20 Jahre anders arbeiten: Happy Birthday, Kabale!
von am 29. Juni 2010 veröffentlicht in Hintergrund, Kultur

Die Geschichte des Kabale-Kollektivs beginnt so, wie es sich für eine linke Institution gehört: mit einer Besetzung. Nachdem es mit dem Voreigentümer Streitereien über die Lohnhöhe und Mitbestimmung gegeben hatte und dieser daraufhin die Schlösser des Cafés austauschte, entschied sich die Belegschaft zur Aneignung der Produktionsmittel. Das war vor 20 Jahren. Ungefähr, an das genaue Datum vermag sich niemand mehr zu erinnern. Institutionell hat sich in der Geismar Landstraße 19 seither wenig verändert: im Keller sitzt das Hauseigentümerkollektiv des Theaterkellers, darüber das Kino Lumière als Pächter und eben das Kabale als Pächter der Räumlichkeiten vom Kino. Und auch sonst ist vieles beim Alten.

Mit einem Transparent zum Tod von Conny Wessmann hat der Streit zwischen den Angestellten des Cafés und den Betreibern des Kinos, zu dem damals noch der Gastronomie-Betrieb gehörte, angefangen, erinnert sich Chris Mielke. Sie war von 1992 bis 2000 Mitglied im Kollektiv und hat die Gründungsjahre als Gast miterlebt. Das Transparent sei den Lumière-Betreibern ein Dorn im Auge gewesen, erinnert sie sich. Das sei dann die Initialzündung für einen umfassenden Konflikt gewesen.

Chris berichtet, die Cafémitarbeiter*innen seien von ihrem Chef gefeuert und ausgesperrt worden, woraufhin sie die Räume des heutigen Kabale besetzt hätten. „Im Grunde war es irgendwann ein Arbeitskampf. Die Leute, die hier gearbeitet haben, wollten ihre Situation verbessern. Sie wollten auch ihrer politischen Meinung Ausdruck geben können.“ Um Mitbestimmungsrechte sei es hauptsächlich gegangen. Mit Hilfe des Deutschen Gewerkschaftsbundes hätten die Beteiligten Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Eine davon hat schließlich zur Gründung des Café Kollektiv Kabales geführt: die Weiterführung der Gastronomie als Pächter des Lumières. „Das wollte erst niemand, war dann aber die Lösung, die von allen getragen wurde“, berichtet Chris. Daraufhin wurde der Trägerverein des Kabales gegründet, „Kultur und Alltag“. Nach ein paar Wochen war der Konflikt vorüber, das Kabale war geboren. „Dieses Kollektiv ist nicht entstanden, weil alle sagten ‚Juhu, wir machen ein Kollektiv‘, sondern es war die Lösung für ein Problem“, berichtet Chris.

Anders arbeiten

Im Kabale ging es auch immer darum, die eigenen Arbeitsbedingungen möglichst angenehm zu gestalten. „Es war schon immer spannend, mit einer so großen Gruppe zusammen ein Geschäft zu betreiben“, sagt Chris. Die Herausforderung sei gewesen, den Laden am Laufen zu halten und gleichzeitig ein kulturelles Programm auf die Beine zu stellen. Für viele sei auch der finanzielle Zuverdienst wichtig gewesen. Entscheidungen werden seit jeher im Konsens getroffen. „Das ist was anderes, als hätte man eine Arbeitsstruktur, wo der Chef bestimmt, was gemacht wird. Das hat hier nicht funktioniert“, so das ehemalige Kollektivmitglied.

Im Nachinein sieht Chris, die heute in der Musa arbeitet, auch Nachteile der Kollektivstruktur. Informelle Hierachien habe es gegeben, Leute, die die letzlich doch mehr zu sagen hatten als andere. „Ich glaube nicht, dass es ein Kollektiv von 15 Leuten geben kann, wo alle die selbe Verantwortung tragen, alle die selbe Einsatzbereitschaft zeigen und die selbe Freude an Entscheidungen haben“, schätzt Chris die Arbeit im Kollektiv ein. Das sei ein Widerspruch von Theorie und Praxis.

Die Arbeit sei aber eine sehr gute Erfahrung gewesen, insbesondere für Teamarbeit im Beruf habe sie viel lernen können. „Es hat einen sehr guten Lerneffekt“, sagt sie. Im Nachinein sieht sie die Arbeit im Kabale als gute Vorbereitung auf den späteren Berufsalltag.

20 Jahre später

Bis heute gleichgeblieben sind im Kabale politische Ansprüche. Kein Raum bietet das Café für Sexismus, Nationalismus, Rassismus und andere Grütze. Dieser Freiraum wird auch schonmal per Hausrecht durchgesetzt – damit sich alle wohlfühlen können. Mehr als jede andere Einrichtung in der Stadt bietet das Kabale Raum für queer-feministische Aktivitäten, seit langem gehört die Frauenkneipe ins wöchentliche Programm.

Auch die äußeren Umstände haben sich im Großen und Ganzen bis heute nicht verändert. Noch immer muss Lohnarbeiten gehen, wer am gesellschaftlichen Leben teilhaben oder schlicht überleben will. „Wenn wir das schon machen, dann auf eine coole Art und Weise“ erzählt Nathalie aus dem Kollektiv beim Gespräch im Wintergarten des Kabales. Im Kollektiv ist das Arbeiten ein anderes, meint sie. „Wir bekommen hier nicht von einem Chef gesagt, was zu tun ist. Wir kommen nicht her, reißen unsere Stunden ab, kommen Abends nach Hause und beschweren uns, wie blöd der Arbeitstag war.“ Selbstständig und selbstverwaltet werde der Laden geführt, jede*r könne eigene Ideen mit einbringen.

„Wir versuchen immer, einen Weg zwischen betrieblicher Notwendigkeit und politischem Alltag zu finden“, sagt Felix. Das sei schon immer so gewesen. Er erinnert er an die Aufkleber früherer Kabale-Tage, auf denen „Wir reden nicht über Sozialismus – wir kochen Kaffee“ stand. Gerade der jüngste Konflikt mit der Ausländerbehörde habe deutlich gemacht, dass dieses Spannungsfeld hoch aktuell sei. Hier musste sich das Kollektiv entscheiden: Ist uns das jetzt wichtig genug, dass wir uns daran abarbeiten oder investieren wir die Zeit in betriebliche Aufgaben? Die Entscheidung fiel, wie so oft, zu Gunsten des politischen Konflikts.

Kommen und Gehen

Auch einen Generationenwechsel habe das Kollektiv erlebt, berichtet Felix. Vor gar nicht so langer Zeit im Zuge der Umstellung der Diplom- und Magisterstudiengänge auf Bachelor und Master. Die meisten der Kollektivmitglieder sind Studierende – und die hatten früher mehr Zeit. Während in jüngeren Kollektivjahren die Studierenden während ihres Studiums auch schonmal zehn Jahre im Kabale mit angepackt haben, bleibt die nächste Generation gerade mal drei Jahre. „Du hast währenddessen privat kaum Zeit, dich zu entfalten, weil du so krasse Anforderungen im Studium hast, die du bewältigen musst“, sagt Nathalie. „Die Kapazitäten der einzelnen Menschen sind aufgrund dieser Tätigkeit schon ausgeschöpft.“

Die finanzielle Situation des Cafés in Kollektivhand ist einem ständigen Wandel unterlegen, berichtet Felix. Mal sehe es gut aus, mal nicht. Das gehört zu einem solchen Betrieb wohl dazu. Für die Zukunft sind die beiden allerdings optimistisch. In Zeiten, wo es auch und vielleicht gerade ganz normalen Gastronomiebetrieben nicht gerade gut geht, sei die Organisation im Kollektiv von Vorteil, sagt Nathalie. „Weil wir eben alle gleichberechtigt hier drin hängen und die ganze Verantwortung nicht an einer einzigen Person hängt, die schauen muss, dass der Laden läuft und jeden Tag genug Gäste kommen.“ Durch die bunte Besetzung des Kollektivs gebe es ein großes Spektrum an Ideen. „In Zeiten, wo alles immer schneller gehen muss, kriegen wir das durch das Kollektiv glaube ich besser hin, als die anderen Betriebe“, so Nathalie.

„Kleinigkeiten werden sich verändern, aber die Grundstruktur wird die gleiche sein“, malt Felix ein Bild vom Kabale in fünf Jahren. „Es wird ein gemütliches Café sein, wo man nach dem Kino über die Filme diskutieren kann. Es wird ein Café bleiben, wo man hingehen kann, um sich zu entspannen.“ Auch das Frühstück im Garten werde es noch geben genau wie die Frauenkneipe jeden Dienstag. Und den politischen Ansprüchen, da kann man sich wohl aufs Kabale verlassen, wird das Kollektiv auch treu bleiben.

„Ich finds toll, dass es das Kabale noch gibt!“ sagt Chris Mielke. Beim 10jährigen Jubiläum hätten die damaligen Kollektivmitglieder noch darüber gescherzt, ob es wohl in 10 Jahren noch ein solches Fest geben würde. Sehr wahrscheinlich schien das damals nicht. Heute ist Chris aber zuversichtlich, dass es auch ein 30jähriges Jubiläum geben wird. „Das aus diesem Projekt etwas in dieser Form, mit diesem Anspruch geworden ist, was heute noch erhalten ist, finde ich super“, sagt sie. „Mit allen Vor- und Nachteilen“.

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7 Kommentare auf "20 Jahre anders arbeiten: Happy Birthday, Kabale!"

  1. kabale besucherin sagt:

    Gefeiert wird übrigens am Freitag 2/7/10 (Podiumsdiskussion und Trash-Party) und Samstag 3/7/10 (ab 15 Uhr, Kinderprogramm, live Musik, Open Stage und Party)

  2. Kabale sagt:

    Gegenstrategien als (neue) Systemressource? Grenzüberschreitung als Norm? Problematisierung einer populären Zeitdiagnose
    Vortrag und Diskussion mit: Silke van Dyk
    Ort: Roter Buchladen
    Wann: 19:00 Uhr
    „Welche Erfindungen erleichtern den Widerstand? Welche Ideen unterwandern das System? Wo lauern revolutionäre Störungen? Was können wir tun, um erfolgreich herrschende Verhältnisse aufzulösen?“ Nein, es handelt sich hierbei nicht um ein linkes Flugblatt oder eine Kongressankündigung zum Thema „Kapitalismus am Ende“. Mit diesen Fragen wurde die aus EU-Mitteln finanzierte „Subversivmesse. Fachmesse für Gegenkultur und Widerstandstechnologien“ beworben, die als offizieller Bestandteil des europäischen Programms „Linz. Kulturhauptstadt 2009“ im Mai letzten Jahres ihre Tore öffnete.

    Widerstand als EU-Projekt? Gegenkultur als Haupt(stadt)programm? Subversion als Aushängeschild einer mittelgroßen österreichischen Stadt? Wenn auch ein ausgefallenes Beispiel, so scheint die Subversivmesse doch kein Einzelfall zu sein, sondern einen Trend zu bestätigen: Von vielen Seiten hören wir die Zeitdiagnose, dass (kreative) Abweichung und subjektiver Eigensinn, dass Autonomie und Kritik(fähigkeit) von Störfaktoren zu Produktivkräften des spätmodernen Kapitalismus geworden sind. Was aber wird aus Kritik und Widerstand in einem System, das – so die verbreitete Beobachtung – in der Lage ist, derlei Praktiken den Stachel zu ziehen und sie als „Lernhilfen“ für eine Optimierung kapitalistischer Produktion und Vergesellschaftung zu nutzen? Was, wenn subversive Ideen und widerständige Praktiken nicht nur toleriert, sondern im Hochglanzformat präsentabel und förderungswürdig sind – siehe Linz? Der Vortrag widmet sich der Diskussion und Problematisierung dieser Diagnose.

  3. Björn sagt:

    Ich finde es ja gelinde gesagt etwas irritierend, was es hier von Seiten des Kabales für einen positiven Bezug auf Lohnarbeit gibt. Das liest sich so, als wäre eine Tätigkeit im Kollektiv nur eine Art Ausbildung zur „richtigen“ Arbeit hinterher. In diesem Text kommt diese Position von einer ehemaligen, aber bei der Veranstaltung am Freitag scheint es ja auch hauptsächlich um die Frage zu gehen, in wiefern die Arbeit im Kabale den ehemaligen Kollektivista dabei geholfen hat, sich selbst in der freien Wirtschaft zu verwerten. Und das soll dann emanzipatorisch sein?

  4. tölpel sagt:

    Die Veranstaltung am Freitag wird und wurde von Ehemaligen organisiert, das wird überall ausdrücklich betont. Was vom jetzigen Kollektiv organisiert wird und wurde waren die beiden Veranstaltungen im Vorfeld „Kleine Geile Frimen“ mit Arndt Neumann (wo du anscheinend nicht warst – sonst hättest du den quatsch nciht geschrieben) und die zweite Veranstaltung mit Silke van Dyk Heute Abend (wo du hingehen kannst) Im Interview, das kannst du ja auch nachlesen, wird betont: „Wenn wir das schon machen, dann auf eine coole Art und Weise“ was auf eine grundsätzliche Kritik an Lohnarbeit verweist…

    jetzt kommst du

  5. Björn sagt:

    Okay, also bedeutet das, dass es da eine Art Generationenkonflikt gibt? Die alten Kabalis finden Lohnarbeit gar nicht so schlimm, die neuen schon? Ich versuch ja nur, das zu verstehen. Sich Lohnarbeit möglichst „cool“ zu gestalten beinhaltet ja noch nicht automatisch, dass man eine radikale Kritik daran hat

  6. tölpel sagt:

    Naja, ob es einen Generationenkonflikt gibt kann man daraus ja nicht ableiten. Zumindest weiß man ja, dass die TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl nun nicht gerade für ihre emanzipatorischen Ansichten bekannt ist. Dass sie das mit der Arbeit auch nicht so kritische sehen dürfte, lässt sich aber voraussetzen denke ich.
    Generationenkonflikt setzt hohomogene Identitäten voraus. Das wäre hier die Frage ob das so ist – ich würde es eher bezweifeln. Aber keine Ahnung

  7. blass ist alle theorie sagt:

    Den gleichen Vortrag hielt Silke van Dyk bereits im November in Berlin. Fragestellung war ebenfalls: Wenn der Kapitalismus alles Kreative aufsaugt und integriert, ist es dann subversiv, sich kreative Protest- und Widerstandsformen auszudenken? Ist die geeignete oppositionelle Haltung dann, passiv, ironisch oder depressiv zu werden? Das wäre ja die naheliegende Reaktion. Silke van Dyk empfahl, sich das Problem genauer und anhand realer Beipiele anzugucken. Ihre These ist, dass nicht alles integriert wird, sondern nur das, was gut passt. Es lohne also weiterhin – und ist gewissermaßen Pflicht für alle, die die bestehenden Verhältnisse nicht hinnehmen wollen -, sich genau über Form und Inhalt von Protest Gedanken zu machen.
    Leider übersteht Silke van Dyk selbst den Praxistest nicht und macht auch kein Geheimnis daraus, eher auf „Reformbemühungen“ im Umfeld der Grünen zu setzen, d.h. auf „Integration“ von Protesten, denn auf außerparlamentarischen Widerstand, sehr kompatibel für taz und Unikarriere, als Anregung für ein widerständiges Leben eher wenig zu gebrauchen.leider.

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