Bühlstraße 28: Pacht zum Nulltarif läuft aus

Geschichte und Zukunft eines Wohnheims
von am 13. Juli 2012 veröffentlicht in Hintergrund, Titelstory, Unipolitik

„Wer hier kauft, kauft uns mit!“ steht auf einem Transparent an der Südseite des über 30 Jahre alten Wohnheims Bühlstraße 28 geschrieben. Die Mietverträge der Bewohner*innen laufen zum Ende des Jahres aus. Dann soll die städtische Immobilie verkauft und könnte schlimmstenfalls abgerissen werden. Das Studentenwerk hat kein Interesse mehr an dem Wohnheim, obwohl es schwarze Zahlen schreibt. Alternativen wurden den Bewohner*innen angeboten, doch die kämpfen lieber für den Erhalt der Bühlstraße 28 und dessen langer Geschichte.

Hintergrund: Osttangente und Göttinger ModellDie Bühlstraße 28 war schon einmal vom Abriss bedroht: Ab 1967 gab es Pläne der Stadt Göttingen, den Innenstadtring (Bürgerstraße, Berliner Straße) östlich der Innenstadt zu erweitern und eine Schnellstraße von Geismar nach Weende zu bauen, die sogenannte „Osttangente“. Dafür sollten neun Gebäude zwischen der Kreuzung Friedländer Weg / Herzberger Landstraße und dem Nikolausberger Weg abgerissen werden, darunter auch die Bühlstraße 28. Doch schon in den Anfängen war es um dieses Projekt schlecht bestellt: Bereits im Oktober 1967 urteilte das Landgericht Hannover, dass es sich bei dem betroffenen Stadtteil „um ein seit Jahrzehnten baulich abgeschlossenes reines Wohngebiet in ruhiger Lage“ handele, das „keiner Umgestaltung bedarf“.

Die Stadtverwaltung versuchte dennoch das umstrittene Verkehrsprojekt umzusetzen, gegen den erheblichen Widerstand von Hausbesetzer*innen und der damals von betroffenen Anwohner*innen gegründeten „Notgemeinschaft Osttangente“. Die Anwohner*innen gingen gegen die Pläne der Stadtverwaltung vor Gericht und bekamen Recht. Neben Verkehrslärm und Luftverschmutzung waren vor allem die geplanten Enteignungen ausschlaggebend für das Scheitern des Verkehrsprojekts. So urteilte die Baulandkammer Hannover 1974, dass der Stadt für eine geplante Enteignung die rechtliche Grundlage fehle. Die im Urteil vorgebrachte Kritik am Vorgehen der Stadtverwaltung ist mehr als deutlich:

„Die Nichtigkeit des Bebauungsplans Nr. 75 „Osttangente-Teilplan Nord“ der Stadt Göttingen beruht sowohl auf mehreren erheblichen Verfahrensmängeln als auch auf materiell-rechtlichen Erwägungen.“

Nun hatte die Stadt in einigen Fällen allerdings schon Gebäude gekauft, um sie für die Osttangente abzureißen, so auch die Bühlstraße 28. Das Verfahren der Stadtverwaltung sah für diese Gebäude bis zum geplanten Abriss in mehreren Fällen eine kostengünstige „Zwischennutzung“ vor: Ab 1970 wurden mit dem Studentenwerk Nutzungsverträge geschlossen, um in Zeiten der Wohnungsnot kurzfristig studentischen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das bis dahin bundesweit einmalige „Göttinger Modell“ war geboren.

Dabei ging es aber nicht um die langfristige Schaffung studentischen Wohnraums. Nach vier Jahren „Göttinger Modell“ zog der Göttinger ASTA eine sehr kritische Bilanz. In der Oktoberausgabe der ASTA-Zeitschrift „Göttinger Nachrichten“ von 1974 wird betont, dass die Stadt keinen neuen Wohnraum geschaffen, sondern vor allem den vorherigen Wohnraum vernichtet, „nachdem sie die früheren Bewohner, Familien mit Kind und Kegel zum Verlassen der Häuser gezwungen“ habe. Für die Zeit bis zum Abriss sei der Wohnraum Studierenden zur Verfügung gestellt worden, „weil diese keine Familie und wenig Mobiliar“ hätten und „daher leicht von heute auf morgen vor die Tür gesetzt werden“ könnten. Sobald ein Abrisstermin feststünde, würde seitens der Stadt „das Studentenwerk eingeschaltet, das für die reibungslose Erledigung der unangenehmen Entfernung der Mieter vertragsgemäß zuständig ist.“ Im Nutzungsvertrag wird das Studentenwerk zudem haftbar gemacht, falls die Mieter*innen Widerstand leisten sollten.

Die ursprüngliche Idee des Göttinger Modells wurde schließlich durch den Widerstand der „Notgemeinschaft Osttangente“ und der Hausbesetzerszene fallen gelassen: Aus einer für den Abriss vorgesehenen Übergangslösung sind schließlich dauerhafte Studentenwohnheime aus der Bühlstraße 28 und anderen Standorten entstanden, nachdem die Pläne für die Osttangente endgültig begraben werden mussten.

Verpachtung zum Nulltarif: Einnahmen und Ausgaben des Studentenwerks

Das im Besitz der Stadt befindliche Gebäude wurde seit Beginn des Nutzungsverhältnisses 1970 zum Nulltarif an das Studentenwerk verpachtet und vom Studentenwerk an eine Wohngemeinschaft von sechs Personen vermietet. Das geschah im Rahmen des „Göttinger Modells“ zur Schaffung studentischen Wohnraums. Seitdem ist das Studentenwerk für die „Instandhaltung des Gebäudes, der Freifläche und der Einfriedungen“ zuständig, während die Stadt „für die Dauer des Nutzungsverhältnisses keine Gewähr für den baulichen Zustand“ leiste, wie es im Nutzungsvertrag heißt. Die Kosten für die Instandhaltung muss das Studentenwerk Ende jeden Jahres gegenüber der Stadt nachweisen.


Steht im Weg: Planung für die Osttangente („GN“ vom 8.10.1974)

Doch für die Instandhaltung des Wohnraums war in den letzten 30 Jahren nicht allein das Studentenwerk verantwortlich. Die Bewohner*innen des Wohnheims haben sich als Hausgemeinschaft um die Pflege des Gartens, die Möblierung oder die Sanierung des Dielenfußbodens gekümmert. Deshalb waren die derzeitigen Bewohner*innen der Bühlstraße 28 auch bestürzt, als sie Mitte Juni von dem geplanten Verkauf des Gebäudes aus der Presse erfuhren. In einem Brief an das Studentenwerk zeigten sie sich enttäuscht, in die Entscheidungsprozesse nicht eingebunden worden zu sein, und machten deutlich, diesen über Jahre erkämpften und aktiv erhaltenen Wohnraum „nicht stillschweigend aufzugeben“.

Also wendete sich die Hausgemeinschaft an den Bauausschuss und erreichte in der Sitzung vom 21.6.2012, dass der Verkauf neu beraten, und eine Weiternutzung als studentischen Wohnheim als Verkaufsbedingung eventuell festgeschrieben werden solle. Erstaunen rief in dieser Sitzung vor allem die Tatsache hervor, dass die Bühlstraße 28 seit den Siebziger Jahren für null Euro pro Jahr an das Studentenwerk verpachtet wurde, wie Harald Melzer vom Fachbereich Gebäude- und Immobilienwirtschaft erklären musste. Die Bewohner*innen stellten sich fortan die Frage „Was hat das Studentenwerk denn mit unserem Geld gemacht?“

Jörg Magull, Geschäftsführer des Studentenwerks nennt gegenüber Monsters of Göttingen keine Zahlen was die laufenden Kosten angeht, führt aber auf, dass vom Studentenwerk „selbstverständlich alle städtischen Gebühren und Abgaben sowie Entsorgungskosten“ aufgebracht werden müssten. „Neben Versicherungen und den Verwaltungsaufwendungen sind ferner sämtliche Kosten, die der Unterhaltung und Pflege des Objektes und Grundstückes dienen, in der Verantwortung des Studentenwerks,“ so Magull.

Die Mieten sind auch in diesem Wohnheim in den letzten 10 Jahren wie überall in Göttingen gestiegen. Vor 2004 zahlten die Bewohner*innen der Bühlstraße 28 pro Person noch 156 Euro warm. Im selben Jahr investierte das Studentenwerk 4.400 Euro in einen neuen Brennwertkessel, in Folge dessen stieg die Miete auf 189 Euro warm. Die größte Investition der letzten zehn Jahre war die Dachsanierung 2008 im Werte von 19.200 Euro. Gegenfinanziert wurden die Kosten abermals mit einer Mieterhöhung auf nun 209 Euro Warmmiete. In den letzten zehn Jahren ergeben sich aus der Warmmiete im Schnitt Einnahmen von 125.000 Euro, von denen die von Magull genannten Kosten natürlich abgezogen werden müssen.


Neues Dach bekommen: Das 1881 erbaute Haus in der Bühlstraße 28

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Ein Kommentar auf "Geschichte und Zukunft eines Wohnheims"

  1. madame_currie sagt:

    Finde es auch eine Frechheit! Wenn man so lange Zeit viel Herzblut in eine Sache gesteckt hat und man das ganze verlieren soll nur weil irgendwer anders egoistischerweise seine Anliegen als wichtiger erachtet!

    Kann sich so ein Wohnheim durch die Mieter nicht selbst tragen? Dann wäre es doch stark wenn sich die WG’s und das gesamte Heim selbstverwalten würden.

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