Geheimdienste & Co

Der Staatsschutz surft mit
von am 2. August 2011 veröffentlicht in Hintergrund, Polizei & Justiz

In Göttingen gibt sich der Staatsschutz meistens nicht viel Mühe, unerkannt zu bleiben. Die Polizeibeamten begleiten offen Demonstrationen oder Gerichtsverfahren mit politischem Hintergrund und machen sich eifrig Notizen. Die landen dann in den Akten der politischen Polizei. Noch viel einfacher macht den Ermittlern ihre Arbeit die Verbreitung sozialer Netzwerke im Internet, die mittlerweile auch große Teile der linken Szene abbilden. Die nötige Sensibilität der NutzerInnen bleibt dabei oft auf der Strecke.

Neben der Polizei sammelt auch der Verfassungsschutz fleißig Daten über politisch Aktive, die er des „Extremismus“ für verdächtig hält. Schon das Antreten für eine Basisgruppe bei den Uniwahlen reicht mitunter aus, um einen Akteneintrag beim Verfassungsschutz zu bekommen. Auch der Besuch der „falschen“ Veranstaltung landet häufig in den Akten der Verfassungsschützer. Ganz offensichtlich Informationen, die von Spitzeln gesammelt werden und dann in verschiedenste Datenbanken (PDF) einsickern.

Dass das ganz praktische Konsequenzen haben kann, musste der Journalist Felix Lee im Jahr 2007 erfahren, als ihm die Akkreditierung für die Berichterstattung vom G8-Gipfel in Heiligendamm zunächst verweigert wurde. Hintergrund waren Einträge in seiner Verfassungsschutz-Akte aus seiner Zeit in Göttingen. Dort waren zahlreiche linke Veranstaltungen aufgeführt, die er besucht hatte. Darunter viele vom Bündnis „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – 27. Januar“ und andere Vorträge. „Das war für die der Beleg, dass ich gewalttätig bin“, sagt Lee. Außerdem wurde ihm eine Teilnahme an Demonstrationen und Veranstaltungen unterstellt, bei denen er bereits nicht mehr in Göttingen wohnte.

Sich gegen die Datensammelwut der politischen Polizei und des Geheimdienstes zur Wehr zu setzen, hat also seinen Grund. Die Linke hat über die Jahrzehnte viele Vorsichtsmaßnahmen entwickelt, um sich dem staatlichen Zugriff zu entziehen. In der Welt des sozialen Internets werden diese Standards jedoch oft vergessen. Werden im echten Leben bei jeder Kleinigkeit die Akkus aus den Handies genommen, um eine Abhöraktion zu verunmöglichen, werden auf Facebook munter Datensammlungen aufbereitet, die bei den Schlapphüten auf großes Interesse stoßen dürften.

Am einfachsten machen linke AktivistInnen es ihnen mit den so genannten „Veranstaltungen“ auf Facebook. Zu solchen können verschiedenste User eingeladen werden – zunächst einmal ein modernes und einfaches Mittel für die Verbreitung von Terminen. Problematisch wird es erst, wenn man es falsch oder schlicht unbedarft benutzt. Je nach Einstellung werden nämlich alle NutzerInnen, die ihre Teilnahme an der Veranstaltung „zugesagt“ haben, öffentlich angezeigt. Einsehbar sind auch die Profile der User, die zwar nicht zugesagt haben, aber eben eingeladen wurden. Bei der richtigen Veranstaltung ein Traum für jedeN DatensammlerIn.

Auf diesem Wege lassen sich noch heute 194 Facebook-NutzerInnen ausfindig machen, die ihre Teilnahme am Protest gegen den NPD Parteitag in Northeim zugesagt haben. 426 Facebook-NutzerInnen waren beim Antifee-Festival, 35 wollten zu einer Party der Antifagruppe Redical M, die dann ausgefallen ist. Beim Sommerfest vom Café Kabale gab es auf Facebook 90 einsehbare Zusagen, weit weniger sind es bei der Infoveranstaltung zum Naziaufmarsch in Bad Nenndorf am Donnerstag. Das sind Daten, die Begehrlichkeiten wecken. Ob sie tatsächlich interessant für die Behörden sind oder es sich doch „nur“ eine „harmlose“ Party handelt, entscheiden im Zweifelsfall weder VeranstalterInnen noch TeilnehmerInnen, sondern die Schlapphüte selbst. Und die brauchen heute nicht einmal mehr Spitzel, um an diese Informationen zu gelangen.

HINTERGRUND
Open Source Intelligence
beschreibt ein Vorgehen von Geheimdiensten, bei dem diese offen verfügbare Daten auswerten – zum Beispiel Facebook-Profile. Das Medienmagazin Breitband hat sich in seiner aktuellen Ausgabe diesem Phänomen gewidmet und die Frage gestellt, wie Geheimdienste unsere Infos aus dem Netz gegen uns verwenden können. Herausgekommen ist ein empfehlenswerter Podcast (MP3), der Anregung für diesen Artikel war.

Dies ist kein Plädoyer gegen die Nutzung von Facebook und Co.: das Web2.0 bringt viele Vorteile mit sich, auch für soziale Bewegungen. Aber dies ist ein Plädoyer für einen bewussten Umgang mit sensiblen Daten. Beim Erstellen einer Veranstaltung auf Facebook reicht es bereits, den Haken vor „Gästeliste auf Veranstaltungsseite anzeigen“ zu entfernen, um es den DatensammlerInnen schwerer zu machen.

Dass die Göttinger Polizei sich auch für „Kommentare im Internet“ interessiert, ließ sie bereits im Zuge der Ermittlungen nach dem Brandanschlag im Kreishaus durchblicken. Mit welcher Medienkompetenz die ermittelnden BeamtInnen dabei ausgestattet sind, ist fraglich. Ihre Versuche, den Server von Indymedia wegen eines verdächtigen Kommentars beschlagnahmen zu lassen, sprechen eher gegen sie. Nach den Attentaten von Norwegen wird jedoch von vielen PolitikerInnen eine stärkere Überwachung sozialer Netzwerke wie Facebook gefordert. Was am Ende der Debatte dabei heraus kommt, ist offen. Sicher ist aber, dass sich niemand im Netz zu sicher fühlen sollte.

Eine gute Möglichkeit, sich der staatlichen Überwachung zu entziehen, ist die Nutzung eines Pseudonyms. Anders als bei der Nutzung von Klarnamen erhöht es zumindest den Aufwand erheblich, die wahre Identität hinter den Accounts herauszufinden. Bei Facebook wird das bislang geduldet, beim neuen großen Bruder Google+ kämpfen viele NutzerInnen darum, auch dort einen Account mit Pseudonym pflegen zu können. Google wehrt sich dagegen. Gut möglich also, dass die großen Plattformen in Zukunft nur noch mit dem echten Namen genutzt werden dürfen und eine pseudonyme Nutzung dann der Vergangenheit angehört.

Ohnehin bedeutet die Nutzung eines Pseudonyms im Internet noch lange nicht, anonym zu bleiben. Beim Surfen hinterlassen wir viele Spuren, die nur darauf warten, ausgewertet zu werden. Ziel einer verantwortungsvollen Nutzung des Webs muss es sein, diese Spuren möglichst zu minimieren. Manchmal reicht schon ein Häckchen, um dem näher zu kommen.

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5 Kommentare auf "Der Staatsschutz surft mit"

  1. Klostein sagt:

    Auch interessant ist, wie offen Nazis bei Facebook, Wer-kennt-wen, Kwick, Jappy und Co. unterwegs sind. Die kennen keinerlei Scheu – noch nicht einmal dann, wenn sie vor Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen fotografiert werden oder mit Waffen posieren und die Pics online stellen. Bei Wer-kennt-wen gibt es zudem noch ein nettes Feature, welches einem auf einer Deutschland-Karte zeigt, wo die Freunde von Nazi XY wohnen. Noch nie war Recherche so simpel.

  2. Broeckelhaus sagt:

    Apropos Überwachung. Ist jemanden mal die Kamera gegenüber der SUP aufgefallen. Sie ist in der Mitte des Grünstreifens hinter dem Bach an einer Laterne angebracht und zeigt auf den Weg der auf den Campus führt.

  3. Harvey sagt:

    Jau, ich will jetzt hier niemandem den Spaß verderben, deshalb verrate ich nicht die komplette Geschichte hinter dieser Kamera. Jedenfalls nur so viel: sie ist nicht echt (ist ne Kameraattrappe). Das kann man auch recht problemlos überprüfen und vielleicht wird der Hintergrund der Kamera dann deutlicher. Übrigens ist das Schild dazu auch recht heiter zu lesen. Es wäre nur nett, wenn die Kamera dort bliebe 🙂

    Mehr Sorgen machen mir da schon eher die Kameras an der Fitness-Company. Bei denen bin ich mir auch nicht sicher, ob sie echt sind, aber sie hängen jedenfalls aus ganz anderen Gründen dort, als die erwähnte „Gegenüber-der-SUB“-Kamera. Andererseits bereitet mir dann jedes schöne Bild an der FitCo noch mehr Freude, eben weil es _trotz_ der Kameras entstanden ist.

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