Piratenpartei Göttingen

Jenseits von rechts und links
von am 24. Oktober 2011 veröffentlicht in Lokalpolitik, Titelstory

Die Piraten treten derzeit den etablierten Parteien auf die Füße, Umfragen sehen sie bundesweit bei acht Prozent. Auch in Göttingen sind sie jüngst in Kreistag und Rat der Stadt eingezogen. Im Rat der Stadt werden sie ganz rechts außen sitzen, da sind sie politisch aber wohl nicht einzuordnen. Darüber sprachen wir mit den Piraten, wie auch über die Tatsache, dass einer ihrer Abgeordneten in der Ausländerbehörde arbeitet.

MoG: Die FDP musste für die Piraten ihr Büro im Göttinger Rathaus räumen. Sind Sie die neuen Liberalen?

Tobias Schleuss: Die Leute wollen uns gerne einordnen in das alte rechts-links Schema. Das gefällt uns aber nicht, denn da passen wir nicht rein. Wir sind ein bunt gemischter Haufen, haben ehemalige Mitglieder verschiedener Parteien an Bord. Viele von uns sind auch neu in der Politik. Wir vertreten sicher auch Inhalte, die die Liberalen in ihrem Programm stehen haben, aber von der Realpolitik nie richtig umgesetzt wurden. Wir sind eine sozial-liberale Bürgerrechtspartei.

Im Rat der Stadt haben Sie bei den Wahlen im September zwei Sitze errungen, im Kreistag einen. Welche Akzente wollen Sie in der Göttinger Kommunalpolitik setzen?

Schleuss: Im Rat der Stadt sind wir mit zwei Sitzen die kleinste Fraktion. Aufgrund der Fraktionsgröße werden wir in den Ausschüssen auch nicht abstimmen dürfen. Wir werden uns dort aber als Beratende Mitglieder einbringen können.

Andreas Schelper: Wir wollen auch direkt-demokratische Elemente stärken und die Bürger an Entscheidungen beteiligen. Zum Beispiel im Bezug auf die mögliche Fusion der Landkreise oder den Entschuldungsvertrag. Allerdings nicht so wischi-waschi, wie das aus dem Koalitionsvertrag der Grünen und der SPD im Kreis hervorgeht. Sondern es muss eine echte Befragung stattfinden und die Ergebnisse müssen dann auch bindend sein.

Schleuss: Bürgerbeteiligung fängt für uns bei einer besseren Information der Bürger an. Wir wollen die Verwaltungsstrukturen transparenter gestalten, unter anderem durch eine Live-Übertragung oder zumindest einen Videomitschnitt der Ratssitzungen.

Bleiben wir bei Ihren politischen Zielen: Die Göttinger Piraten wollen offenbar ziemlich viel, von günstiger Kultur bis hin zu kostenlosen öffentlichen Verkehrsmitteln. Sicher haben Sie mitbekommen, dass Göttingen sowieso schon kaum Geld hat. Die Entschuldung der Stadt, die große Einsparungen nötig machen würde, befürworten Sie dabei auch noch.

Schelper: Die Leute übersehen häufig, dass wir in unserem Programm auch Einsparmöglichkeiten aufzeigen. In den Schulen soll statt kostenpflichtiger Programme freie Software verwendet werden. Das wäre eine große Einsparung. Die genaue Höhe kann ich allerdings aufgrund intransparenter Verträge nicht beziffern. Ein anderes Beispiel ist die Voigt-Schule in Göttingen. Die steht leer, gleichzeitig mietet die Stadt aber Räumlichkeiten für Dienststellen an. Das ist unwirtschaftliches Verhalten.

Immer wieder wird der geringe Frauenanteil bei den Piraten thematisiert. In Göttingen scheint es den ebenfalls zu geben. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Schelper: Viele von uns sind durch Internet- und Technikthemen zu den Piraten gekommen. Da schließt sich die Frage an, warum sich so wenige Frauen für technische Berufe interessieren. Darauf habe ich aber noch keine Lösung. Wir haben auch Frauen in der Partei, mit denen habe ich allerdings zum Teil unglückliche Erfahrungen gemacht. Man darf Frauen nicht fragen: ‚Möchtest Du dich stärker einbringen, weil Du eine Frau bist?‘ Sondern es muss von den Frauen selbst kommen.

Aljoscha Rittner: Andere Parteien haben dieses Problem ja genauso, selbst die Grünen haben seit zwei Jahrzehnten in der Gesamtpartei nur einen Frauenanteil von 37 Prozent. Wir müssen uns diesem Problem aber stellen und nicht sagen, wir sind eine Männerpartei, weil wir was mit Technik zu tun haben. Aber wir sollten auch nicht so fundamentalistisch denken und per Quote 50 Prozent Frauenanteil anstreben.

In Teilen der Göttinger Linken steht man den Piraten sehr kritisch gegenüber, weil mit Andreas Schelper ein Göttinger Pirat bei der Ausländerbehörde der Stadt arbeitet und da auch für Abschiebungen zuständig ist. Was sagen Sie zu diesen Diskussionen?

Schelper: Persönlich hat mich noch niemand darauf angesprochen. Mein Büro ist schon mehrmals besetzt worden, was natürlich sehr ungewöhnliche Arbeitstage für mich waren. Ich bin der Meinung, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe. Meine Vorgesetzten sind genauso in der Kommunalpolitik aktiv. Es kann ja nicht sein, dass niemand aus der Ausländerbehörde sich mehr in der Politik engagieren darf. An der Diskussion auf einer Mailingliste über meine Person, wie sie derzeit stattfindet, werde ich mich nicht beteiligen, das führt zu nichts. Für persönliche Gespräche stehe ich aber zur Verfügung.

Rittner: Es erstaunt mich, was für Kreise diese Sache zieht. Ich war kürzlich auf einem Seminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Göttingen. Als ich dort sagte, ich sei Pirat aus Göttingen, war die Antwort: ‚Ach, die Abschieber‘.


Göttinger Piraten beim Wahlkampf in Weende

Tatsächlich ist das Programm der Göttinger Piraten zur Immigrationspolitik aber doch deutlich links der gängigen Praxis zu verorten.

Schleuss: Von der strafrechtlichen Beurteilung der Residenzpflicht halten wir beispielsweise gar nichts. Es darf nicht sein, dass man ein Verbrechen begeht, wenn man für eine Party kurz ins Nachbardorf wechselt und seinen Bereich verlässt. Das ist unverhältnismäßig.

Herr Schelper, ist es kein Widerspruch für Sie, einerseits mit ihrer Partei ein solches Programm zu vertreten, in der Praxis aber eine deutlich restriktivere Politik durchzusetzen?

Schelper: Nach der Kommunalwahl hat es mich einmal mehr überrascht, wie wichtig in meinem Fall der Broterwerb ist, dem ich nachgehe. Das macht auch Ihre Frage deutlich. Wäre ich Finanzbeamter, Angestellter bei der Sparkasse oder im Vorstand eines Wohnungsbauunternehmens hätten Sie mir diese Frage sicher nicht gestellt. Es ist auch nicht richtig, dass alle Menschen, mit denen ich im Rahmen meiner Berufstätigkeit in Kontakt trete, Ihre Einschätzung teilen, wonach das Thema Einwanderung in Göttingen besonders restriktiv gehandhabt wird. Ich halte es nicht für sinnvoll, hier alle über einen Kamm zu scheren, weil es sich bei den Migranten um eine heterogene Gruppe handelt. Die Mehrzahl der in Göttingen wohnhaften nicht deutschen Staatsangehörigen sind ausländische Studenten, die unter sehr harten Bedingungen ohne Bafög-Anspruch ihre Ausbildung bei uns absolvieren und im Anschluss daran häufig als Fachkräfte im In- und Ausland gefragt sind. Dann gibt es viele Forscher, Professoren, die Generation der sogenannten Gastarbeiter und als zahlenmäßig geringen Anteil natürlich Flüchtlinge.

Wenn Sie sich rechtsvergleichend in Europa umschauen, meine ich, dass Deutschland nicht besonders hartherzig ist, wenn es um das Thema Einwanderung geht. Teile der Piratenpartei verstehen sich auch als Bürgerrechtspartei. Ich nehme für mich in Anspruch, mich sehr intensiv mit den Grundrechten sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene auseinandergesetzt zu haben und dies im Rahmen meiner Tätigkeit zu berücksichtigen. Gleichwohl ist es so, dass wenn es um Worte wie Angemessenheit des Eingriffes geht, Maßstäbe eine Rolle spielen. Hier habe ich zur Kenntnis zu nehmen, dass häufig eine Diskrepanz zwischen der Auffassung der Interessenvertreter und der gesetzlichen Situation besteht, die ich wegen meiner festen Überzeugung, dass sich die Verwaltung an Recht und Gesetz zu halten hat, nicht in jedem Fall auflösen lässt.

Am liebsten möchte ich meine kommunalpolitische Tätigkeit nicht mit meinem Beruf vermischen. Wir haben unser Kommunalwahlprogramm arbeitsteilig entworfen. Ich habe mich bewusst aus dem Teil, der die Förderung der Integration betrifft, heraus gehalten. Wir haben das Programm im Frühjahr entworfen. Inzwischen ist sogar die CDU-Landesregierung dabei, die Residenzpflicht aufzuweichen, so dass wir diesem Ziel – wenn Sie so wollen – bereits ein großes Stück näher gekommen sind. Insofern sehe ich den von ihnen erkannten Widerspruch nicht.

Meine Schwerpunkte im Kreistag sehe ich in dem Bereich Gewährleistung von Zugänglichkeit der Information, Open Access, Tierschutz und Bildung. Ich freue mich, dass ich die Tätigkeit der BBS I (Arnoldi-Schule), die sich in der Trägerschaft des Landkreises befindet, voraussichtlich im Schulausschuss begleiten werde. Hier habe ich hier einen Teil meiner Schulzeit verbringen dürfen.

Andreas Schleper wird ab November das Mandat der Piraten im Göttinger Kreistag wahrnehmen, Tobias Schleuss bildet gemeinsam mit Martin Rieth die Fraktion im Rat der Stadt Göttingen. Aljoscha Rittner sitzt im Rat der Stadt Uslar.

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18 Kommentare auf "Jenseits von rechts und links"

  1. retmarut sagt:

    Das nenne ich mal ein entlarvendes Interview.

    „Wenn Sie sich rechtsvergleichend in Europa umschauen, meine ich, dass Deutschland nicht besonders hartherzig ist, wenn es um das Thema Einwanderung geht.“

    Jaja, die mildherzige deutsche Asylpolitik, die einem doch gleich ins Auge springt, z.B.
    a) die Residenzpflicht, mit denen Flüchtlingen am Verlassen der kommunalen Grenzen gehindert werden, also das Recht auf Bewegungsfreiheit mit Füßen getreten wird,
    b) weitgehende Abschottung der BRD durch die vorgelagerte „Drittstaaten“-Regelung sowie „extraterritoriale Zonen“ auf deutschen Flughäfen,
    c) Inhaftierung von Flüchtlingen im Rahmen der sog. Abschiebehaft von bis zu 18 Monaten zwecks „erleichterter Abschiebung“,
    d) jahrelange Praxis der Abschiebung von alleinstehenden Minderjährigen entgegen der UN-Kiderrechtskonvention,
    e) Verwehrung gleicher Rechte und eines Aufwachsens in Würde für derzeit über 40.000 Flüchtlingskinder, die von Leistungen weit unterhalb des sowieso schon mickrigen ALG II-Satzes leben müssen und nur bei „akuten Schmerzen“ überhaupt einen Arztbesuch genehmigt bekommen,
    f) Abschiebungen von Einzelpersonen und Familien in fremde Staaten, deren Sprache und Kultur die Flüchtlinge nicht kennen, z.B. Abschiebung von libanesischen Flüchtlingen in die Türkei.

    Um nur mal einige Spitzen des Eisbergs dieser keineswegs mildherzigen, sondern im Kern rassistischen deutschen Abschiebepolitik zu benennen.

    „Am liebsten möchte ich meine kommunalpolitische Tätigkeit nicht mit meinem Beruf vermischen.“

    Genau: Abgeschoben und gedemütigt wird nur während der bezahlten Arbeitszeit. Im Stadtrat darf dann nach Feierabend ruhigen Gewissens für „Tierschutz und Bildung“ eingetreten werden.
    Da haben sich die Piraten ja einen schönen Schreibtischtäter ins Boot geholt.

    Da haben die Piraten jetzt also nicht nur ihre diversen Nazi-Problemfälle (bzw. Probleme mit dem Umgang mit ehemaligen Nazis), sondern auch ihren Göttinger Abschiebe-Piraten.

  2. Fernseherin sagt:

    Wirklich ein hochinteressantes Interview. Ich möchte gerne zu dem Satz ergänzen, dass es vermutlich einen noch viel größeren Teil der Göttinger Linken gibt, der dieser Partei schon deswegen kritisch wenn nicht ablehnend gegenüber steht, weil sie eine Partei ist.

  3. dein gewissen sagt:

    „die ich wegen meiner festen Überzeugung, dass sich die Verwaltung an Recht und Gesetz zu halten hat, nicht in jedem Fall auflösen lässt. “

    die verwaltung hat sich nicht immer an recht und gesetz zu halten. eben weil sie es tut, hakt es meistens in sachen (sozial-)rassismus.

  4. retmarut sagt:

    „Im Stadtrat darf dann […]“
    Soll natürlich Kreistag heissen.

  5. Broeckelhaus sagt:

    „“

    Das ist bereits eine Relativierung der europäisch vorbildlichen „Integrations“politik. Sichere Drittstaatenlösung gemäß Dublin II von Deutschland auf Europa übertragen und die BRD von sicheren Drittstaaten umzingelt seit dem Asylkompromiss mit Konsequenz des 16a ohne ernsthafte Verpflichtung Asyl vergeben zu müssen. Dazu kommt mit Gutscheinpraxis, Residenzpflicht, Arbeits- und Ausbildungsverboten in Kombination zur Regelung des Inländerprimats (dass vom Arbeitsamt geprüft wird, ob es deutsche oder Europäer gibt, die für den Job eher in Frage kommen würden), die Flüchtlingen die sog. Freiwillige Ausreise im Kontext einer Kettenduldung sehr nahe legen soll. Deutschland ein Vorreiter des Festung Europa Gedankens, was die dafür Verantwortlichen gerne anders darstellen und dies gilt dann für die Bundesregierung ebenso, wie den direkt mit Betroffenen arbeitenden Herrn Schelper, der für jeden Flüchtling ein unangebrachtes Lächeln übrig hat.

    „“

    Tja, nur Befehle befolgt haben schon andere in der deutschen Historie, aber der gute Schelper legt dann in seiner Auslegung der Gesetze ja auch noch fast unaufgefordert nach. So schrieb er vor knapp über einem Jahr eine Stellungnahme an das OLG im Kontext eines Verfahrens, welches eine Abschiebung abwenden sollte im Namen der Ausländerbehörde „sinngemäß“, „Da die Eltern von … nicht der deutschen Sprache mächtig sind, ist davon auszugehen, dass … nicht integriert ist“. Das dies argumentativ nichts anderes als ein „nicht folgerichtig“ bereits in der 3. Klasse wert ist, ist die eine Seite, die andere Seite ist die Intention sich Sachverhalte zu konstruieren um dem Gericht mitzuteilen, dass dieser Mensch abgeschoben werden muss und dafür saugt sich Herr Schelper sogar Unsinn in einer schriftlichen Stellungnahme aus den Fingern.

    „“

    Ich kenne die Zahlenverhältnisse nicht, aber ich weiß, dass die Flüchtlinge nicht wie in diesem Satz versucht darzustellen eine Marginalität von 10 oder 20 Menschen ist. Und darum geht es auch nicht, denn es sind und bleiben Menschen, die in einem Status beschränkt in ihren/seinen Grundrechten hier ja eben nichts anderes als gerade so geduldet werden. Der deutsche Staat will sie nicht haben und Andreas Schelper stellvertretend für eine Person, die die ausländerbezogene Politik der BRD an der Basis mit Freude umsetzt, will sie auch nicht haben. Womit er sich gemäß der zitierten Aussage anfreunden könnte sind die ökonomisch nützlichen und für Deutschland verwertbaren Migranten, aber Menschen die aus ihren Ländern fliehen müssen, weil sie dort politischem und ökonomischem Elend ausgesetzt sind, sieht die BRD und Andreas Schelper als Belastung für den Deutschen und den deutschen Staat, aber gut das die deutsche Definition von „politisch verfolgt“ wohl auch im Sinne des Andreas Schelpers als Asylgrund dermaßen eng und restriktiv ausgelegt wird, dass man im Sinne einer notwendigen staatlichen Verfolgung am besten die Bilder aus dem Folterkeller mitbringen müsste.

    Und es sind eben Menschen wie Andreas Schelper gewesen, die Menschen ohne Bedenken an das syrische Assad Regime ausgeliefert bzw. abgeschoben haben, da in ihren Augen nicht eindeutig genug bewiesen werden konnte, welche Menschenverachtung von Syrien ausgehe, die vergangenen Monate machen eine solche „Argumentation“ durchaus schwerer.

    Um es am Ende noch einmal festzustellen, Andreas Schelper ist niemand, der seine Arbeit in der Ausländerbehörde halt machen muss und nicht anders kann, weil ihm die Hände gebunden seien. Er ist derjenige der Göttinger Ausländerbehörde, der Angst und Schrecken unter den Flüchtlingen verbreitet und an jeder Stelle an der er nur kann versucht seinen Spielraum zu nutzen um die deutsche Asylpolitik noch ein Stück restriktiver zu machen. Wenn die Göttinger Piraten auch nur einen Funken Anstand haben ist diese moderne Version eines Schreibtischtäters aus ihren Reihen zu verbannen, denn wenn eine Partei sich der bürgerlichen Freiheiten verschrieben fühlt, dann ist und bleibt sie mit einem Person dieser Menschenverachtung eines Andreas Schelpers schlichtweg nicht kompatibel.

  6. Dude sagt:

    Hm.. also die Mehrheit hier ist dafür, jeden Flüchtling in Deutschland aufzunehmen, ihm mehr als Hartz IV zu zahlen und kostenlose Krankenpflege zu gewähren? Sehe ich das richtig?

  7. Harvey sagt:

    Erklär‘ mal, wie du darauf kommst.
    Für meinen Teil: „Hartz IV“ ist allein schon durch allerlei Pauschalierungen, zuwenig Einzelfallbezogenheit generell eine ziemlich unsoziale Geschichte. Natürlich betrifft das am Ende regelmäßig die Höhe, es geht aber ursächlich um falsche oder fehlende Entscheidungen. „Krankenpflege“ – ähm, wenn du darunter kostenfreie medizinische Versorgung verstehst, dann bin ich auch dafür.
    Bleibt noch ein kleines Problem: „die Mehrheit hier“ ist ne absolut irrelevante und vermutlich ohnehin nicht zu erhebende Größe, je nachdem, was du darunter fasst. Dem Duktus nach hört sich das allerdings eh nach nem Schrotschuss in Richtung vermuteter politischer Lager an. Wenn du bloß eigene Ressentiments bedienen willst, dann arbeite ruhig mit großzügiger Kollektivierung deines Gegenüber weiter, ansonsten solltest du vielleicht weniger mit Generalisierungen arbeiten.

  8. Dude sagt:

    Sorry, meinte natürlich nicht Hartz IV, sondern „ALG II“ und bezog mich damit auf retmaruts Punkt e).
    „Die Mehrheit“ meinte ich zumindest die „Mehrheit“ derjenigen, die diesen Artikel kommentiert haben.
    Und aus meine „Duktus“ nimmst du raus, dass ich meine eigenen Ressentiments bedienen will? Verstehe ich das richtig (einfaches Ja/Nein reicht)
    Zudem möchte ich @Broeckelhaus‘ Kommentar anprangern. Wie kann es sein, dass ein deutscher Beamter (Herr Schelper ist doch Beamter, oder?), der vielleicht einen in euren Augen unpopulären Job macht, gleich indirekt nicht nur als Nazi sondern als Mithelfer beim Holocaust betitelt wird („Schreibtischtäter) …!??? Sorry, aber guck dir doch nochmal ein paar Auschwitzvideos an… und dann überlegst du dir vielleicht 2mal (hofftentlich mindestens 6mal) wenn du als Nazi oder gar „Schreibtischtäter“ bezeichnest. Es kann NICHT sein, dass jemand der offensichtlich nicht links(-radikal) ist in eine Ecke mit den größten Verbrechern der Weltgeschichte gestellt wird!!!!

  9. retmarut sagt:

    @ Dude: Der Begriff Schreibtischtäter gibt eine bestimmte an, nämlich (objektiv) inhumane Schweinereien bürokratisch umzusetzen, wenn sie denn nur von oben per Dienstanweisung angeordnet werden. Und nichts anderes macht jemand, wenn er/sie z.B. libanesische Flüchtlinge in die Türkei abschiebt, wenn Asylsuchenden der Gang zum Arzt verweigert wird, wenn Asylsuchende mittels Residenzpflicht am legalen Verlassen des Landkreises gehindert werden, wenn Flüchtlinge in Abschiebehaft gesteckt werden, wenn Flüchtlingskindern der Schulbesuch erschwert wird etc. pp.

    Diese ist in der Tat die gleiche wie 1941 ff. bei deutschen Verwaltungsstellen, die daran beteiligt waren, dass hunderttausende von Menschen beispielsweise ganz bürokratisch via Bahn in Arbeits- und Vernichtungslager transportiert wurden. Nach 1945 haben jene Schreibtischtäter sich darauf berufen, nur nach Dienstanweisung gehandelt zu haben und dass sie nur einen kleinen Arbeitsschritt in dem ganzen Ablauf bearbeitet haben. Mal abgesehen davon, dass die meisten sehr wohl ideologisch hinter ihrer Arbeit standen, wären ohne diese separaten und aufeinander aufbauenden Arbeitsschritte die Erfassung der Daten und der Abtransport der Personen gen Osten nicht möglich gewesen. Ein System wie Treblinka oder Sobibor hätte eben nicht funktioniert, wenn es allein auf zwei Dutzend SS-Männern und ein paar Handvoll ukrainischer Wachmannschaften basiert hätte.

    Auch aus dieser historischen Verantwortung heraus sollten sich Angestellte und Beamte in Ausländerbehörden nicht widerstandslos für solche Praktiken instrumentalisieren lassen. Gerade das Asylrecht im GG war 1949 ein ganz wesentliches Ergebnis und eine Lehre aus den Erfahrung mit dem deutschen Faschismus. Mittlerweile ist das Asylrecht (insb. nach seiner faktischen Abschaffung Anfang der 1990er) jedoch zu einem Mittel verkommen, um Flüchtlinge grundsätzlich aus der BRD fernzuhalten (Drittstaatenregelung, Frontex), möglichst zügig wieder los zu werden und ihren Aufenthalt in Deutschland so demütigend und inhuman wie möglich zu gestalten. Und in diesen drei Disziplinen ist die BRD ganz vorne an der Spitze in Europa mit dabei, als treibende Kraft im Schengen-Raum.

    Und ja: Ich bin für ein existenzsicherndes Minimum, das allen in diesem Land lebenden zusteht, ohne Ansehen von Herkunft, Staatsbürgerschaft oder Religion. Und ja: Ich bin auch für eine medizinische Versorgung, die allen, egal ob sie Geld haben oder nicht, gleichermaßen zu Gute kommen soll. Und ja: Ich bin für das allgemeine Recht auf Bewegungsfreiheit und gegen ein Apartheidsgesetz wie die Residenzpflicht. Und ja: Ich bin für ein Asylrecht, das diesem Namen auch gerecht wird und Flüchtlingen Schutz gewährt.

    PS: Dude, komm mal bitte von Deinen platten Bildzeitungsparolen runter! Gracias!

  10. apl sagt:

    Was für eine Rolle spielt es, dass der Mann ein deutscher Beamter ist?

    Mir ist es persönlich scheißegal ob jemand sich als links versteht, links ist, oder sonstwas.
    Es geht mir darum ob ein Mensch menschlich ist. Wer die Abschiebepolitik unterstützt, passiv oder aktiv, handelt unmenschlich.
    Aber sag mir, hat es Sinn Menschlichkeit als Wert anzuführen, bei jemandem der ernsthaft ein Fragezeichen hinter kostenlose medizinische Versorgung setzt?

    Bleibt nurnoch zu sagen: Multiple exclamation marks are a sure sign of a diseased mind.

  11. Dude sagt:

    Mir ist zwar unklar, welchen Teil meines Posts du auf Bildzeitungsparole bezeichnest, aber ist mir auch Wurst.
    Natürlich bin auch für eine (humane) Grundsicherung und kostenlose medizinische Versorgung für jeden … aber dann klingelt mein Wecker und stehe auf lebe wieder in der realen Welt.
    Wer soll den Kram bezahlen? Woher soll das Geld kommen? Auch unsere Gesellschaft lebt seit Jahren über ihre Verhältnisse. Wo kein Geld ist, kann man es auch nicht verschenken.

    Und jetzt mal eine ernstgemeinte (!!) Frage:
    Was glaubt ihr, liebe Leser, wie groß der Anteil derer Ausländer, die als „politische Flüchtlinge“ nach Deutschland kommen – obwohl sie gar nicht verfolgt oder diskriminiert werden – ist, nur weil sie einfach einen höheren Lebensstandard erhoffen?
    Ich meine das als ernste Frage und nicht mit irgendwelchen Hintergedanken…

    PS:
    @api:Ich bin Wirtschaftsstudent. Natürlich hat Menschlichkeit keinen Wert!

  12. Rakete sagt:

    Wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass „unsere Gesellschaft“ nur überlebensfähig ist, wenn sie rassistische Diskriminierung praktiziert, könnte man halt auch mal anfangen zu überlegen, ob hier nicht grundsätzlich was falsch läuft…

  13. Dude sagt:

    Das einiges falsch läuft wollen wohl auch die wenigsten bestreiten …

    Die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft ist aber nicht „rassistische Diskriminierung“ gekoppelt, sondern einfach an die Tatsache, dass wir mehr Geld ausgeben, als wir haben.

  14. winston_wants_victorygin sagt:

    Sich an dem Wort „Schreibtischtäter“ stoßen aber dann „Natürlich hat Menschlichkeit keinen Wert!“ von sich geben.
    Mehr muss eigentlich nicht gesagt werden, um genau die verlogene, doppelzüngige Mentalität bzw. Geisteshaltung der MittäterInnenschaft bei gleichzeitig geheuchelter Redlichkeit zu demonstrieren, die retmarut so treffend beschreibt.
    @Rakete: I approve.
    @Dude: unter anderem deswegen habe ich beim Gedanken an diese Gesellschaft kein „Wir“ im Kopf.

  15. Dude sagt:

    @winston: Das war ein SCHERZ du Nase!

    … auch wenn das Motto „Menschlichkeit hat keinen Wert“ anscheinend unbegreiflicherweise von genug Menschen praktiziert wird …

  16. winston_wants_victorygin sagt:

    Kein Problem, bei Leuten, denen es (vermute ich mal) so ziemlich an nichts existenziellen mangelt und die sich dann aufregen wenn andere leben wollen statt dahinvegetieren lass ich gerne mal den humorlosen Linken raushängen. Und das mit der Menschlichkeit ist nicht unbegreiflich, sondern liegt wohl eher daran, dass „Menschlichkeit“ im Sinne kapitalistischer Profitmaximierung wohl tatsächlich keinen Wert hat.
    Zu der Frage mit dem Lebensstandard solltest du vlt mal sowas hier angucken:
    http://www.youtube.com/watch?v=GWwD_I39lCg&feature=results_video&playnext=1&list=PLC75A444B4047BE83
    Und auch diese Familie ist vor einer Diktatur geflohen. Und ein gutes Beispiel für Ämterwillkür ist es auch.

  17. ottter sagt:

    so kann herr breitenbach doch noch bei mog einsteigen … 😉 und auch darüber hinaus ist der text in verbindung mit diesem threat lesenswert.

    http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Goettingen/Uebersicht/Innenministerium-gibt-Anleitung-zur-Schikane

  18. Rogue sagt:

    Naja, Herrn Breitenbach scheint eher an der ökonomischen Verwertbarkeit der Betroffenen zu liegen:

    Das Abstellen auf die vermeintliche Nützlichkeit von Migrant_innen diskreditiert ihn dann hoffentlich wieder für die Mitarbeit bei der MoG-Redaktion 😉

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