei ihnen seit mehreren Monaten bekannt, wurde aber bisher nicht geändert. Und zwar muss man hier Auskunft geben über „im Haushalt befindliche unterhaltsberechtigte Personen“. An diesem Punkt war ich unsicher um wen es hier geht, und da wurde mir gesagt ich solle an dieser Stelle meine Eltern eintragen. Aber warum soll ich da meine Eltern eintragen wenn die nicht bei mir im Haushalt wohnen, und sie sind auch keine unterhaltsberechtigten Personen? Also streng genommen füllt eigentlich ganz Göttingen wegen dieser Formulierung den Antrag falsch aus. Ich bin dann noch einmal zum Fachamt Soziales um mich über diesen Punkt zu informieren, und dann meinte der anwesende Sachbearbeiter ‚Vergessen Sie einfach mal was an dieser Stelle in dem Antrag steht‘. Und an dem Punkt hab ich gemerkt, Moment mal, hier stimmt was nicht. Da am Ende des Antrags steht, wenn ich falsche Angaben mache, handelt es sich im Ernstfall um eine Straftat, habe ich mir gedacht, bevor ich falsche Angaben mache, mache ich einfach richtige Angaben, gebe diese aber in einem anderen Format ab. Ich habe mich erkundigt dass dies möglich sei. Der Antrag auf ALG 2 ist nicht formgebunden! Wenn es ein Formular gibt, SOLL es benutzt werden, nicht MUSS. (…) Dazu kommt halt noch, dass es einfach ein paar Sachen gibt, wo es ganz deutlich ist dass die nichts mit der Prüfung meiner Berechtigung auf ALG 2 zu tun haben. Zum Beispiel unter Punkt 2 des Antrags steht: „Im Haushalt leben außerdem folgende Personen“. Bei mir ist es so, ich lebe in einer WG, und war auch gerade erst eingezogen und kannte die Leute zum Teil auch noch gar nicht. Für den Antrag sollte ich dann halt Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort und das Verwandtschaftsverhältnis angeben, aber auch: Kontingentsflüchtling (Ja oder Nein), Aufenthaltsstatus (Gültig bis) und Arbeitserlaubnis. Das war sein ein Punkt wo ich mir dachte, ok, ich kann die Frage verstehen ob ich in einer Bedarfsgemeinschaft lebe oder nicht. Aber was hat denn bitteschön der Aufenthaltsstatus oder die Arbeitserlaubnis einer MitbewohnerIn in diesem Formular verloren! Und da war mir halt einfach klar, das geht so nicht klar, das ist datenschutzrechtlich unter aller Sau, und dazu werde ich keine Angaben machen. Dazu muss man bedenken, dass die Leute im Amt selber auch in einer Hierarchie arbeiten, und auch selber „von oben“ Druck kriegen, bzw. auch selber keine juristische Ausbildung haben, und natürlich nur das kennen, womit sie konfrontiert werden. Ich habe erlebt, dass ich meine ganzen Unterlagen abgeben wollte, aber nicht dieses Formular ausgefüllt hatte, und auch gesagt habe ‚Das Formular lehne ich ab‘. Ich weiß ich muss Angaben zu meinem Vermögen und meiner Lebenssituation machen, aber ich muss nicht dieses Formular benutzen. Dann wurde aber gesagt, ich müsse dieses Formular doch ausfüllen, so würden sie die Unterlagen so nicht annehmen. Ich habe dann um eine Fristverlängerung gebeten und meine Unterlagen per Einwurfeinschreiben abgeschickt. Ich hab anschließend noch ein, zwei Mal Briefe bekommen, wo gesagt wurde dass eben die angesprochenen Anlagen fehlen würden und ich solle dies doch bitte nachholen. Das habe ich aber nicht gemacht, und generell den Kontakt nur noch über Einwurfeinschreiben geregelt. Und mein Antrag wurde dann geprüft, bearbeitet, und ist letztendlich jetzt auch genehmigt worden! Also sprich ich bin jetzt ALG 2 berechtigt, und habe keinerlei fragwürdige Angaben über meine MitbewohnerInnen oder ähnliches gemacht. (…)“

Sicherlich werden viele Personen, deren Existenz unmittelbar von Hartz4-Geldern abhängig sind, diese fragwürdigen und unberechtigten Fragen ohne großen Widerstand beantworten, um kein Risiko einzugehen das Geld gestrichen zu bekommen. Außerdem sind diese Fragen für viele der Grund das ALG 2 gar nicht erst zu beantragen, da sie solche Angaben über ihre MitbewohnerInnen eben nicht machen wollen.

„(…) Und an dieser Stelle ist dann eben die Frage: wie komme ich als AntragsstellerIn um diese Angaben herum, und wie kriegt man die Stadt dazu dass die ihren Antrag ändert, oder dass die zuständigen SachbearbeiterInnen besser in diesen Fragen ausbildet. Ich bin halt erstmal einen anderen Weg gegangen, und habe versucht, ob das auch so geht ohne entsprechendes Formular. Das hat funktioniert, und ich formuliere jetzt mit Leuten zusammen, die mich juristisch beraten, ein Formular, das man benutzen kann um sich zu orientieren ‚Welche Angaben muss ich machen und welche Angaben muss ich nicht machen‘. (…) Man kann das, was wir vorhaben, eigentlich auch einen Alternativantrag nennen, und ich hoffe dass dieser innerhalb der nächsten Tage fertiggestellt wird. Die Informationen hierzu werden dann, wenn es soweit ist, auch nochmal über z.B. die GöDru oder andere Medien bereit gestellt und im Internet zum runterladen sein. (…)“

Um dieses Vorhaben in der Zusammenarbeit mit JuristInnen in die Tat umzusetzen wird Geld benötigt. Geld, welches vor allem durch das Soli-Konzert im JuZI zusammenkommen soll. An diesem Abend werden zwei Bands spielen, E-Egal aus Braunschweig, und die Göttinger Ska-Punk Kapelle Rogue Steady Orchestra. Da zwei der insgesamt acht MitgliederInnen von RSO mit am Frühstückstisch saßen konnten sie selber noch einmal erzählen warum sie an diesem Abend spielen werden, nachdem die erste spontane Antwort „Warum nicht!“ lautete.

RSO 1: „Also gerade in Göttingen ein Soli-Konzert zu spielen ist für uns natürlich relativ einfach, gerade auch an einem Montag wo eigentlich alle Zeit haben. Wenn wir woanders spielen, dann geht das meistens nur am Wochenende. Außerdem passt es uns ganz gut nochmal an dem Montag zu spielen, weil ab Juli machen wir auch erstmal drei Monate Pause, da unser Bassist weg ist, in den USA, und so können wir halt nochmal in Göttingen spielen. (…) Also es ist auf jeden Fall das letzte Konzert für die nächsten fünf Monate, in Göttingen.“

RSO 2: „Ja, und Soli-Konzerte spielen wir ja eigentlich auch gerne und immer, aber wir haben jetzt auch nicht super viel Geld. Also wenn wir jetzt in München ein Soli-Konzert spielen, und die geben da einen Hut rum dann können wir uns das selber halt nicht richtig leisten. Weil wir dann einfach Geld für die Spritkosten brauchen um dahin zu fahren und zurück zu fahren, weshalb in Göttingen zu spielen dann nicht so schwierig ist.“

RSO 1: „Genau, so als lokale Band ist das für eine Soli-Sache einfach sinnvoller. Wobei an dem Abend mit E-Egal ja auch noch eine Band von außerhalb spielt.“

E-Egal, selbst betitelter „Randgruppenrock“ aus Braunschweig: „Schonmal von einem Sänger einer Band aufgefordert worden die Band auszubuhen? Nein? E-EGAL aus Braunschweig nehmen (nicht nur) sich selbst komplett auf die Schippe und bieten  nicht nur musikalisch mit ihrem Ska-Punk/Rock/Blues eine großartige Unterhaltung“. So der Veranstaltungstext.

„Wir haben die jetzt halt in Braunschweig gesehen, da war es für die natürlich auch so ein Hometown-Gig, und ich bin jetzt mal gespannt was die sich in Göttingen auch so trauen, an Selbstverarsche und Albernheiten. (RSO 2: „Und wie das dann im JuZI auch so ankommt…“) Genau, aber die Band macht auf jeden Fall richtig Spaß. Eigentlich müsste das passen… Zu Hartz 4 passt das auch, leicht kaputte Typen (lacht). Die kommen wahrscheinlich sogar mit dem Zug, damit sie auf der Fahrt schon trinken können. (…)“

Nochmal zurück zum Thema: du hast vorhin erwähnt dass eventuell bis zum Konzert am Montag (22.Juni) ein Infoblatt fertiggestellt sein wird?

„Ja, aber es ist halt wirklich viel Arbeit. Man muss total viel bedenken, und man will die Leute ja auch gut beraten. Wir können jetzt nicht einfach irgendwas schreiben und sagen ‚So und so klappt das halt‘. Also Leute die diesen Alternativantrag auch stellen müssen sich auch bewusst sein dass sie auf Widerstand stoßen werden. Dass es dadurch halt nicht unbedingt leichter wird, sie aber auf der anderen Seite auch keine Angaben machen werden mit denen sie sich reinreiten können, oder die dann halt gegen sie verwendet werden können. Also es wird auf jeden Fall eine Weile dauern, denk ich mal, bis auch jedeR SachbearbeiterIn auf dem Sozialamt mitgekriegt hat, dass man das Formular nicht benutzen muss. Und dafür ist dann natürlich auch eine gewisse Öffentlichkeit wichtig, beziehungsweise muss man einfach auch nicht nur die AntragstellerInnen aufklären. (…) Aber wie bereits gesagt, wir werden natürlich die Leute über euere MonstersofGöttingen-Seite, die GöDru oder wie auch immer, informieren wenn die Unterlagen halt da sind und wo man sich die Sachen runterladen kann.“

Das Soli-Konzert findet am Montag den 22. Juni im JuZI ab 21 Uhr statt. Mehr Infos dazu hier!

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Ein Kommentar auf "Die ganz normale Hartz4-Verarsche.."

  1. cyberpunk sagt:

    Niemals Angaben zu MitbewohnerInnen machen! Wie schon im Artikel steht, wollen die einem nur eine Bedarfsgemeinschaft anhängen. Einfach nicht ausfüllen und abgeben das Ding. Man muss keine Angaben über MitbewohnerInnen machen.

    Hier gibt es , wo u.a. folgendes steht:

    Das Ding ist schon ein paar Jahre alt, aber das gilt noch immer.

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