Straßenfest in der roten Straße

Party, Cake and Politics
von am 20. Oktober 2015 veröffentlicht in Migration, Politik, Soziale Bewegungen, Titelstory
Dichtes Gedränge beim Straßenfest in der roten Straße (Foto: ALI)
Dichtes Gedränge beim Straßenfest in der roten Straße (Foto: ALI)

Ein Straßenfest sollte es werden – hochpolitisch, samt einer Demonstration. Das hat am Samstag in der Roten Straße geklappt. Mehr als 2000 BesucherInnen, darunter viele Geflüchtete, haben unter dem Motto „Refugees Welcome heißt grenzenlose Solidarität“ in der Roten Straße getanzt, gegessen und gequatscht. Nur über die politischen Ziele herrscht etwas Uneinigkeit.

Ein Straßenfest mit Flohmarkt, Infoständen und einer Demonstration ist am Samstag auf große Resonanz gestoßen. Rund 2000 BesucherInnen haben trotz mittelprächtigen Wetters den Weg in die Rote Straße gefunden. Zahlreiche ehrenamtliche FlüchtlingsunterstützerInnen netzwerkten, nebenan durchsuchten Geflüchtete einen Mini-Flohmarkt nach brauchbaren Kleidern. Ein Rahmenprogramm mit Kaffee, Kuchen und Musik bot vor allem Geflüchteten aus nahen Gemeinschaftsunterkünften etwas Ablenkung vom tristen Alltag.

Die scheint dringend nötig zu sein: Talib und einige seiner Freunde berichteten, dass die Langeweile in den Unterkünften Überhand nimmt. Das Trio und viele andere Geflüchtete warten derzeit auf die Auszahlung von Taschengeldern. Sie sind seit 1 1/2 Monaten in Deutschland – Bargeld haben sie keines mehr. Weshalb kostenloser Kaffee und Kuchen schon zur Halbzeit des Straßenfests vergriffen waren. Trotzdem tanzten Geflüchtete und GöttingerInnen noch bis nach Veranstaltungsende zu pakistanischer und afghanischer Musik in der Roten Straße.

Zugleich ging es um Politik: Die Antifaschistische Linke International hatte für 12:30 Uhr zu einer Demonstration aufgerufen. „Refugees Welcome heißt grenzenlose Solidarität“ war die Devise, doch zunächst mussten klare Linien gezogen werden. Thomas Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD, hatte scheinbar zeitgleich einen Friseurtermin – per Lautsprecher teilte man ihm sicherheitshalber mit, dass er auf der Demonstration nicht erwünscht sei. Nicht allen Beteiligten gefiel das: „Soll er doch mitdemonstrieren – warum nicht?“ diskutierte etwa eine ältere Flüchtlingsunterstützerin aus Adelebsen.

Es folgte ein kurzes Streitgespräch: „Weil er vorgestern eine bittere Asylrechtsverschärfung durchgepeitscht hat“. Sie entgegnet: „Was soll er denn sonst machen?“. „Sich beispielsweise um eine Entbürokratisierung des Asylverfahrens bemühen“, antwortet jemand. Sie stimmt zu, „Ja, das wäre eigentlich wirklich wichtiger“. Trotzdem versteht sie nicht, dass ein Teil der DemonstrantInnen etwas militanter auftritt und beim Wort „Klassenkampf“ schrillten bei ihr die Alarmglocken.

Dementsprechend konnte sie mit der Parole „Wir sind hier, weil der Kapitalismus unsere Länder zerstört“ wenig anfangen. Dabei war ein Teil der Forderungen durchaus pragmatisch: Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus und einen spürbaren Ausbau des Sozial- und Bildungssystems für Geflüchtete. Die ALI plädierte für ein entschlossenes Auftreten gegen Rassismus als praktische Solidarität. Und die Basisdemokratische Linke schlug ein Ende der Residenzpflicht und eine Aufhebung der Arbeitsverbote für Geflüchtete vor.

Letzteres war für viele Geflüchtete ein Hauptanliegen. Talib und seine Freunde fanden die Demonstration mit rund 350 TeilnehmerInnen „very good“ – es war die erste Demonstration ihres Lebens. Allerdings wünschen sie sich, dass man sich mehr auf die Hauptprobleme konzentriert hätte. Die langen Asylverfahren, die miserable Unterbringungssituation und die ausbleibende Arbeitserlaubnis machen den Dreien am meisten zu schaffen. Auch die Frage nach internationaler Solidarität hat das Trio bewegt: Für sie bedeutet das, dass der Westen in Syrien interveniert. Das dürften wohl einige Göttinger DemonstrantInnen anders sehen.

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