Kein „Rechten-Problem“ im Landkreis Northeim?

Zwischen Hakenkreuztorte und Hitlerbild
von am 18. Mai 2011 veröffentlicht in Hintergrund, Neonazis

Im Landkreis Northeim verfügen Neonazis über ausgeprägtere Strukturen als beispielsweise in der Göttinger Region. Die Hochzeit der Faschisten ist allerdings auch zwischen Harz und Solling vorbei. Ein Gastbeitrag von Kai Budler anlässlich des NPD-Parteitages am Sonntag in Northeim.

„Im Landkreis Northeim gibt es kein ‚Rechten-Problem’“, zitiert die HNA die Polizei nach der Anmeldung des NPD-Landesparteitages im März dieses Jahres. Zustände wie in den 1990er Jahren gehören tatsächlich der Vergangenheit an, als der Neonazi Thorsten Heise von Nörten Hardenberg nach Northeim zieht und sein Wohnsitz zu einer Zentrale der 1995 verbotenen „Freiheitlichen Arbeiter Partei“ (FAP) wird. Schon zuvor hatten Heise und andere Neonazis für Angst und Schrecken gesorgt: gewalttätige Übergriffe auf Migrant_innen und vermeintlich Andersdenkende häufen sich in Niedersachsen ebenso wie Neonazi-Treffen und Aufmärsche. Auch bundesweite Treffen mit 200 Neonazis wie 1994 in Northeim finden in dieser Form nicht mehr statt.

Die von Heise Mitte der 1990er Jahre gegründete „Kameradschaft Northeim“ ist mittlerweile zu einem Label geworden: Hinter dem entsprechenden Transparent gruppiert sich je nach Nazi-Aufmarsch ein wechselndes Neonazi-Klientel, der Northeimer Anteil daran ist verschwindend gering. Von einer organisierten Neonazi-Szene als „abgeschlossene, regional begrenzte und in ihren Codes einheitliche Struktur“ im Raum Northeim zu sprechen, wäre falsch. Doch auch hier bestehen extrem rechte Strukturen weiter fort und entwickeln sich ohne eine regional verankerte Parteiarbeit der NPD neu.


Kameradschaft Northeim bei einer Demonstration in Dresden am 13. Februar 2009.

Der Niedersächsische Verfassungsschutz (VS) bewertet die Region Northeim/Einbeck als einen von landesweit sieben Schwerpunkten „der rechtsextremistischen Skinheads und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten“. Die Pressesprecherin des VS, Maren Brandenburger, redet dabei von einer Definitionsverschiebung. „Subkulturelle Szenen gehen aufeinander zu und alte Zuschreibungen greifen nicht mehr“, sagt sie. Diese Aussage trifft auch für die extreme Rechte im Raum Northeim zu: Statt einer „Szene“ gibt es vor Ort eine schwer durchschaubare Gemengelage, die genaue Zuschreibungen erschwert.

Schwerpunkte der extremen Rechten waren bislang Dassel, eine Gruppe von gewalttätigen Neonazis in Katlenburg-Lindau, die sog. „Kameradschaft Einbeck“ und Privatfeiern im Kreiensen mit Auftritten von Neonazi-Musikern. Auch extrem rechte Mitglieder der „Automobilen Randgruppe“ (Selbstbezeichnung) mit dem Titel „La Familia“ stammen aus dem Raum Northeim: Voller Stolz posieren sie vor ihren Autos mit der 88 auf dem Nummernschild. In den Zahlencodes der extremen Rechten steht die 8 für das H als achten Buchstaben des Alphabets und meint „Heil Hitler“.

Spätestens seit dem Juni 2010 kommt es auch in der Stadt Northeim vermehrt zu Straftaten von extrem rechten Personen: verfassungswidrige Parolen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen nehmen zu. Auf Gruppenfotos posieren sie mit Hitler-Grüßen, unter dem Motto „Hasta la vista Antifascista“ und zwei gekreuzten Pistolen werben sie in Sozialen Netzwerken für die Gruppe „Anti-Antifa Northeim“.

Doch bei virtuellen Posen bleibt es nicht, wie ein Vorfall auf der Bovender Kirmes im Oktober 2010 beweist: Bei einer Schlägerei soll der Northeimer Neonazi Jannik B. einen vermeintlichen Linken schwer verletzt haben. Parallel dazu setzen älterer Neonazis ihre Aktivitäten in ihrem langjährig gepflegten überregionalen Netzwerk fort, das zum Teil noch aus alten FAP-Zeiten herrührt. Mit guten Kontakten zu dem in Niedersachsen führenden Neonazi-Paar Dieter und Ricarda Riefling sind sie Teil des extrem rechten Spektrums neben der NPD, werben für den neonazistischen „Tag der Deutschen Zukunft“ und marschieren beim sog. „Trauermarsch“ in Bad Nenndorf hinter Transparenten der „Kameradschaft Northeim“ und dem „Ring nationaler Frauen“.

Für die subkulturelle Vernetzung im Raum Northeim sorgen Sonnenwendfeiern, Liederabende und Konzerte. Zuhause präsentieren sich die verbürgerlichten Neonazis als netter Nachbar und nette Nachbarin: sie sind teils mehrfache Mütter, Familienväter und gehen oftmals einer geregelten Arbeit nach – das in der Öffentlichkeit präsentierte Stereotyp des Neonazis trifft auf sie nicht zu. Hinter der geschlossenen Tür jedoch bröckelt die vermeintlich bürgerliche Fassade schnell. Bei Geburtstagen steht die Torte mit einem Hakenkreuz aus Zuckerguss auf dem Tisch, abends singt Kai M. vor einem Hitlerposter zur Gitarre alte Rechtsrock-Hits: Brauner Alltag im Raum Northeim.

Kai Budler ist Journalist und schreibt unter anderem für die Internetseiten „NPD-BLOG.INFO“ und „Störungsmelder“ sowie für das Fachmagazin „Der Rechte Rand“. Er arbeitet vor allem zu Neonazis in Norddeutschland.

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