Eine Polemik zur Enthüllung

Grass-Denkmal für Göttinger Sieben
von am 28. April 2011 veröffentlicht in städtisches, Titelstory, Unipolitik

Wenn in Göttingen auf der Suche nach gut zu verkaufenden Besonderheiten die Stadtgeschichte bemüht wird, kommen regelmäßig zwei Ereignisse dabei heraus: Die „Göttinger Sieben“ (1837) und die „Göttinger Erklärung“ der „Göttinger Achtzehn“ (1957). Die Göttinger Sieben haben auf dem ohnehin nach ihnen benannten Platz auf dem Zentralcampus nun ein – weiteres – Denkmal bekommen. Entworfen hat es Günter Grass, der auch zur feierlichen Enthüllung anwesend war.

Es ist Kunst, jedenfalls muss es das wohl sein. Zumindest ist es von Günter Grass und damit allemal dicht genug dran. Glaubt man dem Göttinger Tageblatt (Artikel), dann hat Grass immerhin 5 Minuten für den Entwurf gebraucht. Vielleicht liegt das daran, dass sich ein schönes rundes „G“ nicht mal eben zu Papier bringen lässt. Die Gerüchte sprechen gar – anders als das GT – von einer Serviette als Medium für den Entwurf. Noch ist das Denkmal aber nicht vollständig beschrieben. Immerhin gibt es auch eine „7“! Aber ohne den im Schriftdeutschen üblichen Querstrich auf Minuskelhöhe, dort hätte er allerdings auch der freien Entfaltung des „G“s entgegengestanden. Etwa zwei Meter hoch sind die beiden aus rostigem (Kunst!) Stahl geschnittenen Lettern, die auf einem wuchtigen Kalksandstein-Quader stehen. Diesen schmückt eine kleine Tafel, die den Beginn des damaligen Protestschreibens der sieben Professoren rezitiert.

Grass‘ Göttinger Haus- und Hofverleger, Gerhard Steidl, hat die Realisierung bezahlt. Überhaupt ist es wohl dieser Beziehung geschuldet, dass hin und wieder etwas Grass’scher Ruhm für die Stadt abfällt. Zuletzt hatte sich Grass nun literarisch in „Grimms Wörter“ den Professoren Jacob und Wilhelm Grimm gewidmet – die zu den „Göttinger Sieben“ zählten. Die Eröffnungsveranstaltung der Lesereise zum Buch fand im September in Göttingen statt (Bericht im Litlog). In dieser Zeit wird Grass wohl auch die kolportierten fünf Minuten für den Denkmalsentwurf übrig gehabt haben.

Ulrike Beisiegel, Gerhard Steidl, Günter Grass, Wolfgang Meyer
Ulrike Beisiegel, Gerhard Steidl, Günter Grass, Wolfgang Meyer

Zur feierlichen Enthüllung hatten Universität und Stadt geladen. Unter den neugierig-distanzierten Blicken der Studierenden, die gerade im Schatten der Bäume vor dem Zentralen Hörsaalgebäude ihren Kaffee tranken, fand sich schnell eine bunte Schar von Schaulustigen ein. Davon war ein gutes Dutzend in der Lokalpolitik tätig, ein weiteres gutes Dutzend im Umfeld des Uni-Präsidiums, zwei Dutzend Journalisten und natürlich der Bundestagsabgeordnete Oppermann (der in Göttingen immer bei genügender Kameradichte aus dem Nichts materialisiert) und weitere. Die Präsidentin der Universität, Ulrike Beisiegel, beginnt die Veranstaltung mit einer Ansprache: Eine kurze Namensnennung der Göttinger Sieben, die unausweichliche Erwähnung der Göttinger Erklärung. Und: Es erfordere ja schon Achtung, dass Professoren ihren Job riskiert haben, weil sie öffentlich Kritik am Herrschenden formulierten. Das solle auch den Studierenden (sic!) ein Beispiel sein. Man ahnt: Von ihren Professoren erwartet sich die Universität jedenfalls keine Kritik. Das ist historisch konsequent, auch die „Göttinger Sieben“ galten der Universität eher als Störung ihrer 100-Jahresfeier.

Im Anschluss darf der Oberbürgermeister, Wolfgang Meyer, noch ein paar Worte sagen. Freilich ohne das belegen zu können, spricht er davon, dass die „Göttinger Sieben“ ja für ihre Protestnote eine gewisse Solidarität der Göttinger Bürger erfahren hätten. Dass viele Studierende aus solidarischem Protest der Uni ihren Rücken gekehrt haben, sei ein schwerer Schlag gewesen. Auch Verleger Gerhard Steidl spricht noch ein paar Sätze, er hält es kurz.


Grass neben dem von ihm entworfenen, frisch enthüllten Denkmal

Zuletzt, bevor er das Tuch vom Denkmal zieht, spricht Günter Grass. Er ist der erste unter den Redner_innen, der vorsichtig anmerkt, dass es ja auch im Jetzt noch genug Gründe für öffentliche Kritik gäbe. Er merkt an, dass es den „Göttinger Sieben“ in ihrem Protest darum gegangen sei, eine Verfassung gegen Angriffe zu schützen. Und so kritisiert er aus der Perspektive des Verfassungstreuen aktuelleres Unrecht: Die Verunstaltung des Asylrechts, das nun nichts mehr mit der Idee der Verfassungsgeber zu tun habe. Und er benennt die Atomkraft als eine zu kritisierende Instanz. An diesen Stellen gibt es hörbaren Applaus im Publikum. Grass will mit seinem Denkmal die Studierenden bewegen, sagt er. Ein Vorbild solle die geschichtliche Episode um die Göttinger Sieben bieten. Auch er schont die Professoren.

Im Journalistenpulk steht auch Henryk M. Broder. Er schreibt für die Welt, für den Axel-Springer-Verlag – auch wenn er sich lieber als Reporter für die ARD vorstellt, jedenfalls bei Besucherinnen, die einen Sticker mit der Anti-Atomkraft-Sonne tragen. Grass und der Springer-Verlag haben ja auch stets eine schwierige Beziehung geführt, da erscheint es recht konsequent, jemanden vorbeizuschicken, der die Schreibfeder – obwohl intellektuell – eher als Breitschwert zu führen pflegt. Obwohl Kunstkritik eigentlich sauber von politischer Berichterstattung zu trennen ist, so war die Veranstaltung jedenfalls ein feuilletonistisches Festessen für alle Schreiber_innen, die die lokalen Göttinger Strukturen durch den Kakau ziehen möchten. Für Göttingen bleibt: ein überaus schlichtes Denkmal für die eine wesentliche Hälfte der vorzeigbaren Stadt-Berühmtheiten. Lokalpolitiker können sich außerdem viel besser daneben fotografieren lassen, als neben dem etwas dunkel vor der alten Universitätsbibliothek stehenden „Butt“ (auch von Grass, auch von Steidl geschenkt). Und vielleicht fühlt sich irgendwann ja auch doch noch mal ein_e Professor_in zu öffentlicher Kritik animiert, man weiß ja nie.

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