Kundgebung vor dem Neuen Rathaus
Ab sofort Bargeld statt Gutscheine in Göttingen
von Wieland Gabcke am 27. Februar 2013 veröffentlicht in Antirassistische Politik & Verfolgung, featured, PolitikDer Erlass aus Hannover kommt bald, in Göttingen heißt es schon heute: Bargeld statt Gutscheine. Verschiedene antirassistische Initiativen forderten dennoch vor dem Neuen Rathaus weitere radikale Veränderungen in der Asylpolitik. Die Polizei störte sich an der unangemeldeten Kundgebung und notierte ungefragt den Namen eines Teilnehmers.
Etwa 20 Personen sind gegen 8:30 Uhr vor dem Neuen Rathaus versammelt. Zwei Transparente werden ausgerollt, auf der Treppe vor dem Neuen Rathaus fünf Schilder mit Forderungen ausgelegt. Die Forderung „Sofortige Abschaffung der Gutscheinpraxis“ wurde mit Kreppband durchgestrichen. Denn ab heute zahlt das Sozialamt nur noch Bargeld an AsylbewerberInnen und Flüchtlinge aus, wie der Pressesprecher der Stadt, Hartmut Kaiser, bestätigt.
Kritik am bestehenden Asylsystem: AktivistInnen vor dem Neuen Rathaus
Die Abschaffung der Wertgutscheine ist im Koalitionsvertrag der neuen rot-grünen Landesregierung festgeschrieben. Nun eilt der neue Wind aus Hannover der bisherigen Behördenpraxis in Göttingen offensichtlich schon voraus. Rein rechtlich müsste die Stadt Göttingen noch kein Bargeld auszahlen, denn eine entsprechende Regelung der Landesregierung wurde bisher lediglich angekündigt. Im niedersächsischen Innenministerium wird daran noch gearbeitet, wie Tina Schaper vom Referat für Ausländer- und Asylrecht des Ministeriums gegenüber Monsters of Göttingen erklärt:
„Das wird per Erlass geregelt, der wird dann an die Kommunen herausgegeben. Da existiert hier im Haus schon ein Entwurf, aber der muss noch bearbeitet werden. Länger als zwei Wochen wird es wohl nicht mehr dauern.“
Weitere Forderungen der AktivistInnen
Die Gutscheine sind abgeschafft, aber das geht den AktivistInnen nicht weit genug. Gerade der aktuelle Fall einer nächtlichen Abschiebung in Lüchow-Dannenberg macht die AktivistInnen misstrauisch, was den von Rot-Grün angekündigten Wechsel in der Asylpolitik angeht. Nach langjährigen Erfahrungen mit der rigiden Abschiebepraxis der zuständigen Göttinger Behörden fordern sie weitere Maßnahmen: Abschaffung der Residenzpflicht, ein generelles Bleiberecht, rechtliche Gleichstellung und die Abschaffung aller Lager. Vieles davon liegt in den Händen der Bundespolitik. In Sachen Residenzpflicht hat die neue Landesregierung eine Bundesratsinitiative angekündigt. Auf lokaler Ebene planen die AktivistInnen künftig die Begleitung von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen bei Behördengängen wieder zu verstärken. Das habe die Aktion gezeigt, als zwei Flüchtlinge, die einen Dolmetscher brauchten, bei einem Amtsgang spontan begleitet wurden, so ein Aktivist.
Die Kundgebung verlief weitestgehend unproblematisch. Der Polizei war es allerdings ein Dorn im Auge, dass die Kundgebung nicht angemeldet war. Drei Beamte forderten die TeilnehmerInnen dazu auf, ins Rathaus zu gehen, um eine spontane Kundgebung anzumelden. Sie beriefen sich dabei auf das niedersächsische Versammlungsrecht. Die TeilnehmerInnen sahen das etwas anders. Sie weigerten sich, eine Person zur Anmeldung ins Rathaus zu schicken und konterten mit dem Grundgesetz.
Polizei fordert TeilnehmerInnen auf die Kundgebung anzumelden
Im Foyer des Neuen Rathauses sprach einer der Beamten einen Teilnehmer der Aktion an: „Ich habe Sie jetzt notiert.“ Der Name des Teilnehmers war dem Beamten bekannt. Er schrieb ihn ungefragt auf, da er angeblich „aufgrund seines Verhaltens offensichtlich die Rolle eines Versammlungsleiters“ einnahm, sich aber weigerte „als Anzeigender der Versammlung gegenüber der Stadt Göttingen, vertreten durch Herrn Arend, aufzutreten“, wie die Polizei auf Anfrage mitteilte. Diese Ansicht teilten die AktivistInnen nicht. Sie bezeichneten die Veranstaltung als Gemeinschaftsaktion. Schließlich wurde die Kundgebung nachträglich durch ein anwesendes Mitglied der GöLinke angemeldet.