Abschlussfilm über 05
Glotze aus, Nullfünfer an!
von Matthias Pabst am 25. März 2014 veröffentlicht in Leinwand, TitelstoryPremierenparty im Nullfünf-Fanraum Foto: Franziska Weidle
Fernsehen? War’n se schon. Jetzt gibt’s die ehemaligen „Fans ohne Verein“ auf Leinwand zu sehen. Die Kulturanthropologin Birgit Ehret hat die Nullfünfer zwei Jahre lang für ihren Abschlussfilm begleitet. Am vergangenen Freitag lud sie zusammen mit der Supporters Crew in den Nullfünf-Fanraum ein – zur Weltpremiere.
Um 19:05 Uhr ist noch gar nichts zu sehen. Die Leinwand ist leer, genauso wie die Bierbänke davor. Fast alle Fans und Freunde des 1. SC Göttingen 05 stehen vor der Tür des Nullfünf-Fanraums. Neben dem Eingang des Gebäudes steht ein Grill auf dem Bratwürste brutzeln. Es wird gequatscht, geraucht und Sekt getrunken. Wie bitte? Sekt? Ja, bekommt man an der Theke gesagt, vor dem ersten Bier trinkt jeder hier erst mal ein Gläschen Sekt. Auch die Presse.
Fast alle, die zur Premiere des Films „NULLFÜNFer – mit Kopf, Herz und Seele“ gekommen sind, befinden sich in einem Zustand euphorischer Vorfreude. Der Vorführraum des Fanraums ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch die Stehplätze. Aber für echte Fans gibt es sowieso nichts anderes. Die 05-Supporters haben für die Trennung zwischen Sitz- und Stehplätzen sogar rot-weiße Hamburger Gitter organisiert – stilecht. Bevor es los geht, richtet die Regisseurin Birgit Ehret noch ein paar Worte an die Zuschauer. Ehret ist Kulturanthropologin und der Film ist Teil ihres Studienabschlusses. Sie ist aufgeregt, sagt sie, und hoffe, dass es allen gefallen werde. Und dann geht das Licht aus.
„Da will ich jeden Sonntag sein!“
Halbtotale. Die Szene zeigt einen Mann um die 40, der in die Kamera spricht. Auf seinem Schoß sitzt ein Kind, vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Es gähnt, ist offensichtlich gelangweilt von der Situation. In der Hand hält es ein Spielzeugauto. Dem Papa leuchten die Augen als er sagt: „Das ist geil! Da will ich sein. Da will ich jeden Sonntag sein!“
Szenen wie diese lösen großes Gelächter aus. Es gibt viele solcher Momente. Die Nullfünfer freuen sich über den Film, in dem sie selbst vorkommen. Gefilmt wurden sie auf Busfahrten, bei Stadionbesuchen und sogar im eigenen Zuhause. Da ist zum Beispiel Ingo, einer der Älteren des „harten Kerns“ der 05er. Ingo erzählt auf seiner Gartenterrasse bei Kaffee und Kuchen munter von seinem Fan-Verständnis. Klar, nicht alles, was im Stadion gesagt (gebrüllt, Anm. d. Red.) wird, erzählt Ingo, würde er so zum Beispiel in Gegenwart eines Chirurgen des Uniklinikums sagen. Was Ingo so nicht sagen würde, ist in der folgenden Szene zu sehen, wenn er lautstark die Leistung des Schiedsrichters „kritisiert“. Fußball erregt. So viel ist sicher.
Fußball für Alle
Der Film ist vielseitig. Neben dem Humor der Gruppe, den Ehret großartig in Szene setzt, zeigt er auch die Ernsthaftigkeit des eigenen Verständnisses. „Wir geben den Kopf ja nicht an der Stadionkasse ab“, sagt Kevin (Name von der Redaktion geändert) von der „Rasensportguerilla“, einer 05-Fangruppe. Den Männern und Frauen, die sich als Supporters Crew bezeichnen, ist es wichtig, ihre Werte im Stadion und im gesamten Fußballumfeld öffentlich zu machen. Immer wieder fallen die Worte Toleranz und Antirassismus. Besonders die älteren Anhänger wissen, warum das im Fußball, warum das auch bei Göttingen 05 wichtig ist. Noch bis in die 90er Jahre war die organisierte Fanszene im Jahnstadion braun. Fotos zeugen von dieser Zeit, Hakenkreuze am Kabinentrakt, rechte Parolen auf Spruchbändern. „Das wollten wir nicht mehr“, erklären sie und fügen an, dass sie den Nazis „den Raum weggenommen haben“. Erfolgreich, wie man heute sehen kann.
Die jüngere Geschichte des 05-Supports ist von Umbrüchen geprägt. Finanzielle Schwierigkeiten, Lizenzverluste, Vereinsfusionen – wer nicht aufmerksam war, stand leicht mit einem veralteten Wappen auf der Tribüne. Die vielleicht prägendste Phase erlebten die Fans in der Landesliga, der sechsten deutschen Spielklasse. Das damalig genutzte Stadion an der Benzstraße lässt sie alle wehmütig zurückblicken: Vom Familienvater, der seine Tochter auf dem Spielplatz nebenan rutschen lassen konnte, bis zu den Jungen, die den Charme und die Nähe des Platzes preisen. Junge und Alte, Ultras und Anhänger. Zum Ende glaubt man, dass sie alle wirklich gute Freunde sind.
Zusammengehörigkeitsgefühl
Das Licht geht an. Lauter Jubel, langanhaltender Applaus. Regisseurin Ehret ist sichtlich gerührt. Sie verneigt sich einmal kurz, wie eine Schauspielerin auf der Bühne. Ihre Wangen leuchten. Dann richtet sie das Wort an die Fans, Zuschauer und Protagonisten. Auf viele der Anwesenden treffen alle drei Bezeichnungen zu. Sie bedankt sich bei allen so ausgiebig und persönlich, dass es einem beinahe etwas unangenehm ist: Man fühlt sich wie der einzige Fremde unter lauter langjährigen Freunden. Auf der anschließenden Party steht sie dann nicht mehr allein im Rampenlicht. Alle freuen sich, quatschen über den Film, die Arbeit, die Welt. Jede Menge Schulterklopfen, High-Fives und Umarmungen. Vielleicht, so vermutet Ehret später im Interview, ist es genau das, was die Nullfünfer so ausmacht: „Im Endeffekt baut alles auf diesem Gemeinschaftsaspekt auf“.
Der Film „NULLFÜNFer – Mit Kopf, Herz und Seele“ läuft dieses Jahr noch auf einigen Festivals, unter anderem auf dem „11-mm Fußball Film Festival“ in Berlin. Weiter ist eine Fußballkneipentour geplant. Alle Infos und Termine findet Ihr auf Birgit Ehrets Filmblog.