Heftige Kritik beim Bürgerdialog

Ein Bißchen Griechenland in Göttingen
von am 25. Februar 2012 veröffentlicht in Lokalpolitik, Politik

Die Stadt will sparen und gibt sich alle erdenkliche Mühe, die Bevölkerung in ihre Bemühungen einzubeziehen. Im Internet werden die Sparvorschläge diskutiert und auch beim ersten „BürgerInnenDialog“* im Rathaus ging es heiß her; während die Verwaltung versucht, den Zukunftsvertrags als alternativlos darzustellen, kritisierten die Anwesenden genau diese angebliche Alternativlosigkeit. Ein Zwischenbericht aus dem Rotstift-Milieu.

Seit einer Woche ist das Internetportal zum Zukunftsvertrag einsehbar. Dort präsentiert die Verwaltung ihre Vorschläge, wo die Kommune nochmal Geld abzwacken kann. Die Zahlen erscheinen einleuchtend: Musa und KAZ fusionieren: 50000€ gespart. Kommunale Zuschüsse an den Frauennotruf eindampfen: nochmal 13500€ per Anno. Subventionierung des Schulessens kürzen; 150000€ weniger Ausgaben pro Jahr. Insgesamt stehen 81 Vorschläge der Verwaltung zur Diskussion, gepaart mit einem eindringlichen Appell von Oberbürgermeister Meyer ist die Stoßrichtung klar: „Göttingen muss den Gürtel enger schnallen“. Dabei wird auf dem Internetportal teilweise heftig diskutiert. Während Vorschläge zu ein Einsparungen in der Verwaltung auf kaum Gegenwehr stoßen, hat die vorgeschlagene Fusionierung der Jugendarbeit vom Deutschen Theater und dem jungen Theater eine heftige Kontroverse ausgelöst. Insgesamt hält sich die Beteiligung am Onlineportal jedoch in Grenzen; selbst umstrittene Vorschläge haben nur knapp 400 Bewertungen erhalten.

Doch auch offline wird diskutiert. Am Mittwoch stellten sich Stadtkämmerer Hans Peter Suehrmann und Dr. Fuchs (Innenministerium) den Fragen und der Kritik beim ersten von zwei großen Bürgerdialogen. Moderiert von Klaus Henning (ehem. Landesgerichtspräsident) sollte neben den konkreten Sparvorschlägen auch diskutiert werden, ob der Zukunftsvertrag überhaupt im Interesse der Bürgerinnen wäre. Dabei war bereits nach den einleitenden Statements klar, dass es aus Sicht der Verwaltung und des Landes keine Alternative gibt. Angesichts hoher Zinszahlungen und sich verteuerender Kredite müsse die Stadt das Angebot des Landes annehmen – sonst „hätte man in 10 Jahren ein Bißchen Griechenland in Göttingen“, so Dr. Fuchs vom Innenministerium. Ihm Zufolge hat sich Göttingen in der Vergangenheit eben ein bißchen mehr geleistet, als andere Kommunen in Niedersachsen.

Die Reaktion folgte prompt: Ein Vertreter des Bündnis Lebenswertes Göttingen kritisierte, dass bei der ganzen Diskussion um die Entschuldung die Hintergründe der Verschuldung außen vor bleiben. Diese sei vorallem darin begründet, dass die Kommunen seit den 90ern immer mehr Ausgaben bei zu geringen Mehreinnahmen seitens Landes- und Bundesregierung aufgebürdet bekämen. Wilfried Arnold vom Lumiere ergänzte, dass ihm nicht klar sei, warum jetzt die BürgerInnen und die Kommune streiten würde. Es sei für ihn unverständlich warum die Kommunalpolitik keinen Druck auf die Parteifreunde auf Landes- und Bundesebene ausübe.

Während Stadtkämmerer Suehrmann nicht müde wurde, die Alternativlosigkeit des Zukunftsvertrages zu betonen, brachte Dr. Fuchs eine weitere Perspektive in die Diskussion: Angesichts der begrenzten Mittel des Entschuldungshilfepakts ist es keineswegs sicher, dass Göttingen Mittel aus dem Fonds erhält; von 1,3 Mrd. Euro sind 450 Mio. bereits verplant. Eine Verzögerung der Diskussion in Göttingen würde scheinbar die Chancen einer unmittelbare Entschuldung reduzieren, da die Mittel des Fonds im Windhundverfahren vergeben werden. Zugleich sorgt aber die Eile des Bürgerbeteiligungsverfahrens für Unmut bei den potentiell betroffenen Einrichtungen. Susanne Passoke vom KAZ kritisierte, dass zu viele Bereiche in den 3 Stunden der Diskussion thematisiert werden sollten. Tatsächlich wurde während der Veranstaltung kaum über die Inhalte der betroffenen Projekte diskutiert, stattdessen standen die Einsparsummen der Verwaltung im Vordergrund. Passoke zufolge lehnt der Großteil der Kultureinrichtungen den jetzigen Bürgerdialog ab: er sei“ zu oberflächlich und zu spät“. Ein anderer Besucher ergänzt: „das Kleinklein an Zahlen und das Gegeneinander-Ausspielen ist in diesem Fall wohl eher zerstörerisch als konstruktiv“.

Im Verlauf der Diskussion wurde deutlich, dass zahlreiche Anwesende in den von Kürzungen bedrohten Bereichen tätig sind. Doch auch abseits davon regte sich Unmut. Der Stadtelternrat kritisierte, dass die Erhöhung der Preise des Schulessens sozial unausgewogen sei. Ausserdem habe die Stadt ihr Wort gebrochen, da sie im Gegenzug für eine verstärkte Einbindung ehrenamtlicher Kräfte aus der Elternschaft versprochen habe, die Preise nicht zu erhöhen. Auch der Förderverein „Freibad Weende“ kritisierte die Stadt; Weende sei ohnehin ein vernachlässigter Stadtteil. Neben der Kritik gab es jedoch auch Zuspruch, als eine Bürgerin bemerkte, mit Einsparungen sei es wie mit einer Diät: „Das ist am Anfang wie der unschöne Gang zum Apfel, der ja dann später genauso glücklich macht wie der Gang zur Schokolade.“ Der Applaus fiel mäßig aus.

*von uns gegendert.

Das Artikelbild stammt von Thomas Müntzer, tätig bei www.puk.de

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Ein Kommentar auf "Ein Bißchen Griechenland in Göttingen"

  1. MKR sagt:

    Mit den Worten „wir sehen die Sache nur fiskalisch“ bügelte Frau Dr.Schlappheit-Beck jede inhaltliche Diskussion über die sogenannten „Kürzungsangebote“ in der Kulturausschußsitzung vom 23. Februar 2012 ab. Die Wortwahl ist hier besonders interessant: „Kürzungs-Angebote“!!! Die Verwaltung diktiert der Politik was zu tun ist. 

    Wieviel Missachtung muss man den gewählten politischen Vertreten der Bürger entgegenbringen, um berechtigte Informationen zu verweigern. Auf welcher Grundlage sollen die Ratsmitglieder entscheiden?
    Ist es Zufall, dass der Vertreter der Landesregierung – Dr. Oliver Fuchs, mit dem die Verwaltung der Stadt seit Monaten über die Bedingungen des EHP verhandelt, aus dem Innenministerium stammt?
    Ist es Zufall, dass die Kürzungen ausgerechnet Einrichtungen trifft, die sich um soziale Gerechtigkeit, Integration, „alternative“ Kultur kümmern?
    Ist es Zufall, dass augrechnet dem Innenminister Uwe Schünemann genau diese Einrichtungen politisch unbequem sind?

    Fragen über Fragen.

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