1. Mai
Was Nazis gegen Kapitalismus haben
von administradore viejo am 22. April 2013 veröffentlicht in Hintergrund, NeonazisWollen gerne arbeiten: Nazis am 1. Mai 2011 in Halle. Foto: Monitrex.
Zum 1. Mai verkünden nicht nur Gewerkschaften ihre politischen Forderungen. Auch Neonazis nutzen den Tag, um sich antikapitalistisch zu geben. Doch ihre Forderungen führen nicht etwa in die Emanzipation, sondern in den Faschismus. Unser Autor Michael Barthel hat das Buch „Völkischer Antikapitalismus? Eine Einführung in die Kapitalismuskritik von rechts“ mitverfasst und stellt die Grundlagen rechter Kapitalismuskritik vor.
Neulich verkündeten ein paar Nazis aus Northeim stolz auf ihrer Website, dass sie eine Mobilisierungsveranstaltung zum 1. Mai in Dortmund abgehalten hätten. Selbstverständlich waren die Kameraden „bewegt“ nachdem sie sich einen Vortrag anhören mussten und auch die üblichen „Balladen zum Ausklang des Abends“ dürften für das ein oder andere Tränchen gesorgt haben. Wer sich schonmal via YouTube entsprechendes angetan hat, kann dies nachvollziehen. Ist nämlich eine traurige Angelegenheit.
Nicht nur in Dortmund, auch in Erfurt und Frankfurt sollen am 1.Mai Großdemonstrationen von Neonazis stattfinden. Im vergangenen Jahrzehnt hat dieses Datum für rechte Aktivitäten eine immer größere Bedeutung erlangt. Schon lange stellen die Nazis auch sozialpolitische Themen in den Mittelpunkt ihrer Agitation, bedienen sich der Aktionsformen sozialer Bewegungen oder fordern die Abschaffung des Kapitalismus. Nicht wenige Beobachter_innen sprechen in diesem Zusammenhang von „sozialer Demagogie“ oder gar von einer „Kopie“ linker Politik.
Die Industrialisierung als Grundlage des modernen Antisemitismus
Dabei ist die rechte Antwort auf die soziale Frage so alt wie diese Frage selbst. Sie entstand infolge der zunehmenden Industrialisierung im deutschen Raum des 19.Jahrhunderts. Die Aufhebung der Leibeigenschaft im modernen Nationalstaat ebnete dem Kapitalismus den Weg. Fortan war es möglich, dass sich rechtlich gleiche Bürgerinnen und Bürger auf dem Markt begegneten, wo die einen nichts als ihre Arbeitskraft zum Verkauf anbieten konnten, während die anderen – im Besitz von Produktionsmitteln – auf diese angewiesen waren.
Während die Arbeiter_innen austauschbar waren, eigneten sich die anderen den Mehrwert an, der infolge der Ausbeutung von Arbeitskraft entstand. Kapitalistischer Konkurrenzdruck sorgte für elendige Verhältnisse der Arbeiter_innen: Wer mehr Mehrwert aus deren Tätigkeit abschöpfte konnte größeren Gewinn einstreichen. Das war eine Ursache für die Entstehung der frühen Arbeiterbewegung, die sich mit dem Ziel, bessere soziale Verhältnisse zu schaffen, organisierte.
Die Sorge um das Auseinanderdriften der Nation durch die Verelendung der Arbeiter_innen trieb Kräfte wie den „Verein für Socialpolitik“ um, der zur deutschen Nationalökonomie gezählt wird. Der Verein wollte den Staat einspannen, um Unruhen zu verhindern und einer gesellschaftliche Desintegration entgegenzuwirken. Nach Ansicht der Nationalökonomen sollte der Staat die wirtschaftliche Macht begrenzen oder zumindest Einfluss auf sie nehmen.
„Die soziale Frage ist die Judenfrage“
Die Nationalökonomen hielten den Staat für die Verkörperung eines ‚Volkes’, was zur Formung einer Nationalökonomie führe, die den vorherrschenden ‚Volks’- und ‚Nationalgeist’ in die wirtschaftliche Tat umsetze. Den Grundstein für diese Schule legte der Philosoph Johann Gottlieb Fichte, als er im Jahre 1800 seine Schrift „Der geschloßne Handelsstaat“ vorlegte. Zum Umfeld der Nationalökonomie gehörten sich Wirtschaftstheoretiker und Publizisten, die es verstanden die soziale Frage mit Nationalismus und Antisemitismus zu verbinden. So z.B. der Publizist Otto Glagau, der die Parole „Die soziale Frage ist die Judenfrage“ prägte.
Werner Sombart ein heute noch hoch angesehener Protagonist des Vereins für Socialpolitik veröffentlichte mit seinem Werk „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ im Jahre 1911 den ersten Versuch einer ökonomietheoretischen Fundierung der antisemitischen Verbindung von Judentum und Kapitalismus. Dieses postulierte eine wesenhafte Verbindung ‚jüdischer Eigenschaften’ mit kapitalistischen Prinzipien. Die bestehenden Vorurteile, wonach Juden raffgierig, machthungrig und nicht sesshaft seien, wurden so mit dem Etikett der Wissenschaftlichkeit geadelt.
Weiterlesen:
Von Michael Barthel erscheint demnächst im Unrast Verlag:
Michael Barthel/ Benjamin Jung: Völkischer Antikapitalismus? Eine Einführung in die Kapitalismuskritik von rechts, Münster 2013.
Deutscher Sozialismus
Bereits im Deutschen Kaiserreich eigneten sich Anhäger der Nationalökonomie den Begriff des Sozialismus an. Scherzhaft war auch von „Kathedersozialisten“ die Rede. In den 1920er Jahren wurde der Begriff durch Oswald Spengler und Arthur Moeller van den Bruck zu einer Bezeichnung für das Konzept eines autoritären Ständestaats radikalisiert, der disziplinierend auf die Wirtschaft wirken sollte. Spengler und Moeller konnten auf eine weitreichende Rezeption ‚volksgemeinschaftlicher’ und rechts-sozialistischer Ideen im Kaiserreich zurückgreifen.
Beide verstanden Sozialismus als etwas, das von der ganzen Nation und nicht von einer Klasse verwirklicht werden musste. In diesem Sinne ging es ihnen um eine Neuformierung der ‚Volksgemeinschaft’, so wie sie während des 1. Weltkrieges auf dem Schlachtfeld angeblich existiert hätte, bis die Niederlage ihr das Ende bereitete.
Auch sollte es in diesem Sozialismus weiterhin Hierarchien in Form eines Ständesystems geben. Nach Lesart der Rechten erzeugten die Freiheiten des Republikanismus und des Liberalismus eine Selbstentfremdung der Deutschen von ihrem angeblichen Wesen. Erst die freiwillige Eingliederung jedes und jeder Einzelnen in die preußische Ordnung führe zur ‚wahren’ Freiheit. Auf der ökonomischen Ebene betrachtet, bedeutete dies, dass sich die Arbeiterinnen und Arbeiter mit ihrer Stellung im Produktionsprozess zufrieden geben sollten. Der Sozialismus Spenglers und Moellers will daher keine Änderung kapitalistischer Verhältnisse, sondern die Übernahme einer Gesinnung, die diese Verhältnisse akzeptiert und sie als Teil einer höheren Ordnung begrüßt.
Die einzelnen Staatsangehörigen sollten weiter in den gegebenen ökonomischen Verhältnissen leben. Lediglich Eingriffe durch die Hand des Staates waren vorgesehen. Etwa sollte nach Spengler der Handel reguliert werden. Dieser Argumentation liegt eine Trennung zwischen Produktions- und Finanzsphäre, wie sie ein wesentlicher Bestandteil der Völkischen Kapitalismuskritik ist, zugrunde. Finanzkapital sei – so Spengler – eine „am Wirtschaftskörper einer Nation nicht bauende, sondern schmarotzende Form des Besitzes“.
Ideologie statt Lüge
Hier liegt der Knackpunkt jeglicher Antworten von rechts auf die soziale Frage: Klassenunterschiede werden zugunsten einer völkischen Ideologie negiert. Wer sie thematisiert, gilt als ‚Volksfeind’. Kapitalistisch sei hingegen alles was mit Geld und Finanzen zu tun habe, während Arbeit als ‚deutsche Tugend’ idealisiert wird. In diesem Zusammenhang sprechen Nazis heute noch vom „raffenden und schaffenden Kapital“. Ersteres wird in antisemitischer Weise mit Jüdinnen und Juden assoziiert, während das deutsche Volk in dieser Vorstellung für „das Produktive“ zuständig ist. Bände zu dieser Auffassung spricht ein Transparent, das beim Naziaufmarsch am 1.Mai 2007 in Dortmund zu sehen. In schlecht gereimter Manier war darauf zu lesen: „Ob Dortmund, Erfurt oder Buxtehude – Der Feind ist & bleibt der Kapitalismus.“
Wenn Nazis nun zum 1. Mai abermals ankündigen, den „Kapitalismus“ zu zerschlagen oder „Ausbeutung“ zu stoppen, ist es diese völkische Kapitalismuskritik, die sich ihren Ausdruck verschafft. Diese Art der Sozialpolitik bzw. des „Antikapitalismus“ hat nichts mit bewusst intendierten Lügen, sondern viel mehr mit einer völkischen Weltanschauung zu tun.
Weitere Informationen zum Thema:
23. April, 20 Uhr, Tkeller: „Die Kritik am Zins – Eine Sackgasse der Kapitalismuskritik“ Vortrag von Nadja Rakowitz. Mehr zur Veranstaltung rechts unter „Termine“.
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2003/09/27/a0148
@ Ancap: Die taz ist mittlerweile zu einem bürgerlichen Hetzblatt verkommen. Wenn es um Geschichtsklitterung und totalitaristische Thesen geht, hat die taz offenbar gerne ein Plätzchen frei. Widerlich!