Verwaltungsgericht gibt Linken recht: Demoauflagen rechtswidrig
von am 10. April 2008 veröffentlicht in Hintergrund, Lokalpolitik

Das Göttinger Verwaltungsgericht hat gestern entschieden, was Beobachter_innen schon lange vorher klar war: Das Ordnungsamt muss seine Auflagen, die es den Demonstrations- teilnehmenden auflegt, genau begründen. Der Anwalt der Klägerin spricht dem Urteil bundesweite bedeutung zu. Hintergrund des Verfahrens waren die Auflagen, die die Stadt einer Demonstration gegen „Repression und Polizeigewalt“ im Oktober 2007 auferlegt hatte.

Die Versammlungsleiterin der Demonstration hatte gegen die als unverhältnismässig empfundenen Auflagen der Stadt geklagt. Das Ordnungsamt änderte damals kurzfristig die Demoauflagen dahingehend, dass Transparente nicht länger als 2,50m sein und die Lautstärke 70dBA nicht überschritten wurden durfte. Begründet wurde dies lediglich mit der Aufrechterhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Eine Sprecherin des Bündnisses gegen Repression und Polizeigewalt kommentierte im Herbst 2006: “Durch die Auflagen der Stadt sollte die Demonstration in ihrer Wahrnehmbarkeit stark begrenzt und in ihrem Anliegen herabgewürdigt werden. Eine derartige Einschränkung der Meinungsfreiheit und des Versammlungsrechts ist für uns inakzeptabel.”

„Der Richter wies in seiner Begründung und schon davor ausdrücklich auf die Nichtzulässigkeit und Fragwürdigkeit von unbegründeten Auflagen und das Nachreichen von Begründungen hin“ heisst es in einer Pressemitteilung der Roten Hilfe Göttingen, die das Urteil ausdrücklich begrüßt und hofft, „dass zukünftig in Göttingen und anderswo von vornherein staatlicher Willkür bei der Auslegung des garantierten Versammlungsrechts Einhalt geboten werden kann.“

Diese Hoffnung teilt sich der Verein mit dem Anwalt der Klägerin, Johannes Hentschel. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen habe sogar bundesweit weitreichende Bedeutung für zukünftige Anmeldungen von Demonstrationen, sagte er gegenüber diesem Magazin. „Mit der erfolgreichen Klage konnten
wir deutlich machen, dass für die Erteilung von Versammlungsauflagen hohe gesetzliche Hürden bestehen.“

Nicht entschieden hat das Gericht allerdings über die Rechtmässigkeit der einzelnen Auflagen. Darauf wurde verzichtet, weil der Auflagenbescheid als Ganzes für rechtswidrig erklärt wurde. Gerichtsfest ist nun also nicht, dass Demonstrationen nicht durch Auflagen in ihrer Wahrnehmbarkeit eingeschränkt werden dürfen. Vielmehr muss die Stadt solche vermeindlichen Eingriffe in die Versammlungsfreiheit nur besser begründen. Doch das wird kein leichtes Unterfangen, meint Rechtsanwalt Hentschel: „Es kann in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass die Stadt Göttingen sich in Zukunft genau überlegen wird, ob und in welcher Form sie Auflagenbescheide noch erlassen wird. Die Messlatte liegt ab sofort deutlich höher.“

Dies ist bereits der Dritte Prozess vor Göttinger Gerichten, der sich mit dieser Demonstration auseinandersetzte. Ein als Weihnachtsmann verkleideter Demonstrant wurde Monate später von einem Gericht vom Vorwurf der Vermummung freigesprochen, ein als Nikolaus verkleideter Teilnehmer ebenso. Beobachter_innen sehen dadurch die so genannte „Choreographie der Repression“ bestätigt. Dieser Theorie zu Folge wenden staatliche Organe Maßnahmen gegen politisch Aktive in dem Wissen über deren Rechtswidrigkeit an. Dass solche dann vor Gericht für illegal erklärt würden, ändere nichts an der bereits erfolgten Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen.

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3 Kommentare auf "Verwaltungsgericht gibt Linken recht: Demoauflagen rechtswidrig"

  1. mad B. sagt:

    „Der Anwalt der Anklage spricht dem Urteil bundesweite bedeutung zu.“

    also, ich kann ja nich anders, weil ich ein klugscheisser bin:
    hier war sicherlich keine „anklage“ im spiel, sondern eine klage. „anklagen“ tut nur die staatsanwaltschaft in strafverfahren, unter umständen vielleicht rechtsanwälte in strafverfahren mit privatklage. ansonsten wird einfach nur „ge-„klagt.
    der staat bzw. die stadt göttingen wurden hier nicht bestraft. es wurde nur fetsgestellt, dass sie einen fehler begangen haben. das ist toll und begrüßenswert, aber hilft leider nicht darüber hinweg, dass die zuständigen sachbearbeiter diese fehler wiederholen können. in solchen fällen, also bei verhängung von auflagen vor einer veranstaltung mit meinungskundgabe empfiehlt es sich dann, ein eilverfahren vor dem zuständigen gericht zu beantragen, um die rechtswidrigen auflagen im vorfeld zu beseitigen. dabei kann man sich dann auf das aktuelle urteil berufen und das gericht muss das berücksichtigen, ist aber nicht daran gebunden. denn gerichte entscheiden immer einzelfälle. die erfolgsaussichten sind nun jedoch weitaus besser.
    das ist der gewinn bei der ganzen geschichte.
    die bedeutung des urteils erstreckt sich auf bundesebene, weil das versammlungsgesetz bundesrecht ist. es gilt im ganzen bundesgebiet. wenn man den text „unbefangen“ liest, entsteht der eindruck, dass das ja ein besonders dicker fall gewesen sein muss, hui – sogar „bundesweite bedeutung“. stimmt auch, aber alle fälle, in denen bundesrecht zum tragen kommt, haben auch bundesweite bedeutung.

    danke für die aufmerksamkeit 🙂

  2. Rogue sagt:

    Als kleine Ergänzung sei noch angefügt, dass im Rahmen der Förderalismusreform nun die Bundesländer eigene Versammlungsgesetze erlassen können. Macht ein Bundesland davon Gebrauch, gilt das jeweilige Landesversammlungsgesetz und nicht das VersG. Momentan scheint sich gerade Bayern bei der Schaffung eines recht restriktiven Versammlungsgesetzes hervorzutun…

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