Interview: Das Theaterstück "Rosenwinkel"

„Ich bin jetzt der Innenminister, alle bleiben!“
von am 26. September 2012 veröffentlicht in Antirassistische Politik & Verfolgung, Haus der Kulturen, Kultur, Theater

Das Theaterstück „Rosenwinkel“ des boat people projekts und der musa war ein voller Erfolg. Monsters of Göttingen hat mit den beiden Regisseurinnen Luise Rist und Nina de la Chevallerie, Gabi Radinger von der musa und einigen Schauspieler*innen des Stücks, Esad Behrami, Martina Hesse und Anita Osmani gesprochen. Sie gaben einen Einblick in die Produktion, die Rezeption und das politische Anliegen des Stücks.

Gabi, wie kam es zu der Idee dieses Stück umzusetzen?

Gabi: Ich arbeite im Kulturzentrum musa und wir machen seit 15 Jahren Stadteilarbeit. Das heißt vor allem, Kulturprojekte mit Bewohnern und Bewohnerinnen des Stadtteils zu machen. Die Idee, ein Stück speziell mit Roma umzusetzen, das sie auch mitgestalten können, kam einfach weil unheimlich viele Roma-Flüchtlinge hier im Stadtteil untergebracht sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es schwieirg ist, Roma in andere Stadteilprojekte zu integrieren. Deshalb wollten wir ein Projekt einfach nur von und mit Roma machen um auch deren Perspektive mal zum Ausdruck zu bringen. Ich selber hätte das aber nicht umsetzen können, deswegen bin ich auf die Idee gekommen mit dem boat people projekt zusammenzuarbeiten, weil die sich ja um Flüchtlinge bemühen und sie auch ins Zentrum ihrer Stücke stellen.

Es spielen sowohl „Laiendarsteller*innen“ als auch professionelle Schaupieler*innen in dem Stück mit. Wie hat sich diese Zusammenarbeit gestaltet?

Luise: Also das Wort Laie ist für uns nicht so passend. Wir gehen von einem anderen Performance-Begriff aus, denn wir haben uns sehr mit zeitgenössischen Performance-Gruppen auseinandergesetzt, die es so auf deutschen Bühnen gibt und da vermischt sich ja im Augenblick professionelle Bühnenkunst mit Experten des Alltags, wie sie oft genannt werden. Bei uns sind es einfach Menschen, die eine bestimmte Erfahrung mitbringen. Wir würden jetzt beispielsweise nicht grundsätzlich sagen wir arbeiten mit Amateuren, das wäre für uns gar nicht so interessant. Wir haben kein pädagogisches Konzept, sondern uns interessierte einfach nur Esad, weil er von dort und dort kommt, weil er diese Ethnie hat und weil das interessant ist. Und dann versuchen wir eben etwas auf Augenhöhe gemeinsam zu gestalten. Der Begriff Laie setzt ja immer voraus, dass man etwas nicht gelernt hat oder nicht so gut kann. Ist natürlich auch so, weil es keine professionellen Schauspieler sind. Trotzdem bringen sie etwas anderes sehr verstärkt mit, das heißt es gibt einen Austausch: Martina ist professionelle Schauspielerin und das ergänzt sich mit den Fähigkeiten der anderen, die einen sehr großen Erfahrungsschatz mitbringen, der in die Stücke einfließt.

Wie war denn die bisherige Resonanz seitens des Publikums, der Medien und der Politik?

Nina: Also bis darauf, dass die Medien grundsätzlich ignoriert haben, das es sich hierbei um ein Projekt der musa handelt, waren die Rezensionen sehr positiv. Die Vorstellungen waren auch immer zum größten Teil ausverkauft. Manchmal hatten wir noch zehn Plätze frei. Es kommt ein sehr bunt gemischtes Publikum von jungen Leuten, Schüler, Studenten bis zu Menschen in unserem Alter und älter…

Luise: Auch aus anderen Wohnvierteln…

Nina: …auch aus anderen Wohnvierteln und auch immer wieder aus anderen Nationen. Das Publikum ist also sehr multikulturell. Zu Anfang waren auch viele Roma-Familien anwesend…

Martina: …auch Roma aus anderen Städten sogar.

Luise: Einige Politiker waren auch da…

Gabi: …die kommen natürlich nur zur Premiere.

Nina: Innenminister Schünemanns Sprecher war da.

Gabi: Die Kulturdezernentin der Stadt Göttingen, Dr. Schlapeit-Beck.

Anita: Anwälte waren da.

Welche Anwälte?

Nina: Dein Anwalt war da?

Anita: Ja.

Nina: Anitas komplette Schule natürlich.

Wie hat deine Schule darauf reagiert Dich auf der Bühne zu sehen?

Anita: Ja, die waren halt stolz und haben sich gefreut.

Nina: Die haben sehr positiv reagiert, haben viel gelobt und waren auch sehr erstaunt.

Luise: Selbst deine Grundschullehrer sind gekommen.

Gabi: Und deine ehemaligen Kindergärtnerinnen.

Nina: Also sehr viele natürlich auch aus dem Bereich Sozialarbeiter, Sozialwissenschaftler, politisch Interessierte, aber auch Theaterinteressierte, wir sitzen ja so zwischen Kunst und Politik und das merkt man auch am Publikum.

Wie haben denn die Bewohner*innen des Rosenwinkels das Stück aufgenommen?

Esad: Also was wir bis jetzt wissen waren die Reaktionen positiv. Wir hatten natürlich keine negative Rückmeldung, die Leute sind alle begeistert und wir hoffen, dass das auch so bleibt.

Nina: Anitas Mutter ist nach der Generalprobe zu uns gekommen, hat uns angeguckt und gefragt: ‚Warum macht ihr das?‘

Und was habt ihr geantwortet?

Nina: Ich hab in dem Moment gar nicht antworten können. Also das war natürlich positiv gemeint, von wegen ‚Warum tut ihr das für uns?‘, das war so ein bisschen der Subtext. ‚Wieso macht ihr euch diese Mühe?‘

Luise: Roma und andere Nationalitäten außer den Deutschen waren ja sehr viele da. Unglücklicherweise können wir nicht genau sagen, wie viele deutsche Anwohner aus dem Rosenwinkel gekommen sind. Es waren des Öfteren welche da, die gesagt haben ‚Ja, wir wohnen auch hier im Eck‘, das ist schon vorgekommen.

Gabi: Wir haben ja für die deutsche Nachbarschaft des Rosenwinkels das Angebot gemacht, denen Freikarten zu geben. Wir haben sie eingeladen. Wir haben ihnen Einladungen in die Briefkästen geworfen. Wir haben Ihnen das Angebot gemacht: Ein Anruf im Büro genügt und wir hinterlegen euch eine Freikarte. Ich habe nicht einen Anruf bekommen.

Nina: Das stimmt, aber trotzdem glaub ich, dass Anwohner im weitesten Sinne schon dagewesen sind, die haben halt bezahlt. Vielleicht sind die direkten Nachbaren nicht gekommen.

Gabi: Es gibt auch welche die im Rosenwinkel wohnen und auch da waren. Aber das war so wie Du sagst, die haben eine Karte bezahlt, vielleicht will sich niemand die Blöße geben.

Nina: Ist Dir mal was passiert Anita, hast Du mal Leute getroffen, die Dich angesprochen haben?

Anita: Ja, ein paar ältere Menschen…

Was haben die gesagt?

Anita: Die meinten so ja: ‚Das machst Du gut!‘ Und ich so: ‚Woher wollt ihr das wissen, wenn ihr das Stück noch nicht gesehen habt?‘ Und dann bin ich weggegangen.

Hatten die das Stück noch nicht gesehen?

Anita: Nein.

Nina: Das hat sich aber scheinbar so ein bisschen rumgesprochen.

Martina: Also zwischen unserer Produktion und dem Rosenwinkel verlief die Annäherung ja über den Arbeitsprozess auch hinaus, es war ja nicht so, dass auf einmal in der Premiere der Rosenwinkel drin saß, sondern der saß teilweise auch schon auf den Proben dabei. Ich erinnere mich auch noch an eine Probe, wo wir die Mutter-Tochter-Szene improvisiert haben. Anitas Schwester war auch mit dabei und irgendwann habe ich dann erfahren, dass die beiden das der Mutter zu Hause vorgespielt haben. So ist die Produktion auch mal direkt in den Rosenwinkel weitergespielt worden. Für mich ist über die ganze Zeit also auch viel an Annäherung passiert.

Luise: Genau, also die Roma-Seite war extrem involviert, das auf alle Fälle. Da ist wirklich viel passiert von der Seite aus.

Ende November wird das Stück im Staatstheater Karlsruhe aufgeführt. Das ist natürlich eine ganz andere Situation als im Haus der Kulturen hier in Göttingen, wo das Stück direkt in der Nähe des Rosenwinkels aufgeführt wird. Wie wird sich die Inszenierung in Karlsruhe verändern?

Luise: Ich glaube ehrlich gesagt, dass das nicht so ein großes Thema sein wird. Es ist für uns hier eine spezielle Situation, aber das Stück ist ja tatsächlich überall zeigbar. Wir müssen den Anfang uminszenieren und natürlich haben wir auch keinen Kamin, wir werden mit einer Feuerschale arbeiten. Grundsätzlich sind wir sehr gespannt. Wir sind ja schon öfters mit Stücken verreist, da müssen wir uns immer auf den neuen Ort einstellen.

Und wie geht das mit dem Stück in Göttingen weiter?

Nina: Ja, gar nicht. Das ist ja immer das tragische an Theater. Das ist dann immer erstmal fertig. Und wir wollen natürlich auf Gastspiele gehen und versuchen auch Gastspiele in anderen Städten zu organisieren, aber das muss ja auch irgendjemand bezahlen. Wir sind sechs Leute, müssen alle von irgendwas leben, die Fahrtkosten sind teuer, wir brauchen dafür immer Unterstützung, dass uns jemand einlädt. Und es gibt in Niedersachsen keine Gastspielförderung bei den freien Theatern, in anderen Bundesländern kannst Du das beantragen. Da sagst Du, ‚Wir wollen mit unserem freien Theater da und da hin und brauchen dafür 2000 Euro‘ und dann gibt dir das Ministerium das Geld. Das gibt es in Niedersachsen nicht. Dafür kämpfen wir in Göttingen gerade sehr, aber das ist in schwieriger Kampf.

Gabi: Zum größten Teil wird dieses Projekt durch den Fonds Soziokultur gefördert mit 14.000 Euro, mit 6.000 Euro ist der Landschaftsverband dabei. Das sind öffentliche Förderer, der Fonds Soziokultur verteilt Bundesmittel aus dem Kulturetat und der Landschaftsverband eben Landesmittel. Im Grunde ist das immer eine öffentliche Förderung für solche Projekte.

In dem Stück habt ihr euch viel des schwarzen Humors bedient, durch den ein gewisser Zynismus im bestehenden Asylsystems offengelegt wird. Welches politische Ziel verfolgt ihr mit dem Stück?

Nina: Künstlerisch hat man ja verschiedene Sachen, man will ja in die Tiefe gehen und Komplexität vermitteln. Wir wollen einfach, dass die Menschen sehen, dass die Situation natürlich nicht schwarz oder weiß ist. Man will ja immer, dass die Leute berührt sind. Erstmal müssen die Leute emotional ergriffen werden und dann können sie rational darüber nachdenken. Aber die Antwort wird in dem Stück selbst gegeben, von unserer jüngsten Darstellerin. Wenn Anita sagt, ‚Ich bin jetzt der Innenminister, alle bleiben!‘, ist das natürlich primär politisch: Es ist unmöglich, dass Roma in den Kosovo zurückgeschickt werden, das ist einfach ausgeschlossen, die haben keine Perspektive und sollen einfach hier bleiben. Aber wir sind ja kein politisches Unternehmen, deshalb verpackt sich das in der Kunstform natürlich anders, mit ganz vielen Schwankungenund Betrachtungen. Aber in diesem Punkt sind wir doch sehr klar.

Gehen wir mal auf die Geschichtsstunde am Kaminfeuer ein, das gleichzeitig das Brennen der Städte im Kosovo symbolisiert. Was steckt da hinter?

Esad: Ja, das haben wir versucht ein bisschen romantischer zu machen, dass es ein bisschen abstrakter wird. Aber ein Feuer wollten wir unbedingt, denn die Roma sind immer mit dem Feuer.

Nina: Klar, die Geschichtsstunde am Feuer, der Kamin der zum Erzählen einlädt, die Verbindung der Roma mit dem Feuer, was ja auch ein Mythos oder ein Bild ist, was man so im kollektiven Unterbewusstsein mit sich trägt.

Esad: Also das Cliché, die Stereotypen…

Nina: Das Cliché, genau, was Esad aber auch gerne erfüllt (Esad lacht). Er liebt es Feuer zu machen, von daher war’s auch organisch, aber es sollte auch das Bild von den brennenden Städten beim Publikum entstehen, klar.

Thema Stereotype, die wurden ja auch ziemlich hinterfragt in dem Stück.

Esad: Ja, das ist ein Thema über das ich zwei Tage erzählen könnte. Für mich ist in diesem Theaterstück die Message am wichtigsten, dass es im Kosovo keine Perspektive für uns gibt, wie Nina schon gesagt hat. Jeden Tag wird die Situation katastrophaler. Auf unserer Webseite www.alle-bleiben.info könnt ihr das nachlesen, was letzten Monat passiert ist, oder letztes Jahr auf der Delegationsreise. Das kann man alles verbinden, ja, aber am wichtigsten ist eigentlich nur das Bleiberecht für Roma. Dass alle Menschen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa wissen, dass Deutschland das einzige Land ist wo ein Duldungsstatus existiert. Das gibt’s nirgendwo sonst auf der Welt, nur hier. Und dass durch die Duldung die Menschen natürlich nicht arbeiten können, das ist sehr wichtig für uns. Eine Jugendliche, wie zum Beispiel Anita Osmani, hat keine Perspektive für eine weitere schulische Ausbildung, weil das Duldungsrecht sagt ‚Nein, darfst Du nicht. Arbeiten darfst Du auch nicht.‘ Dann kommt natürlich die Diskriminierung: Wir Roma seien assozial, wir wollten nicht arbeiten. Davon haben wir langsam die Schnauze voll. Genauso die Debatte um Integration. Was heißt eigentlich Integration? Anita Osmani zum Beispiel ist hier geboren, die ist hier aufgewachsen, die redet Deutsch, deshalb weiß ich nicht was sie noch von Integration haben soll.

Luise: Naja, das ist ein sehr kontroverses Thema.

Nina: Darüber haben wir während der Produktion auch viel diskutiert. Natürlich ist das Thema Integration schwierig, aber auf der anderen Seite, wenn Du ein Volk im Exil bist, das kein Land hat, dann pflegst Du halt deine Sitten und Gebräuche und bleibst auch notgedrungen unter den deinigen. Und deshalb findet Integration auch oft nicht statt, es gibt einfach diesen Rückzug auf das Eigene, weil man das verteidigen muss, und dann bleibt man mit der eigenen Familie, das ist nicht einfach. Es ist nicht einfach, wenn Anita plötzlich mit nem Deutschen, nem Türken, oder sonst einem kommt.

Gabi: Wir könnten uns auf den Kopf stellen, für mich ist unser Stück trotzdem ein stückweit Integration.

Nina: Eben…

Esad: Ja, doch, doch. Eine Sache möchte ich noch sagen. Wir werden natürlich weiter dafür kämpfen, dass unsere Jugendlichen weiter gefördert werden, natürlich auch unsere Schauspielerin Anita Osmani, für ihre weitere Schulbildung und natürlich für ihre weitere Projekte.

Anita, was hat Dich denn an dem Stück interessiert, warum hast Du mitgemacht?

Anita: Na, einfach nur so zum Spaß!

Martina: Ich erinnere mich aber, dass Du auf die Probe kamst und unbedingt die Oma oder den Opa spielen wolltest.

Anita: Ja!

Martina: …mit einer Vehemenz und wir haben uns immer gefragt warum. Und als wir es dann mal improvisiert haben, war es uns dann klar. Weil die einfach immer alles entscheiden.

Anita: Ja, weil die älteren Menschen bei uns halt der Boss sind!

Und da wolltest Du die Rolle mal umdrehen?

Anita: Ja.

Der Charakter, den Du spielst will ja tanzen gehen und darf das nicht. Ist das eine Szene, die Du von zu Hause kennst?

Anita: Also bei mir zu Hause darf ich machen was ich will. Wenn nicht, kriegen die Ärger von mir.

Nina: Ja gut aber ausgehen ist schon ne Frage. Die Ehre der Mädchen ist was sehr Wichtiges, was sehr Umkämpftes auch…

Esad: Wir sollten jetzt mal die Ehre beiseite lassen, sie ist auch erst 12 Jahre alt, das sollen wir nicht vergessen.

Anita: Ja, ne?

Esad, was hat Dich dazu bewogen in diesem Stück mitzuspielen?

Esad: Also natürlich das ganze Stück, das ganze Projekt. Natürlich das Politische, die Menschen mit denen ich arbeite. Also das macht mir natürlich viel Spaß und natürlich kämpfe ich auch immer wieder für eine Unterstützung unserer Leute, egal auf welche Art und Weise.

Das Stück ist in Göttingen nun zum letzten Mal gelaufen. Wenn ihr zurückblickt, was hat sich während der Produktion bei euch verändert?

Martina: Was für mich noch wichtig ist, dass ich gemerkt habe in der Produktion, egal aus welcher Ecke man aufeinander kommt, egal auch mit welchem Hintergrund, kulturell, welches Politikum einen beschäftigt, dass wir uns in der Produktion gefunden haben, auf einer bestimmten Ebene und dass wir uns als Menschen begegnen und miteinander spielen. Das ist etwas was mich sehr bewegt und für mich auch ein Stück Integration ist, auch wenn ich jetzt gleich eine gehauen kriege (Esad und die anderen lachen). Weil für mich das Wort auch bedeutet, neu hinzugucken aufeinander, und weil das für mich auch ganz viel ist. Jetzt wirken wir so aufeinander eingestimmt, aber das war ein Prozess, das war nicht vom ersten Tag an so.

Vielen Dank für das Interview.

Foto: Copyright Reimar de la Chevallerie

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