Schünemann-Besuch

Opferanwältin Marlene Jendral im Gespräch
von am 13. Januar 2012 veröffentlicht in Hintergrund, Polizei & Justiz

Anläßlich des Besuchs des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann kam es am vergangenen Dienstag im und vor dem Zentralen Hörsalgebäude der Universität zu heftigen Szenen. Eine Blockade des Saals wurde von der Polizei unter den Augen zahlreicher Zeugen gewaltsam geräumt, ebenso eine spontan versuchte Sitzblockade vor dem Gebäude. Medienberichten zufolge gab es mehrere Verletzte. Manche von ihnen haben mittlerweile Anzeige gegen die Einsatzkräfte erstattet. Wir sprachen mit der Göttinger Rechtsanwältin Marlene Jendral, die einige der Geschädigten vertritt.

MoG: Bei der Blockade des Hörsaals im ZHG kam es letzten Dienstag zu einer gewaltsamen Räumung durch die Polizei, die in Videomitschnitten des NDR zu sehen ist. Die Räumung wurde in der Presse zunächst damit begründet, die Protestierenden hätten versucht, sich unrechtmäßig Zugang zum Saal zu verschaffen. Wie schätzen Sie die Rechtmäßigkeit dieser Räumungsaktion ein?

Jendral: Grundsätzlich stellte die Blockade im ZHG eine Versammlung dar. Eine solche Versammlung genießt den besonderen Schutz des Art. 8 Grundgesetz. Dieser grundrechtlich verbriefte Schutz bedeutet juristisch betrachtet, dass eine Versammlung zunächst aufgelöst werden muss, damit eine Räumung durch die Polizei stattfinden darf. Aus dem vorliegenden Material ist bisher keine Auflösung der Blockade ersichtlich, so dass es durchaus vorstellbar ist, dass schon aus diesem Grund der auf den Videoausschnitten zu sehende Polizeieinsatz als rechtswidrig zu erachten ist. Darüber hinaus muss auch nach der Auflösung einer Versammlung die Wahl der eingesetzten Mittel verhältnismäßig sein. Dies erscheint im vorliegenden Fall mehr als fraglich.

MoG: Auf Seiten der Blockierenden soll es mehrere Verletzte gegeben haben, wie man sich nach Sichtung der Videos ja auch leicht vorstellen kann. Dort ist unter anderem zu sehen, wie Menschen bedrängt und auf den Kopf / ins Gesicht geschlagen werden, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Ist das dokumentierte Handeln der Polizei ihrer Einschätzung nach verhältnismäßig?

Jendral: Die Frage der Verhältnismäßigkeit von staatlichem Handeln ist immer eine Frage danach, ob nicht ein milderes Mittel zur Erreichung eines Ziels existiert. Das Schlagen von Menschen, die mit dem Rücken zur Wand stehen, ist zunächst einzig bloße Gewalt. Es hätten durchaus mildere Mittel zur Verfügung gestanden, so dass davon ausgegangen werden muss, dass dieses Handeln auch juristisch betrachtet als unverhältnismäßig einzustufen ist.

MoG: Bei der Abfahrt des Ministers in einem Polizeifahrzeug soll sich eine Hand voll Protestierende auf den Boden gesetzt haben um die Abfahrt zu behindern. Diese wurden laut Zeugenaussagen ohne jede Vorwarnung geschlagen, getreten und abgeführt. Muss eine solche Blockade vor der Räumung nicht zunächst gewarnt und für beendet erklärt werden? Rechtfertigt ein Steinwurf eines Dritten eventuell ein solch rabiates Vorgehen?

Jendral: Diese Sitzblockade dürfte zunächst ebenfalls als grundrechtlich geschützte Versammlung unter dem Schutz des Art. 8 Grundgesetz einzuordnen sein. Auch das möglich strafrechtlich relevante Verhalten Dritter führt nicht ohne weiteres dazu, dass Teilnehmer einer Sitzblockade diesen Grundrechtsschutz verlieren. Selbst wenn aber eine ordnungsgemäße Auflösung stattgefunden haben sollte, erscheint es jedoch im Hinblick auf die Wahl der Mittel immer noch unverhältnismäßig, Menschen zu schlagen und zu treten. Jedenfalls fällt mir keine Konstellation ein, hinsichtlich der bei einigen wenigen sitzenden Blockierenden das bloße Wegtragen der Personen nicht ausreichend gewesen wäre.

MoG: Viele politische Gruppen und auch bürgerliche Medien haben sich kritisch zum Polizeieinsatz geäußert. Dabei wird immer wieder auf die besondere Brisanz solcher Einsätze auf dem Universitätsgelände verwiesen. Hat das Unigelände einen besonderen rechtlichen Status, oder ist es gewöhnlicher öffentlicher Raum wie beispielsweise die Fußgängerzone?

Jendral: Die Universität und ihr Gelände gelten als besonders geschützter Raum, der möglichst frei von staatlicher Einflussnahme sein sollte. Dies ist einerseits die Lehre aus der Vergangenheit und andererseits ein Ausfluss aus der Freiheit der Wissenschaft und Lehre. Daher hat die Universitätsleitung auf dem Unigelände auch in eigener Verantwortung die Aufgabe, für die Sicherheit der Studierenden zu sorgen. Letztendlich bedeutet diese Trennung, dass Polizeieinsätze wie der vorliegende einer Genehmigung von Seiten der Universität bedürfen. Diese Genehmigung wurde im Vorfeld erteilt. Allerdings glaube ich kaum, dass die Universitätsleitung mit einer derartig martialischen Polizeipräsenz gerechnet hat.

MoG: Sie vertreten einige Betroffene der Polizeigewalt, die eingesetzte Beamte wegen Körperverletzung im Amt angezeigt haben. Wie stehen ihrer Meinung nach die Chancen, dass das Handeln der Polizei strafrechtliche Konsequenzen hat?

Jendral: Das grundsätzliche Problem bei gewalttätigen Übergriffen durch Polizeibeamte ist und bleibt weiterhin die fehlende Kennzeichnungspflicht der einzelnen Beamten, so dass es regelmäßig schwierig ist, die richtigen Täter zu identifizieren. In den vorliegenden Fällen sind jedoch mittels des umfangreichen Videomateriales einige der Täter eindeutig auszumachen, so dass die Einleitung strafrechtlicher Verfahren Erfolg versprechend ist. In diesem Zusammenhang sind zunächst Strafanzeigen gegen Unbekannt gestellt worden. Eine Konkretisierung der auf den Videos zu sehenden Taten wird innerhalb der nächsten Tage nach der vollständigen Auswertung des vorliegenden Materials erfolgen und der Staatsanwaltschaft zugeleitet werden.

MoG: Vielen Dank für das Interview!

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3 Kommentare auf "Opferanwältin Marlene Jendral im Gespräch"

  1. uli-e sagt:

    An wen kann man sich mit einer Zeugenaussage wenden? Beobachtet wie eine Verletzte weggetragen wurde, die Ersthelfer von ihrem Tun abgehalten und einer der Ersthelfer angegriffen wurden.

    Ist im Beitrag „Schünemanns Schergen“ Kommentar 16 grob umschrieben.

  2. Im Zweifelsfall erstmal bei der Roten Hilfe melden, unter der 0551 7708000.
    Da ist eigentlich während/nach jeder Göttinger Demo der Ermittlungsausschuss (EA), der sowas zusammenträgt. Am besten gleich ein Gedächtnisprotokoll schreiben, falls noch nicht getan nachholen! Das Gedächtnis trübt schnell Erlebnisse…

  3. Bazi sagt:

    Zeugenaussagen bzw. Gedächtnisprotokolle am besten bei der Anwältin (also in diesem Fall: RA’in Fr. Marlene Jendral) hinterlegen. Kontaktadresse für die eigene Erreichbarkeit mit angeben. Am besten persönlich abgeben oder direkt in den Briefkasten der Rechtsanwalts-Kanzlei werfen. Die Anwältin kann nach Sichtung des kompletten Materials dann entscheiden, was für die Vefahren relevant ist.
    Wenn in anderen Fällen nicht bekannt ist, wer die Opfer vertritt, stellt die Rote Hilfe mit ihrem Büro in der Langen Geismarstr. die richtige Adresse dar.

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