Roma-Familien

Abschiebung vertagt
von am 30. April 2013 veröffentlicht in Migration

30 UnterstützerInnen für Roma-Familien vor dem Neuen Rathaus

Das Schicksal zweier Roma-Familien aus Göttingen wird vertagt: Innenminister Boris Pistorius hatte den Fall am Montag auf dem Schreibtisch und hat ihn an die Härtefallkommission des niedersächsischen Landtags weitergereicht. Die Göttinger Ausländerbehörde hat er gebeten, die Abschiebung aufzuschieben. Mehrere Initiativen unterstützen die beiden Familien in Sachen Bleiberecht.

„Wenn Du in den Kosovo kommst, wirst Du von der albanischen Mafia erpresst. Das ist einer der Gründe warum wir damals geflüchtet sind,“ erzählt Ibrahim K. 1999 flohen er und sein Bruder Brahim mit ihren Familien aus dem vom Krieg zerstörten Kosovo. Die meisten Kinder der beiden Familien sind in Deutschland geboren. Alle sind hier aufgewachsen, sprechen Deutsch und gehen hier teilweise zur Schule. Das Herkunftsland ihrer Eltern ist ihnen fremd. Heute kämpfen sie vor dem Göttinger Rathaus dafür, dass sie in Deutschland bleiben dürfen.

Die beiden Familien haben keinen Aufenthaltstitel. Seit 14 Jahren leben sie im Rahmen sogenannter Kettenduldungen in Deutschland. Diese „Aussetzung der Abschiebung“ wird, je nach Ermessen der Ausländerbehörde, monatlich oder nach mehreren Monaten verlängert. Bis Mitte April diesen Jahres hat die Stadt die beiden betroffenen Familien „geduldet“. Dann kam der Bescheid: Am 7. Mai sollten sie abgeschoben werden.

Innenministerium unter Zugzwang

Mehr Menschlichkeit in der Asylpolitik hatte Rot-Grün nach dem Landesregierungswechsel im Januar versprochen. Jeden einzelnen Abschiebefall möchte der neue Innenminister Boris Pistorius (SPD) persönlich prüfen. Heute hat er sich den Fall zweier Roma-Familien aus Göttingen vorlegen lassen. Anstatt den zukünftigen Aufenthaltsstatus der Familien zu klären, hat Pistorius den Fall an die Härtefallkommission des niedersächsischen Landtags weitergereicht.

„Zur Zeit wird eine neue Härtefallkommissions-Verordnung erarbeitet“, sagt die Pressesprecherin im Innenministerium, Vera Wucherpfennig. Die Verordnung solle vermutlich im Juli oder August diesen Jahres in Kraft treten. „Die Betroffenen haben dann nochmals die Möglichkeit ein Härtefallersuchen zu stellen und die dringenden persönlichen Gründe vorzubringen, die ihre weitere Anwesenheit im Bundesgebiet rechtfertigen können,“ so Wucherpfennig weiter. Die Göttinger Ausländerbehörde solle die für den 7. Mai anstehende Abschiebung aufschieben, erklärt die Sprecherin gegenüber MoG.

UnterstützerInnen-Aktion vor dem Neuen Rathaus

Seitdem die geplante Abschiebung Ende letzter Woche bekannt war, haben sich viele Initiativen aus Göttingen in den Fall eingeschaltet. Sie riefen zum Protest auf, am Montagvormittag versammeln sich dann 30 UnterstützerInnen auf dem Hiroshimaplatz vor dem Rathaus. Die Polizei sperrt den Haupteingang ab, BesucherInnen werden über den Nebeneingang umgeleitet. Eine Kundgebung mit Redebeiträgen gibt es nicht. Ziel der UnterstützerInnen-Aktion soll es sein, eine Verlängerung der Duldung bei der Göttinger Ausländerbehörde zu erwirken.

Beratung zur Begleitung im Rathaus

Dazu werden Ibrahim K. und sein Brüder Brahim K., die beiden Väter der Roma-Familien von einigen UnterstützerInnen beim Behördengang begleitet. VertreterInnen des Roma-Centers, des Arbeitskreis Asyl, der Gesellschaft für bedrohte Völker, der Grünen Jugend Göttingen und des boat-people-projekts gehen mit ihnen ins Neue Rathaus. Eine erneute Duldung können sie jedoch nicht durchsetzen: Die Ausländerbehörde dürfe nach einer terminierten Abschiebung aus rechtlichen Gründen keine neue Duldung erteilen, heißt es.

Der Schwarze Peter bei den Zuständigkeiten

Wer ist verantwortlich für die Anordnung der Abschiebung? „Bereits im März habe ich mich mit dem Ministerium über den Fall abstimmen wollen, habe aber lange Zeit keine Antwort bekommen,“ erzählt Ordnungsdezernent Siegfried Lieske. Vergangenen Freitag hätte er Nachricht aus dem Innenministerium bekommen, die Abschiebung werde nun erneut geprüft.

Bis zu dieser Prüfung am Montag wollten sich die Behörden anscheinend alle Optionen offen halten. „Wir haben aus dem niedersächsischen Innenministerium die klare Anweisung gekriegt, für die Abschiebung alles in die Wege zu leiten,“ sagt der Leiter der Ausländerbehörde, Joachim Rogge. Die Kommune sei hier „an die Vorgaben aus den Landesbehörden gebunden.“ Die Zuständigkeit für die Abschiebung sehen Lieske und Rogge demnach beim Innenministerium: „Ich persönlich hoffe, dass die Familien im Land bleiben dürfen“, sagt Lieske schließlich.

Falsches Argument: Integration

Die Ausländerbehörde und die betroffenen Familien hatten sich in letzter Zeit über Integrationsbemühungen verständigt und diese gegenüber dem Innenministerium erklärt. Angeblich wurde diese Vereinbarung „in einem positiven Tenor geschrieben“, berichtet Stefan Klingbeil vom AK Asyl, nachdem er von der Begleitung der Brüder K. aus dem Rathaus zurück ist.

Aus Sicht des AK Asyl greift das Argument der Integration hier nicht. „Du kannst nicht zwölf Kinder, die hier geboren sind, abschieben“, kritisiert Klingbeil. „Man kann darüber streiten, wie sie sich zum Beispiel in der Schule bemühen, aber die Kinder sind hier sozialisiert“, so Klingbeil weiter. „Wo sonst sollen sie integriert sein?“

Eines dieser Kinder ist in Göttingen nicht unbekannt. Letztes Jahr hatte die damals 12-jährige Anita O. die Hauptrolle in dem Theaterstück „Rosenwinkel“ gespielt. Anita freue sich bereits auf die für den Sommer geplanten Gastspiele, erzählt Regisseurin Luise Rist vom boat-people-projekt. Rist versucht nun, durch das Theaterprojekt und Öffentlichkeitsarbeit auf den Fall aufmerksam zu machen. Sie sagt: „Unsere Hauptdarstellerin Anita O. soll abgeschoben werden, natürlich steht das boat-people-projekt geschlossen hinter den Familien.“

Das Roma-Center Göttingen zeigte sich in einer Mitteilung auf Facebook erleichtert über den vom Innenministerium ins Spiel gebrachten Härtefallantrag: „Das ist ein wichtiger Erfolg, dennoch bleibt für viele andere die Abschiebegefahr bestehen.“

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