"Rote Straße" ist kein Argument

Watschen für die Polizei
von am 14. August 2012 veröffentlicht in Polizei & Justiz, Titelstory

Über die Polizei in Göttingen ist oft zu hören, dass sie Beißreflexe hat, wenn es um „Linke“ geht. Nun ist wieder einmal ein Gerichtsverfahren zum Abschluss gekommen, in dem die Polizei keine Zweifel daran lässt, dass die Vorwürfe gegen sie stichhaltig sind. In ihren Schriftsätzen ließ die Polizeidirektion Göttingen ihrer Abneigung freien Lauf – und scheiterte vor Gericht mit diesen Vorwürfen.

Das ging sogar den Richtern am Oberverwaltungsgericht zu weit: Wer in der Roten Straße wohnt, argumentierte die Göttinger Polizei, von dem gehe eine Gefahr für Burschenschafter aus. Mit „massiver Gewalt“ würden die Bewohner ihre Straße vor „Andersdenkenden“ beschützen wollen. Eine erkennungsdienstliche Behandlung eines Bewohners des Studentenwohnheims sei auch deswegen gerechtfertigt, um in Zukunft solche Straftaten der Anwohner zu verhindern. Das Lüneburger Gericht bescheidet nun: Eine völlig haltlose Argumentation. Aber der Reihe nach.

Die Geschichte begann im Dezember 2009. Das „Verfügungsgebäude“ auf dem Campus war im Rahmen des Bildungsstreiks besetzt, die feierliche „Universitätsrede“ von Ex-Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach gerade an Protesten gescheitert. In der Roten Straße fand am Abend des Freitag den 11. eine Party statt. In der Nacht, etwa gegen halb drei, kam es auf der Straße zu einer Auseinandersetzung. Neben einem Bewohner des Wohnheims waren zwei Burschenschafter darin verwickelt, es kam zum heftigen Wortwechsel, einer der Burschenschafter wurde schließlich mit Pfefferspray attackiert.

Es vergingen ein paar Wochen. Am 22. Januar 2010 aber gab es ein kleines Feuer mit großer Wirkung in der Teeküche der Göttinger Ausländerbehörde (wir haben umfänglich berichtet). Ein Mantrailer-Hund führte die Polizei auf der Suche nach Tätern pflichtbewusst in die Rote Straße – vielleicht führte auch die Polizei den Hund dorthin. Das wiederum führte in einem Haus des Wohnheims zu einer umfangreichen Hausdurchsuchung – ohne, dass die Polizei hinterher schlauer war. Nichtsdestotrotz sprach sie fortan von einem politisch links motivierten Anschlag. Die Polizei glaubte, ihre Klientel zu kennen: Sie wollte eine Reihe von dort wohnenden Personen im Rahmen der Ermittlungen erkennungsdienstlich behandeln lassen. Die Verdachtsmomente waren dem zuständigen Gericht aber viel zu vage: Es lehnte ab. Dies wollte die Polizei wohl so nicht auf sich sitzen lassen – nun versuchte sie eben, auf anderem Wege an Finger- und Handabdrücke sowie Fotos zu kommen.

Am 15. März 2010 ordnete die Polizei an, den in die oben erwähnte Auseinandersetzung verwickelten Bewohner des Wohnheims in der Roten Straße erkennungsdienstlich behandeln zu lassen. Nicht etwa im Rahmen der Ermittlungen zum Teeküchenbrand: Die unstrittige Körperverletzung mit dem Pfefferspray muss nun dafür herhalten. Denn eine Behandlung ist in Ausnahmefällen auch dann zulässig, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht. Der Bewohner erhebt sogleich Klage gegen die Anordnung: Nun musste die Polizei ihre Anordnung umfänglicher begründen und vor Gericht verteidigen. Und sie holt kräftig aus: Es lägen zwar keine Vorstrafen des 24jährigen vor. Die Polizei erklärt die Tat kurzerhand zur Gesinnungstat, die sich jederzeit wiederholen könnte – auch wenn das bisher und danach nicht vorgekommen sei. Das Göttinger Verwaltungsgericht ist nicht überzeugt. Die Sache zieht sich, aber im Januar 2012 liegt ein Urteil vor: Die Anordnung der Polizei war rechtswidrig und verletzt den Betroffenen in seinen Rechten. Die Prognose der Polizei sei „bloße Spekulation“.

Dies hätte freilich der Abschluss der Angelegenheit sein können. Die Polizei mochte aber nicht klein beigeben und erhebt auf das Urteil hin Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. Wie tief die Ressentiments der Polizei sitzen, zeigt ihre Begründung: Das Verwaltunsgericht irre. Die Tat – also die Pfefferspray-Attacke – sei zunächst einmal eine Neigungstat und die Begehungsweise spreche für eine Wiederholungsgefahr. Hier verliert die polizeiliche Begründung an Deutlichkeit und reicht dafür ein paar möglichst formaljuristisch klingende Allgemeinheiten nach: „In die zu treffende Prognoseentscheidung können auf der Grundlage der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles auch kriminalistisch anerkannte Erfahrungssätze über das Bestehen einer Wiederholungsgefahr einfließen.“ Der Auftaktsatz, um sich nun wirklich einmal alle Vorbehalte von der Seele zu schreiben.

„Zugehörigkeit des Klägers zur linken Szene“ (Kläger ist der Betroffene) und eine „Häufung ähnlicher Übergriffe aus dem linksradikalen Spektrum“ wird attestiert. Die Tat sei vermutlich eine „Neigungstat“, und geschehen als „Zusammenspiel des massiven rechtsgutsgefährdenden Einsatzes von Gewalt in Verbindung mit dem Willen zur Durchsetzung einer extremen politischen Gesinnung“. Keine gewöhnliche Körperverletzung sei es gewesen, so die Polizei. Und formulierte in ihrem Schriftsatz gleich als Tatsache: „Die Motivation des Klägers zur Tat bestand in der Schaffung einer ,No-Go-Area Rote Straße‘ für Personen, die einem vermeintlich konservativ bis rechten Spektrum zuzuordnen sind“. Dafür allerdings liefert die Polizei nicht einen Beleg mit – und glaubt wohl, das verstehe sich irgendwie von selbst.

Das reicht der Polizei aber noch nicht. Das Verwaltungsgericht hätte ihrer Meinung nach auch berücksichtigen müssen, dass der Betroffene ja schließlich in der Roten Straße wohne: „Zudem wäre vom Verwaltungsgericht auch die besondere Wohnsituation sowie Bewohnerstruktur des Wohnprojekts „Rote Straße 1-5″ in Göttingen (Tatort der Anlasstat und Wohnort des Klägers) für die Beurteilung des Vorliegens einer Widerholungsgefahr [sic] zu berücksichtigen gewesen.“ Und später wird sie deutlicher: „Dies führte dazu, dass die Häuser „Rote Straße 1-5″ inzwischen den Wohn- und Aktionsschwerpunkt des linksmotivierten Spektrums in Göttingen bilden und — wie die Anlasstat zeigt — zumindest Teile der Bewohner gedenken, diesen Bereich als eine Art von politisch vermeintlich anders Denkenden ,befreite Zone‘ zu betrachten und einen solchen Zustand ggf. unter Einsatz massiver Gewalt zu verteidigen“. Zuletzt habe das Verwaltungsgericht auch das Geständnis, Entschuldigung und die Schmerzensgeldzahlung im Rahmen des Strafprozesses falsch gewürdigt: Die Polizei unterstellt, dass es dem Betroffenen dabei nur darum ging, Verfahrenskosten niedrig zu halten und einer Mindeststrafe zu entgehen.

Vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) scheiterte die Polizei aber. Per Beschluss vom 10. August 2012 wies sie die Beschwerde der Polizei ab – das Urteil des Verwaltungsgerichts wird damit rechtskräftig. So wundert sich das OVG schon darüber, dass die Polizei eine Geschichte zu der Körperverletzung erzählt, die sich aus den Akten des Strafprozesses nicht ergibt: Von einer Attacke aus dem Hinterhalt, zu der die Polizei den Pfefferspray-Angriff kurzerhand machte, könne nach Aktenlage nicht die Rede sein. Ebensowenig von Plänen einer wie auch immer gearteten „No-Go-Area Rote Straße“. Nicht einmal von einer „verfestigten radikalen Gesinnung“ könne die Rede sein – und die Polizei habe das auch nicht im geringsten untermauert. Auch auf die Vorhaltungen zum Wohnort in der Roten Straße hat das Gericht ein paar deutliche Worte : „Ein solches Zulassungsvorbringen, dass sich in der wiedergegebenen Behauptung erschöpft, genügt nicht den Darlegungsanforderungen.“ Noch deutlicher wird sie, was die Unterstellungen der Polizei angeht, Geständnis und Entschuldigung seien bloß taktisch geschehen: „Die Annahme der Beklagten, der Kläger stamme aus geordneten Verhältnissen, und die daran anknüpfende sinngemäße Vermutung, der Kläger müsse für die finanziellen Lasten des strafgerichtlichen Verfahrens nicht (allein) eintreten und deshalb schrecke ihn die Summe der zu entrichtenden Kosten nicht von künftigen Taten ab, entbehrt jeder Tatsachengrundlage“.

Die Polizei schien geahnt zu haben, dass es mit der Beschwerde nichts wird. Noch im Juni schob sie eilig eine Begründung nach: Der Betroffene sei erneut straffällig geworden. Jedenfalls fast. Der Vorwurf: Diebstahl eines Brauerei-Werbeschilds an einer Kneipe. Die Sache endete gütlich zwischen Wirt und Schild-Dieb, das Schild kam zurück, ein Strafantrag – nötig für eine Verfolgung – wurde nie gestellt. Das OVG ist ein wenig ratlos und es ist trotz juristischer Ausdrucksweise ein wenig Sarkasmus zu erkennen: „Außerdem trägt die Beklagte nicht vor, warum der nachträglich bekannt gewordene Tatvorwurf die von ihr in der Zulassungsbegründung […] prognostizierte Gefahr, der Kläger werde wegen seines radikal-politischen Hindergrundes erneut gegenüber Verbindungsstudenten gewalttätig werden, untermauern soll.“

So taugt das Strafverfahren wieder einmal als Beleg der oft vorgeworfenen reflexhaften Reaktionen der Göttinger Polizei. Zweieinhalb Jahre lang besteht sie auf einer erkennungsdienstlichen Behandlung und ist dabei der Meinung, das dürfe schon deshalb kein Problem sein, weil der Betroffene in der Roten Straße wohnt. Vorwürfe macht sie reichlich, Gründe nennt sie wenig. Der Weg bis zum Oberverwaltungsgericht ist lang – wenig Betroffene haben die Puste, ihn ganz zu gehen.

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