Journalistenbepitzelung

Im Visier des Geheimdienstes
von am 11. Oktober 2011 veröffentlicht in Polizei & Justiz, Titelstory

Der niedersächsische Verfassungsschutz bespitzelt einen Göttinger Journalisten jahrelang während seiner Berufsausübung und führt genau Buch darüber. Was der Grund für die Beobachtung ist, will er nicht verraten. Harrsche Kritik kommt von Gewerkschaften und aus der Politik.

Kai Budler arbeitet seit elf Jahren als Redakteur für das StadtRadio Göttingen und betätigt sich nebenbei als freier Journalist. Er arbeitet ausführlich zum Thema Neonazis, unter anderem beim NPD-Blog, dem Störungsmelder von Zeit Online oder auch bei Monsters of Göttingen. Im Rahmen dieser Tätigkeit verschlägt es ihn auch immer wieder an den Rand von Demonstrationen, über die er berichtet.

Das weiß auch der Verfassungsschutz. „Am 19. März 2011 war Ihr Mandant, aufgrund der Ereignisse in Japan, Teilnehmer einer Anti-Atom Demonstration in Göttingen“, lautet der letzte Eintrag aus Budlers Auszug seiner VS-Akte, den er über seinen Rechtsanwalt bezogen hat. Außerdem habe er im Januar an der Gedenkdemonstration an die Ermordung Alexander Selchows sowie am 30. Januar 2010 an der Demonstration gegen die Hausdurchsuchung in der Roten Straße teilgenommen. Der Geheimdienst schreibt „teilgenommen“, der Journalist bekräftigt: „darüber berichtet“.

„Die Behörde macht aus der journalistischen Begleitung eine offenbar staatsgefährdende Teilnahme an legalen und angemeldeten Demonstrationen“, kommentiert Budlers Anwalt Sven Adam. „Dies führt dazu, dass die angeblichen ‚Erkenntnisse‘ über meinen Mandanten jedes Mal erweitert werden, wenn er seiner beruflichen Pflicht nachgeht und über Demonstrationen berichtet.“

Hintergrund

Damit der Verfassungsschutz Daten über eine Person erheben darf, müssen laut Niedersächsischem Verfassungsschutz-Gesetz „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen, dass diese „insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen“ Bestrebungen gegen „die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind“, unterstützt. Wenn der Geheimdienst also einmal einen begründeten Verdacht hat, darf er alles über die betreffende Person speichern, wonach ihm der Sinn steht – unabhängig von der Relevanz des jeweils gespeicherten Ereignisses. Welche Anhaltspunkte das sind, muss die Behörde nicht unbedingt offenlegen, zum Beispiel wenn „durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist.“ Die Polizei darf personenbezogene Daten an den Verfassungsschutz übermitteln, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist.“ Nach eigener Auskunft beschafft der niedersächsische Geheimdienst 20% seiner Informationen mit Mitteln und Methoden, „die der geheimen, das heißt der vom Betroffenen oder von Außenstehenden nicht wahrnehmbaren Beschaffung dienen.“

Dass Budler seit 2000 für das StadtRadio arbeitet, weiß der Verfassungsschutz von der Göttinger Polizei. „Nach Erkenntnissen der Polizei vom 10.07.2000 war Ihr Mandant Mitarbeiter des Göttinger Radiosenders“, heißt es in der Akte. Das war kurz nach Budlers Antrittsbesuch als Polizeireporter bei der Göttinger Polizei. „Die Beschäftigung unseres Kollegen beim Lokalradio als „polizeiliche Erkenntnis“ zu präsentieren ist ein ungeheuerlicher Vorgang“, kommentiert Verdi-Sekretär Patrick von Brandt diesen Akteneintrag. „Der „schützenswerte Beruf“, als den der Bundestag den Journalismus vor rund 30 Jahren eingestuft hatte“, sei bei der Göttinger Polizei offenbar ein Fremdwort, sagte Rechtsanwalt Adam. Für eine Stellungnahme war die Polizei bislang nicht zu erreichen.

Der Verfassungsschutz betont indes, Budler nicht wegen seiner Berufsausübung zu bespitzeln. Die Tätigkeit als Journalist sei für sich genommen nicht relevant für die Behörde, zitiert das StadtRadio eine Sprecherin des Geheimdienstes. Der HAZ gegenüber sagte die Sprecherin, auf den ersten Blick erschienen Angaben etwa zu den Demonstrationen „nicht als besonders wertige Informationen“. Sie hingen aber zusammen mit Erkenntnissen, „die wir nicht mitteilen können.“

Ans Tageslicht gekommen ist die Bespitzelung des Journalisten durch ein Auskunftsersuchen, dass Budler über seinen Anwalt Sven Adam beim Verfassungsschutz gestellt hat. Hintergrund war die Handygate-Affäre im sächsischen Dresden: die Polizei hatte bei einer Demonstration gegen einen Neonaziaufmarsch im Februar rund 1 Million Verbindungsdaten von Mobilfunktelefonen erfasst, mutmaßlich auch die vom dort tätigen Journalisten Budler. Er war, auch hier, beruflich vor Ort.

Kai Budler hat nun über seinen Anwalt den Landesdatenschutzbeauftragten eingeschaltet und vor dem Göttinger Verwaltungsgericht Klage eingereicht. Er will auch die Auszüge aus seiner Akte einsehen, die ihm der Geheimdienst bislang vorenthält. Das Gericht soll feststellen, dass die Überwachung rechtswidrig war. Beim Innenministerium haben Journalist und Anwalt die Löschung sämtlicher personenbezogener Daten beantragt.

Der Trägerverein des StadtRadios, der Verein für Medienkultur Südniedersachsen, unterstützt seinen Angestellten bei der Klage gegen den Verfassungsschutz. „Der Vorstand des Vereins für Medienkultur Südniedersachsen e.V. betrachtet eine derartige Überwachung als einen Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit in der Bundesrepublik“, heißt es in einer Stellungnahme. Dem Vorstand dränge sich außerdem die Frage auf, „ob Polizei und Verfassungsschutz keine anderen Aufgaben haben.“


Auszug aus Kai Budlers VS-Akte

Unterstützung kommt auch aus dem Landtag. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Stefan Wenzel, bezeichnete die Bespitzelung Budlers als „unerträglich“ und „Angriff auf die Pressefreiheit“. „Der Wesensgehalt des Grundrechts auf Pressefreiheit wird verletzt, wenn Journalisten in dieser Form von staatlichen Organen verfolgt werden“, sagte der Göttinger Abgeordnete. Er forderte vom niedersächsischen Innenminister vollständige Aufklärung und kündigte eine parlamentarische Anfrage seiner Fraktion an.

Auch Kreisverband, Kreistagsfraktion und Ratsfraktion der Linkspartei haben sich am Dienstag hinter Budler gestellt und den Verfassungsschutz für sein Vorgehen scharf kritisiert. „Die Ausspähung und Bespitzelung von kritischen Bürger/innen hat aus meiner Sicht längst demokratiegefährdende und –feindliche Formen angenommen“, kommentierte der künftige Fraktionsvorsitzende Gerd Nier. „Statt zum Schutze der Verfassung beizutragen ist man dabei, diese offen zu unterminieren. “ Die Linksparteiler bekunden ihre Solidarität mit Kai Budler und fordern „die sofortige Einstellung seiner Observation, die Löschung sämtlicher Eintragung und eine Entschuldigung durch die Spitze des VS.“

Update 13.10.:

Mittlerweile werden erste Rücktrittsforderungen laut. Die Göttinger Grünen haben Innenminister Uwe Schünemann (CDU), Polizeipräsident Robert Kruse und Verfassungsschutzchef Hans Wargel aufgefordert, ihren Hut zu nehmen. „Auf das Schärfste“ verurteilen die Grünen „die Überwachung der freien Presse in Göttingen durch den Inlandsgeheimdienst“, heißt es in einer Pressemitteilung. Eine demokratische Gesellschaft dürfe sich niemals willkürlich von Polizei und Geheimdienst kontrollieren lassen. „Leider sehen wir hier nur die Spitze des Eisberges eines sehr problematischen Umgangs von staatlichen Ermittlungs- und Überwachungsbehörden mit demokratischen Grundsätzen“, kommentierte Kreisverbandssprecherin Ute Haferburg die Überwachung. Die Partei verweist auch auf die problematischen Seilschaften zwischen Göttinger Polizei und Verfassungsschutz: Polizeipräsident Kruse war zuvor beim VS aktiv, während dessen Präsident Hans Wargel vor seinem Amtsantritt in Hannover Präsident der Polizeidirektion Göttingen war.

Von „katastrophalen Synergien von Göttinger Polizei und Verfassungsschutz“ spricht deshalb auch die Göttinger Anti-Atom-Initiative. Sie zeigte sich besonders empört, weil der Besuch einer ihrer Kundgebungen im März dem Geheimdienst einen Eintrag in Budlers Akte wert war. „An dieser Demo nahmen viele ältere Menschen, Familien, Schüler/innen und Studierende teil. Das sind jetzt alles potentielle Staatsfeinde, nur weil der Göttinger Polizei mit dem schwarzen Block das Feindbild abhanden gekommen ist?“, fragt die Initiative in einer Solidaritätsadresse. Sie kritisiert weiterhin die Tatsache, dass Anti-Atom-Demonstrationen in Göttingen von ZivilpolizistInnen observiert werden. „Friedliche Proteste werden so kriminalisiert, interessierte Menschen abgeschreckt“, heißt es in dem Schreiben.

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