Unzumutbare Zustände in Friedland

Lager am Limit
von am 21. August 2015 veröffentlicht in Migration, Titelstory
Die Erstaufnahmeeinrichtung in Friedland ist völlig überlastet (Symbolbild)
Die Erstaufnahmeeinrichtung in Friedland ist völlig überlastet (Symbolbild)

Erst Hitze, dann Dauerregen und stets die Überbelegung: Die Zustände in der Friedländer Erstaufnahmeeinrichtung sind grenzwertig. Mittlerweile soll es zu Schlägereien gekommen sein, denn Langeweile und Stress führen zu Problemen. Besserung ist nicht in Sicht.

„Bei bis zu 1.000 Personen gibt es keinerlei Probleme“ sagt Heinrich Hörnschemeyer von der Lagerleitung in Friedland. Derzeit seien etwa 2.200 Personen in Friedland untergebracht, zeitweise sollen es über 2.600 gewesen sein. Dazu kommen Geflüchtete, die in Außenstellen in Duderstadt und Groß Schneen untergebracht sind. Und so sprechen alle, vom Lagerpfarrer über die MitarbeiterInnen der Caritas bis zur Lagerleitung davon, dass die Belastungsgrenze erreicht sei.

Auch die Infrastruktur des Lagers ist der Lage nicht gewachsen. Das zeigt sich früh morgens, als Geflüchtete vor der Kleiderkammer warten. Die öffnet erst mittags, trotzdem warten um 9 Uhr Geflüchtete aus Syrien und Eritrea vor dem Eingang. Ein Caritas-Mitarbeiter versucht den Wartenden zu erklären, dass es zwecklos sei, schon jetzt anzustehen. Erst als eine junge Geflüchtete anfängt zu dolmetschen, kommt Bewegung in die Gruppe. Ähnlich sieht es beim Bundesamt für Migration aus: Dort übernachten mittlerweile Geflüchtete vor den Büroräumen der MitarbeiterInnen, berichten Angestellte.

Tumulte bei der Essensausgabe

Auch die Essensausgabe ist überlastet. Der Speisesaal ist eigentlich auf 1.000 Personen ausgelegt, dementsprechend groß sei das Gedränge, erzählt ein Mitarbeiter der Caritas. Allerdings gelänge es, alle Geflüchteten zu versorgen. Trotzdem haben viele Angst leer auszugehen. Dem Göttinger Tageblatt zufolge kam es am Sonntag zu einer Massenschlägerei. MitarbeiterInnen der Essensausgabe mussten sich verbarrikadieren, während Geflüchtete versuchten, durch Fenster ins Gebäude zu gelangen. Nun sind dauerhaft BeamtInnen der Bereitschaftspolizei auf dem Gelände stationiert.

Zwar stehen in Friedland (noch) keine Zelte, aber auch sonst hinterlässt die Überbelegung Spuren. Gemeinschaftsräume seien zu Schlafräumen umfunktioniert worden, erzählt ein Mitarbeiter. So wird das spärliche Freizeitangebot noch kleiner. Ähnlich sieht es bei den Sprachkursen aus: Die Kapazitäten reichen längst nicht für alle Geflüchteten. Schon länger helfen Ehrenamtliche aus – die mittlerweile ebenfalls an den Belastungsgrenzen angekommen sind. Auch die Jugendclubs auf dem Gelände seien überlastet, so der Mitarbeiter der Caritas weiter.

Spannungen unter den Geflüchteten

Durch die langen Wartezeiten und die Langeweile komme es zu Streitigkeiten und Konkurrenzkämpfen, kritisiert das Beratungs und Aktionszentrum (BAZ) in Friedland. Auch Mitarbeiter der Caritas berichten davon, dass es zu Streit zwischen ethnischen Gruppen und Religionszugehörigkeiten kommt. Eine Situation, die man aus anderen Einrichtungen in Deutschland kennt: Nimmt der Stress zu, bieten Landsleute und Glaubensgenossen wenigstens etwas Rückhalt. Zugleich nehme das Misstrauen gegenüber den Behörden zu, berichten Mitarbeiter in Friedland.

Unter vorgehaltener Hand werden auch die Ursachen dafür diskutiert: So sei es schwierig, den Geflüchteten zu vermitteln, weshalb sie mit völlig unterschiedlichen Verfahrensdauern rechnen müssen, erzählt ein Mitarbeiter. Geflüchtete aus Syrien und Eritrea werden priorisiert, bei anderen dauern die Verfahren teilweise fünf mal so lange. So sollen unter den Geflüchteten Gerüchte kursieren, die „Deutschen“ würden SyrerInnen lieber mögen als „Balkanflüchtlinge“. Auch deshalb schwindet das Vertrauen zu Lagerleitung und Behörden.

Deutlich mehr Geflüchtete als erwartet

Allerdings sind in diesem Sommer deutlich mehr Geflüchtete in Deutschland angekommen, als Anfang des Jahres erwartet. Erst kürzlich hat das Bundesamt für Migration seine Prognose für 2015 korrigiert. Wegen des großen Andrangs sind dem Innenministerium zufolge alle niedersächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen am Limit. Beim BAZ gibt man die Schuld dafür der Landesregierung: So seien der Abbau von Unterbringungsmöglichkeiten und restriktive gesetzliche Rahmenbedingungen die Ursache der Überbelegung – „Diese werde nun als Notstand“ inszeniert“. Das Innenministerium will nun die Kapazitäten ausbauen. Noch in diesem Jahr sollen zwei weitere Einrichtungen öffnen.

BAZ schlägt Verbesserungsmöglichkeiten vor

Das dürfte in Friedland erst mittelfristig Wirkung zeigen. Kurzfristig bleibt der Einsatz von Ehrenamtlichen. Die könnten, der Caritas Friedland zufolge, zumindest im Jugendzentrum helfen, die Kleiderkammer unterstützen oder Sprachkurse anbieten. Allerdings fehlt es gleichzeitig an Kapazitäten, die Ehrenamtlichen zu koordinieren. Eine Finanzierung entsprechender Stellen gestaltete sich schwierig, berichtet ein Mitarbeiter der Caritas. Die Erstaufnahmeeinrichtung selber setzt keine Ehrenamtlichen ein.

Das unabhängige Beratungs- und Aktionszentrum Friedland (BAZ) hat derweil Vorschläge präsentiert, die Abseits einer Personalaufstockung zur Besserung der Lage beitragen könnten: Eine kostenlose Nutzung des Nahverkehrs nach Göttingen könnte die Lage etwas entzerren. Auch kostenfreies Internet würde den Geflüchteten helfen, „Kontakt zu Verwandten zu halten und zur Orientierung in einer unübersichtlichen Situation beitragen“.

Dagegen sperrt sich aber die Lagerleitung. Nach jahrelanger Diskussion gibt es zwar mittlerweile ein W-Lan auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung. Die Benutzung ist allerdings kostenpflichtig – obwohl die Göttinger FreifunkerInnen schon angeboten haben, ein kostenloses W-Lan auf dem Gelände einzurichten.

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