BFE-Einsatz gegen Studierende

Uni räumt besetztes Wohnheim
von am 17. Januar 2013 veröffentlicht in Soziale Bewegungen

Nach nur einer Nacht hat die Universität Göttingen am Donnerstagmittag die Besetzung eines leerstehenden Gebäudes von der Polizei räumen lassen. Ein Besetzer wurde dabei verletzt. Insgesamt 70 Studierende könnten in dem ehemaligen Wohnheim untergebracht werden, sagten die AktivistInnen. Die Uni will es lieber für die „Akademie der Wissenschaften“ nutzen.

Das nach einer Demonstration besetzte ehemalige Wohnheim in der Geiststraße ist wieder von der Polizei geräumt worden. Am Vorabend, nachdem die Besetzung stattgefunden hatte, herrschte zunächst Überraschung, da eigentlich mit einer umgehenden Reaktion der Polizei gerechnet wurde. Doch die zog zunächst nach und nach – und schließlich komplett – ab. Am frühen Morgen schließlich hörten die Besetzer_innen dann doch von der Universitätsleitung.

Sogar die Präsidentin Ulrike Beisiegel war vor Ort und sprach kurz mit den Anwesenden. Sie bot einen Gesprächstermin in der kommenden Woche an und äußerte vage Bereitschaft, auch für eine Podiumsdiskussion zur Verfügung zu stehen. Die neu eingezogenen Studierenden, daran ließ Beisiegel aber von vornherein keine Zweifel, sollten möglichst sofort das leerstehende Gebäude verlassen. Dafür wurde von den Verantwortlichen des Gebäudemanagements ein Ultimatum bis 10 Uhr gesetzt. Auf Nachfrage von Monsters verwies der Leiter des Gebäudemanagements Rainer Bolli auf ordnungsrechtliche Gründe: „Baurecht, Hygiene und Brandschutz“ wurden als Begründung für die zügige Räumung genannt.

Den rund 50 BesetzerInnen schwebte jedoch anderes vor: „Wenn man uns ließe, würden wir bleiben“, so ein Teilnehmer der Besetzung. Über Nacht hätten sich genug Gelegenheiten geboten, das Gebäude zu erkunden. Laut den BesetzerInnen wäre es in der Geisstraße 10 möglich, mindestens 70 Studierende unterzubringen. Außerdem entdeckten die BesetzerInnen 2 Proberäume und zahlreiche andere Räume, die man ihnen zufolge „kreativ und öffentlich“ nutzen könne.

„Ohne Polizei scheint es doch nicht zu gehen“, stellte schließlich um 11 Uhr der Leiter des Gebäudemanagements, Rainer Bolli, fest. Kurz darauf erschien auch sein frischgebackener Vorgesetzter: Norbert Lossau, der seit dem Jahresbeginn Vizepräsident der Universität und nun unter anderem für die Immobilien verantwortlich ist.

Kommentar

In den vergangenen Jahren war die Uni Göttingen bei Besetzungen auf Deeskalation bedacht. Räumungen durch die Polizei waren im Präsidium eher unbeliebt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Besetzung eines Teiles des Verfügungsgebäudes unter Präsident Kurt von Figura: Über Wochen konnten die Besetzer_innen unbehelligt in dem Raum bleiben, ohne dass es Ärger mit der Staatsmacht gab. Die Besetzung eines Raums im blauen Turm war zuvor erst nach mehreren Tagen Verhandlungen geräumt worden: einen Polizeieinsatz auf dem Campus wollte Figura eigentlich vermeiden. Das war zu Zeiten des Figura-Vorgängers Horst Kern anders, der 2003 eine Besetzung des Sozio-Oeconomicums am gleichen Tag von der Polizei brutal räumen ließ. Präsidentin Beisiegel hat sich bei der ersten Besetzung in ihrer Dienstzeit für das Kern-Modell entschieden: Bereits nach der ersten Nacht ließ sie das alte Klinikgebäude räumen. Es könnte das Ende der Deeskalationslinie des Unipräsidiums sein.

Nach einer Besprechung mit den wenigen Polizeibeamten vor Ort schien es dann langsam ernst zu werden. Um die Ecke am Groner Tor stand die Staatsschutzabteilung der Göttinger Polizei mit gleich sieben zivilen Fahrzeugen parat, musste aber noch bis kurz nach 12 Uhr warten, bis schließlich die neue Göttinger Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit (BFE) erschien – mit aufgezogenen Schutzhelmen und der Hand am Schlagstock.

Bei der Räumung ging es zwat rabiat, aber verhältnismäßig glimpflich zu. Einem Schwung BesetzerInnen wurde ein letztes Ultimatum gestellt. Sie durften unbehelligt das Gebäude verlassen. Etwa zehn Personen blieben noch etwas länger im Gebäude – weshalb sie dann einzeln abgeführt wurden. Einer der BesetzerInnen wurde dabei leicht im Gesicht verletzt. Die Beamten der Staatsschutzabteilung nahmen die AktivistInnen mit und erfassten die Personalien, dann waren aber alle wieder frei. Um 13 Uhr rückten die BeamtInnen dann wieder ab. Im Gebäude entfernte Personal der Universität noch Griffe von Fenstern und verschloss Türen, wohl um eine baldige Wiederholung zu verhindern.

Als „absolut inakzeptabel“ bezeichnete Studentenwerks-Leiter Jörg Magull gegenüber Monsters ein Transparent mit seiner Adresse darauf, dass die BesetzerInnen am Haus aufgehängt hatten. „Seit gestern Abend fährt die Polizei halbstündig Streife“, sagte Magull. „Meine Familie und ich werden als gefährdete Personen eingestuft.“

Die Zukunft des Gebäudes steht der Universität zufolge hingegen fest. Eine Nutzungseinbarung sei mittlerweile fertig; „der Finanzierungsantrag liegt im Ministerium in Hannover“, so Rainer Bolli Auf Nachfrage von Monsters erklärte die Universitätsleitung, das Gebäude würde in Zukunft von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen genutzt werden. „Entsprechende Baumaßnahmen beginnen voraussichtlich noch in diesem Jahr“, so Romas Bielke von der Pressestelle der Universität.

Die Polizei hat nach eigenen Angaben elf Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs sowie eines wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet.

Am Abend protestierten etwa 80 AktivistInnen gegen die Räumung.

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3 Kommentare auf "Uni räumt besetztes Wohnheim"

  1. Dr Hängt sagt:

    Hier muss auch mal ausdrücklich der Einsatz der BFE gelobt werden!

  2. Cheshire Cat sagt:

    Muss? Hast du gerade eine Dienstwaffe an der Schläfe?

  3. Die Mitte erobern! sagt:

    PM der Initiative Wohnraumgeist, die aus der Besetzung hervorgeht:

    Pressemitteilung der Initiative Wohnraumgeist

    Heute hat zwischen 12.30 und 13.40 Uhr ein Gespräch zwischen sieben Vertreter_innen
    der Initiative Wohnraumgeist, einem AStA-Vertreter, der Präsidentin der Universität (Ulrike Beisiegel) sowie weiteren Vertretern der Universität und des Studentenwerks
    stattgefunden.

    Voraussetzung für konstruktive Gespräche war von unserer Seite die Rücknahme der
    Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs bezüglich der Räumung der Geiststraße 10
    vergangenen Donnerstag. Nach längerer Diskussion und interner Beratung des
    Präsidiums wurde dem zugestimmt, so dass die Gespräche beginnen konnten.

    Die Problematik der Wohnungsnot bei steigenden Studierendenzahlen ist der
    Universitätsverwaltung seit Jahren bekannt. Der massive Abbau von Wohnheimplätzen
    seitens des Studentenwerks innerhalb der letzte Jahre wurde durch die Universität nicht
    verhindert. Auch Gegenmaßnahmen wurden bisher weder eingeleitet noch umgesetzt. Als
    einziges Projekt verweist die Universität derzeit auf ein geplanten Studierendenwohnheim
    im Nordcampusbereich, dessen Baubeginn erst 2015-16 angedacht ist. Falls der
    entsprechenden Bebauungsplan genehmigt wird.
    Die Universität zeigt deutlich, dass es nicht ihre Priorität ist, Wohnraum in der Innenstadt
    für Studierende zu erhalten, geschweige denn zu erschaffen.

    Angeblich existieren derzeit keine Gebäude im Universitätsbesitz, die zugleich leer
    stünden und noch nicht verplant seien. So auch das frühere Wohnheim Geiststraße 10,
    welches seit Januar 2010 leer steht und vergangenen Mittwoch für einige Stunden als
    Wohnraum wiedereröffnet wurde. Dieses sei seit Ende vergangenen Jahres für die
    Akademie der Wissenschaften reserviert. Ein konkreter Bautermin kann jedoch noch
    immer nicht genannt werden. Die Universitätsleitung hat es klar versäumt, ihre Prioritäten
    adäquat zu setzen und den Erhalt und die Schaffung von Wohnraum vorzuziehen.

    Für eine konstruktive Zusammenarbeit und die Planung weiterer Schritte sind bereits
    Gespräche zwischen uns, dem AStA, der Universitätsleitung sowie der Stadt geplant.
    Des weiteren hat die Universitätsleitung unsere Einladung zu einer Podiumsdiskussion zur
    aktuellen Wohnraumsituation für Anfang Februar angenommen.

    Unsere Devise lautet:
    Innenstadtnaher, attraktiver Wohnraum statt Jugendherbergsatmosphäre am Stadtrand.
    Zeitnahe Lösungen, die den Studierenden jetzt helfen, statt langatmige Projekte in ferner
    Zukunft! Leerstand zu Wohnraum statt Schließung von Wohnheimen, egal welcher Größe!

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