Längst geht es nur noch ums Prinzip: Südspange
von Harvey am 18. Mai 2010 veröffentlicht in Lokalpolitik, städtischesWer in Göttingen gemeldet ist, bekommt in Kürze Post: Ein Abstimmungsbogen fordert auf, sich für oder gegen eine neue Umgehungsstraße im Süden Göttingens zu bekennen. Es ist eine emotional aufgeladene heißumkämpfte Frage, und für die Kämpfer auf beiden Seiten geht es schon lange nicht mehr um reine Sachargumente.
Eigentlich kommt man in Göttingen prima durchs Leben, ohne von der Kommunalpolitik behelligt zu werden. Als linker kritischer Mensch ist sonst sicher vor allem die Sozial-, »Ausländer-« und Kulturpolitik interessant – mit so Kleinbürgerlichkeiten wie Bürgermeistern, die sich nicht genug darüber aufregen können, dass ihre Angestellten nicht in allen Cafés willkommen sind.
Dieser Tage allerdings rückt in den Fokus der Göttinger, was tatsächlich schon lange auf der kommunalpolitischen Agenda herumgeistert: Verkehrs-, Siedlungs- und Umweltpolitik, und das in konzentrierter Form. Nachdem vor etlichen Jahren verschiedene große Konzepte für eine Verkehrsführung im Göttinger Süden (»Südumgehung«) gehandelt wurden, konzentriert sich die politische Frage jetzt auf einen konkreten Abschnitt, den manch politische Fraktion denn auch als nur den Beginn eines größeren Konzepts ansieht: Die sogenannte »Südspange«.
Die geplante eventuelle Streckenführung (zugrundeliegendes Kartenmaterial © OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA)
Während die FDP mit Verve für die neue Straße und die Grünen und die Linkspartei sich dagegen stellen, so halten sich CDU und SPD zurück. So kam es schließlich auch zur Abstimmung, denn die vorgebliche demokratische Legitimation, die bei anderen Entscheidungen stolz vor sich hergetragen wird, holt man sich – natürlich nur in dieser Frage – dann doch lieber direkt bei den Bürgern: denen schiebt man dann einfach hinterher auch die Verantwortung zu. Natürlich geben die Parteien dabei jeden weiteren Faden nur ungern aus der Hand und hinter den Kulissen wird sich fleißig gekabbelt. Der Rat der Stadt Göttingen fühle sich an das Ergebnis der Abstimmung gebunden, so heißt es. Vielleicht wird dann ja später noch entschieden, wie gebunden man sich denn nun genau fühlt.
Mit dieser neu zu bauenden Straße, so die Befürworter, solle vor allem die Reinhäuser Landstraße entlastet werden. In einer Stadt wie Göttingen bedeutet »entlastet« denn auch: Die Immobilienpreise in der Reinhäuser Landstraße sollen nicht entwertet werden. Andere hoffen auf Lärmreduzierung und auch ein anderer kommunalpolitischer Tummelplatz wird aufgemacht: Die Feinstaubbelastung würde reduziert (in Göttingen reicht die zulässige Höchstbelastung gerade mal für ein halbes Jahr).
Dagegen spräche nach Ansicht von Gegnern, dass das »Naherholungsgebiet Göttinger Süden« nachhaltigen Schaden erleiden würde. Gleichzeitig wird infrage gestellt, dass tatsächlich eine Verkehrsentlastung in der Innenstadt eintreten würde. Und nicht zuletzt: Die Kosten von etwa acht Millionen Euro würde der Stadthaushalt nicht tragen können, so dass unweigerlich Kürzungen an anderer Stelle die Folge seien.
Umkämpfte Idylle: Auf der Wasserwerksseite ist die Kiesseestraße einer der ruhigsten Flecke in Göttingen
Beide Positionen haben also Argumente – ob diese gut sind, ist die andere Frage. Und streiten beide Parteien, so dauert es nicht lang, und es geht den Diskutanten nur noch ums Prinzip. Lange schon scheint es vielen nur noch ums Prinzip und den politischen Erfolg der eigenen Position, haltbar oder nicht, zu gehen. Skurril mutet es dann an, wenn die Befürworter der neuen Straße versuchen, selbst auch ein Naherholungsgebiet zu retten: Eventuell könne ja der Sandweg vor dem Kiessee dann gesperrt werden, was den Kiessee aufwerten würde.
Nebenschauplätze sind auch die klar parteiischen Medien: So halten sich die bürgerlichen Schrittmacher der öffentlichen Meinung Göttingens mit der Berichterstattung zurück oder machen gleich unverblümt Werbung für die Südspange – so jedenfalls der Vorwurf der Gegner der Straße, der sicher nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Gerne wird sich um die Interpretation einer von der Stadt beauftragten Verkehrsstudie gestritten, viel subjektive Empirie kommt hinzu (die Autofahrer würden die neue Strecke nicht nutzen, da viel Innenstadtverkehr darunter etc. pp.). Andere verweisen auf die absehbar stärkere Verkehrsbelastung in anderen Bereichen, wie zum Beispiel in der Kiesseestraße, die dann den Verkehr aus Geismar führen würde. All diese Interpretationen sind vage – und dabei beziehen die Befürworter der neuen Straße doch ihr zentrales Verkehrsentlastungsargument aus einer solchen Interpretation.
Freilich ist andererseits auch das »Naherholungsgebiet Göttinger Süden« sicher keine unberührte Natur, die es zu retten oder erhalten gilt, sondern intensiv landwirtschaftlich genutzte Fläche. Dennoch – und sei es auch nur wegen des Wasserschutzgebiets rund um das Wasserwerk – gibt es einige Inseln, in denen die Natur noch einigermaßen freies Spiel hat. Und auch wenn einem hunderte anderer Menschen dabei über den Weg laufen, so ist ein Spaziergang an einem sonnigen Sommertag sicher eine nette Sache. Bisher ist das lauteste Element dabei noch das fallende Wasser am Wehr oder am Wasserwerk-Leineabzweig, nur ganz leise hört man den Verkehr auf der A7. Und dass man am Wehr nicht direkt an einer Straße steht und zur Zeit noch bis zum Reinshof gucken (oder gern auch: joggen) kann, ist sicher für Bewohner der Süd- und Innenstadt auch eine feine Sache.
Keine unberührte Natur, aber für einen Stadtbewohner zumindest eine Ahnung Natur.
Jetzt wird ein paar Tage lang also die Frage im Raum stehen, was man denn mit den zugesandten Papieren macht. Unterm Strich ist die politische Frage die einer Interessensgewichtung. Wer das ganze als Farce sieht und sich nicht beteiligen mag, hat dafür sicher eine Menge guter Gründe bekommen. Andererseits besteht eine Restchance, tatsächlich selbst Einfluss zu nehmen – und das Kreuz auf dem Zettel ist schnell gemacht.
Nach der Kritik beim letzten Artikel dann mal danke für diese kritische Darstellung mit guten Hintergrundinfos. Scheinbar gibt es in Göttingen keine anderen Probleme oder keine über die öffentlich geredet würde. Ich hätte ja gerne über wirklich relevante Angelegenheiten abgestimmt oder wie wäre es mit einer Bürgerbefragen wo die Einwohner selber angeben können, was sie gerne anders hätten. Ich frage mich zwar noch immer was das ganze soll aber immerhin bin ich nicht der einzige 🙂
Mann, Harvey,
schonmal von dem Typen gehört, der sich totgemeckert hat und an seiner eigenen Galle erstickt ist?
Da gibts mit der Befragung wenigstens mal einen sanften Hauch von Bürgerbeteiligung, aber das ist dir als Berufsdogmatiker auch wieder nicht recht, weils ja von der Stadt kommt und damit vom Feind. Ich finds ganz gut, dass die „den Bürgern die Verantwortung zuschieben“, die nehme ich gerne an, auch wenns vielleicht nicht bindend ist.
Wenn dann das Bürgervotum letztendlich ignoriert werden sollte, hätte man sich immer noch beschweren können – so ists einfach nur albern. Nicht?
Hey, haste ’n Problem mit meinem Opa? 😛
Neenee, mit der Stadt hab‘ ich mich schon einigermaßen arrangiert. Ich nehm‘ vielleicht nicht jedes Amt so ernst wie der jeweilige Träger das tut, aber geschenkt. Beim Ernstnehmen von Kommunalpolitikern hab‘ ich schon mehr Probleme. Und da tun die, nicht nur bei der Südspange, ihr übriges dazu. Aber in den kommenden Tagen wird sicher noch die ein oder andere Schote dabei herauskommen.
Naja, und eigentlich ist der Artikel auch ein Opener zu diesem Thema hier auf MOG. Vielleicht haben ja auch Leute Lust, hier in den Kommentaren ein wenig politisch zu werden. Die Frage um die »direkte Demokratie« ist dabei schon recht verwoben mit den Pro/Contra-Argumenten, wenn man die Frage stellt, wieso ausgerechnet hier bei diesem Thema die Bürgerbefragung stattfindet.
Als Rosdorfer wird man ausgeschlossen, so lächerlich…
>Als Rosdorfer wird man ausgeschlossen, so lächerlich…
Die Rosdorfer haben ihren Teil der Südspange doch schon gebaut, damit die Göttinger da andocken können. Also bitte nicht maulen.
Also sind die Rosdorfer als Ganzes Schuld? Hihi!
Ich für meinen Teil gehe da ja gerne spazieren, an Umgehungsstraßen hingegen weniger.
>>Als Rosdorfer wird man ausgeschlossen, so lächerlich…
>Die Rosdorfer haben ihren Teil der Südspange doch schon gebaut, damit die Göttinger da andocken können. Also bitte nicht maulen.
http://knowyourmeme.com/i/1072/original/Trollface.png
„Längst geht es nur noch ums Prinzip“: Du behauptest, das sei auf beiden Seiten so. Die Asphaltfraktion plädiert für die Südspange mit Argumenten, von denen ihr hellerer Teil weiß, daß sie erstunken und erlogen sind: Die Situation in der Reinhäuser Landstraße wird sich nicht spürbar verbessern, wie soll eine Ost-West-Straße auch eine Nord-Süd-Straße entlasten? Ansonsten gibt es auf dieser Seite die von 35 Jahren Propaganda verführten AnwohnerInnen dieser Straße, die die Sprüche ihrer Verführer nachbeten und glauben, vor ihrer Haustür könne man demnächst Urlaub machen. .
Bei den GegnerInnen hingegen kann ich keine Prinzipienreiterei entdecken – im Gegenteil, auf wimmelt es nur so von Argumenten. Verstehen wir unter Prinzipienreiterei verschiedene Dinge?
Wenn Dich das Thema nicht interessiert, mußt nicht ausgerechnet Du etwas dazu schreiben. Und wenn es Dich interessiert, dann setze Dich bitte damit auseinander, bevor Du schreibst! Sätze wie der oben zitierte und „Beide Positionen haben also Argumente – ob diese gut sind, ist die andere Frage.“ zeugen nicht gerade von einer Beschäftigung mit dem Thema.
„… so halten sich CDU und SPD zurück“ – was für ein Unsinn! Die CDU ist genauso vehement dafür wie die FDP. In der SPD halten sich BefürworterInnen und GegnerInnen in etwa die Waage. Die knappe Mehrheit pro Südspange ist der Tatsache geschuldet, daß der OB für die Südspange ist und FDP und CDU ihn permanent damit gepiesackt haben, er habe seine Partei nicht im Griff – seit der Abstimmung mit dieser knappen Mehrheit agiert die SPD ebenfalls in eindeutiger Weise, ihre südspangenkritischen Unterorganisationen sind eher unsichtbar geworden.
Ach lieber Freund des Südens, ich schreib über das, was mir passt, ohne dich um Erlaubnis zu fragen und das bleibt auch so. Und irgendwie zeigt dein Diskussionsstil sehr gut auf, was für Probleme ich mit der Diskussion habe. Nein, ich nehme dir nicht ab, dass es _gar_ keinen Entlastungseffekt geben würde. Das ist eine Frage der Schätzung, schon klar, und auch ich glaube nicht an eine wirklich deutlich spürbare Entlastung. Die auf der von dir verlinkten Homepage genannten Argumente sind hier auch im Artikel verarbeitet. Dass du dann vor allem ad personam argumentierst ist ja irgendwie ebenfalls bezeichnend. Glaub‘ mir, ich setze mich auch schon länger mit dem Thema auseinander. Ich mag bloß nicht blind Argumenten hinterherrennen, von denen ich nicht überzeugt bin. Jeder möge sich gern die Seite anschauen, aber ehrlich gesagt sehe ich dort nur mau und vage vorgetragene eigene Argumente und vor allem Gebashe des „Gegners“. Und genau das ist meine Kritik, dass jeder glaubt, mit seiner Position gut dazustehen, wenn er nur die (schwache) Position des Gegners genug diskreditiert.
Zu einer Frage, die mir eigentlich gar nicht besonders wichtig ist: In der Öffentlichkeit agiert die CDU deutlich zurückhaltender als die FDP, für die SPD gilt das auch. Dass das vielleicht bei den Kabbeleien hinter den Kulissen anders aussieht — geschenkt. Ist mir doch egal, welche Grabenkämpfe und Partei/Fraktions-Austritte dort passieren.
Es könnte so sein, es könnte aber auch so sein und sich darüber zu streiten ist Prinzipienreiterei? So ein blöder Artikel! Er hat eine analytische Tiefe, die der Wassereintauchtiefe eines Luftkissenbootes vergleichbar ist.
Da ich ja hier in den Kommentaren immer noch weiterschreibe, fällt mir auf, dass ich hier meine insgesamt etwas distanziert-kritische Haltung vor allem gegenüber den Gegnern der Südspange verteidige: Das hat wirklich nichts damit zu tun, dass ich etwa Freund eines solchen Straßenbau wäre. Das noch mal zur Klarstellung. Es liegt mir nicht daran, hier die – in meinen Augen noch weniger überzeugende – Position der Befürworter irgendwie zu stützen. Von deren Argumenten halte ich allenfalls das mit der Verkehrsentlastung in bestimmten Bereichen für halbwegs plausibel und haltbar (und über den Grad der Entlastung wäre sicher zu streiten, s.o.).
Es verwundert mich sehr, dass das Thema Südspange seit Monaten hoch diskutiert wird, die Tatsache dass der Göttinger Stadtwald demnächst zum FFH Gebiet erklärt werden soll jedoch nicht einmal ansatzweise erwähnt wird. Dies würde eine Sperrung des kompletten Waldes mit ausnahme der großen Straßen bedeuten. Hierbei geht es tatsächlich um unberührte Natur…….
@Harvey: „Längst geht es nur noch ums Prinzip“ und „Beide Positionen haben also Argumente – ob diese gut sind, ist die andere Frage.“ ist nun wirklich selten dämlich und argumentfrei.
Deswegen die Kritik hier von Leuten, denen das ganze nicht am Arsch vorbei geht.
Schön wäre es, wenn du dich tatsächlich mal positionieren würdest, statt blasiert den distanzierten Kritiker zu spielen, mit einer Begründung wieso du z.B. nicht von den Argumenten der GegnerInnen überzeugt bist.
Was sagst du dazu,
-dass es eben nicht zu einer Verkehrsreduktion kommt sondern allenfalls zu einer Verkehrsverlagerung (d.h. Mehrbelastung auf anderen städtischen Straßen wie Kiesseestr., Wiesenstr., Rosdorfer Weg), deswegen auch
-keine Reduktion der Feinstaubbelastung zu erwarten ist (die großräumig eingetragen wird – wie du ja wohl weist);
– der ganze Schwachsinn knapp 10 Mio kosten wird, die an anderer Stelle fehlen, von denen einige Mio direkt von der Stadt zu tragen sind, die auf Grund ihrer Schulden schon an vielen anderen Stellen spart, die sicherlich wichtiger sind als mehr Asphalt …
Noch ein paar Argumente pro Südspange: http://www.youtube.com/watch?v=uVviNztBkQI
Huiuiui,
irgendwie steht bei Göttinger Mobilisierungs-Videos ja eine Gesichter-Verunkenntlichmachung ganz hoch im Kurs. Ich finde trotzdem das Südspangen-Video besser, um nicht zu sagen: Das ist großartig!