Interview zur bevorstehenden Asylrechtsverschärfung
Für Geflüchtete krasser als PEGIDA
von topf am 16. April 2015 veröffentlicht in Gespräche, TitelstorySymbolbild: Die göttinger Ausländerbehörde
Noch in diesen Sommer will die Regierungskoalition das Bleiberecht reformieren. Insbesondere Geflüchtete mit Duldungsstatus wären davon betroffen. Unter anderem sieht ein Gesetz eine deutliche Ausweitung der Abschiebehaft vor. Auch Einreisesperren und Aufenthaltsverbote sind geplant. Monsters hat sich mit Leila von der Basisdemokratischen Linken zu einem Gespräch über das Gesetzesvorhaben getroffen.
Hallo Leila, schön dass du Zeit für ein Gespräch gefunden hast. Vielleicht fasst du erstmal zusammen, was Ihr für Konsequenzen des „Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ befürchtet?
Zentraler Punkt dieses Gesetzes ist die Festlegung der Kriterien für eine „erhebliche Fluchtgefahr“, welche eine Abschiebehaft rechtfertigen sollen. Es geht darum, dass der Gesetzentwurf die Kriterien eines Verdachts auf Fluchtgefahr verschärft. Fluchtgefahr wird dabei lediglich als Verdachtsmoment begriffen – und die Verdachtskriterien sind so gefasst, dass fast alle geduldeten Flüchtlinge in Deutschland darunter fallen. Beispielsweise Flüchtlinge, die bei ihrer eigenen Abschiebung nicht mitwirken wollen, die einen Schleuser für die Einreise bezahlt haben oder die „unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist sind“. So besteht diese Fluchtgefahr bei quasi allen Flüchtlingen, weil es für Flüchtlinge, dank der militarisierten Aussengrenzen, unmöglich ist, ohne die Umgehung einer Grenzkontrolle oder die Nutzung von Fluchthelfern nach Deutschland einzureisen.
Weitergehend wird es dem Staat möglich, Aufenthalts- und Einreiseverbote gegen Menschen zu verhängen, deren Asylgesuch einmal abgelehnt wurde. Das betrifft auch die Geduldeten, deren Aufenthalt hier ohnehin prekär ist – es nimmt ihnen jede Möglichkeit zur Legalisierung. Und es ermöglicht repressive Maßnahmen wie Inhaftierungen und Ähnliches.
Du hast ja eben die Haftgründe angesprochen. Wie groß ist denn der Anteil der Geflüchteten, auf die das Gesetz angewendet werden kann? Und wie wird sich das praktisch auswirken?
Das Gesetz würde auf einen Großteil der hier geduldeten Menschen anwendbar sein – das sind knapp über 100.000 Personen. Das liegt daran, dass aufgrund der geografischen Lage fast alle Geflüchteten, die hierher kommen, unter die Dublin-Verordnung* fallen, also durch andere Staaten nach Deutschland einreisen mussten. Und dadurch, dass diese Menschen unter Generalverdacht der Fluchtgefahr gestellt werden, gibt das Gesetz den Behörden die Möglichkeit, viele Geflüchtete relativ willkürlich in Abschiebehaft zu nehmen.
In was für Situationen könnte dies Gesetz denn angewendet werden? Vielleicht auch ein Beispiel aus Göttingen, wo die Ausländerbehörde in Zukunft anders handeln könnte?
Ein Beispiel ist die blockierte Abschiebung vom April letzten Jahres, da ging es ja auch um einen Dublin-Fall. So wird es schwieriger Abschiebungen zu blockieren, wenn die Leute vorher in Abschiebehaft genommen werden. Genau deswegen wird die lokale Auseinandersetzung mit den Ausländerbehörden noch wichtiger als jetzt schon.
Die Ausländerbehörden sollen in die Lage versetzt werden, eine Abschiebehaft anzuordnen?
Nein, die Abschiebehaft wird richterlich angeordnet aufgrund eines Verdachtes auf Fluchtgefahr. Es kommt dann darauf an, wie der Verdachtsmoment begründet wird. Ich weiß aber auch nicht genau, inwiefern die Ausländerbehörde solche Verdachtsmomente haz. Auf jeden Fall bietet das Gesetz einen großen Interpretationsspielraum für die lokalen Behörden, so dass die noch mehr in den Fokus von Auseinandersetzungen rücken.
Abseits der erweiterten Haftgründe: Es gibt ja auch Befürchtungen, dass das Gesetz Auswirkungen auf das politische Engagement von Geflüchteten haben könnte – worum geht es da?
Nach diesem Gesetzesentwurf besteht nicht nur ein sogenanntes „öffentliches Ausweisungsinteresse“ bei Straftaten, die ein Flüchtling begangen hat. Sondern auch bei politischer Betätigung, die die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gefährden oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dieser Paragraph ist recht diffus ausformuliert und könnte in der Konsequenz ein politisches Betätigungsverbot für abgelehnte AsylbewerberInnen bedeuten. Also selbstorganisierte Flüchtlinge, die mit Flüchtlingscamps, Streiks und Ähnlichem um ihr Bleiberecht kämpfen . Dies könnte unter „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ fallen.
Wenn ich mich im Moment in der Bundespolitik umschaue: Es gibt viele Statements gegen Rassismus und gegen Bewegungen wie Pegida und auch die SPD lobt ständig das Engagement von Geflüchteten. Warum dann so ein Gesetz?
Das ist das Scheinheilige: Es wird sich öffentlich von Pegida und rassistischen Bewegungen distanziert. Im Endeffekt übt diese Asylrechtsverschärfung eine viel krassere strukturelle Gewalt aus, als es diese rassistischen Strömungen tun. Zwar üben die auch Gewalt aus – aber das Asylgesetz wird das Leben von Geflüchteten viel krasser beeinflussen.
Das klingt nach weitreichenden Veränderungen – das Gesetz soll im Juni verabschiedet werden. Gibt es da öffentliche Kritik?
Natürlich gibt es Kritik. Es gibt ein breites Bündnis, das dagegen mobilisiert und eine Aktionswoche bis zum 18. April. In Berlin wurde das SPD-Büro besetzt, in Göttingen wurde es auch kurzzeitig blockiert. Trotzdem ist man einigermaßen pessimistisch, weil das Gesetz bis Juni im Bundestag beschlossen werden soll und weil der Bundesrat dem Gesetz nicht zustimmen muss, da es angeblich die Länder nicht trifft. Die Opposition könnte in Karlsruhe prüfen, ob das Gesetz nicht doch durch den Bundesrat muss – aber es ist die Frage ob das passiert. Und in den Mainstreammedien wird das Gesetz ebenfalls kaum diskutiert.
Das Gesetz lässt sich also nicht mehr verhindern?
Ob der Protest ausreicht, diesen Prozess zu beeinflussen und das Gesetz zu verhindern, ist unklar. Trotzdem ist es wichtig, auf dieses Geschehen aufmerksam zu machen und auch über das parlamentarische Procedere hinaus dagegen zu mobilisieren. Es wäre natürlich schön, wenn sich das noch verhindern ließe, indem es jetzt noch eine große Mobilisierung gäbe. Aber was wichtig ist: Man darf nicht in eine Panik oder Ohnmacht verfallen, sondern muss sehen, dass die Auseinandersetzung mit den lokalen Behörden umso wichtiger wird. Weil letzendlich die Ausländerbehörden, auch in Göttingen, für die Ausführung dieser Maßnahmen verantwortlich sind. Die sind die Instanzen, die dann die Abschiebehaft beantragen und begründen – deshalb gilt es, den Druck auf die lokale Politik zu erhöhen. In welchem Ausmaße diese Umsetzung stattfindet, hängt auch davon ab, ob es gelingt, einen breiten gesellschaftlichen Widerstand gegen diese Praxis und eine breite Solidarität mit den Betroffenen zu etablieren
Danke für das Gespräch!
*Anmerkung: Das Dublin-Abkommen sieht vor, dass Geflüchtete in dem europäischen Land bleiben müssen, über dass sie die EU betreten haben. Falls sie es nach Deutschland schaffen, sollten sie eigentlich dorthin „Rückgeführt“ werden. Unter anderem wegen der mangelhaften Versorgung von Geflüchteten bspw. in Südeuropa werden diese Rückführungen jedoch oft ausgesetzt. Stattdessen behelfen sich die Behörden mit dem Duldungsstatus.
Zum Weiterlesen:
Homepage der Basisdemokratischen Linken Göttingen: http://www.inventati.org/blgoe/
Stellungnahme des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) zum Gesetzesentwurf: http://www.unhcr.de/fileadmin/rechtsinfos/fluechtlingsrecht/3_deutschland/3_2_unhcr_stellungnahmen/FR_GER-HCR_Referentenentwurf_062014.pdf