Empire St. Pauli: „Leute raus – Mieten hoch – Bumm – ganz normal Kapitalismus“
von am 16. September 2009 veröffentlicht in Leinwand

Mieten steigen rasant, öffentliche Plätze werden privatisiert, das Bild eines Stadtteils ändert sich. Luxusbauten entstehen, in denen sich die ursprünglichen ViertelbewohnerInnen keine Wohnung oder in den dortigen Restaurants kein Essen mehr leisten können. Aus einem armen Bezirk wird ein reicher, nur werden dabei die BewohnerInnen ausgewechselt. Die Armen gehen, die Reichen kommen. Das alles passiert in Hamburg St. Pauli seit vielen Jahren und firmiert gemeinhin unter dem stadtsoziologischen Begriff der Gentrification.

„Wo bleiben die Menschen, die in den ehemals günstigen Wohnungen lebten und die in den Kneipen für 1,50 Euro ein Bier trinken konnten?“ fragt der Film „Empire St. Pauli“. Die bleiben auf der Strecke, müssen in andere Stadtteile umziehen oder Bangen zunehmend um ihre Existenz. In diesem Film kommen sie zu Wort.

Über 50 InterviewpartnerInnen schildern in „Empire St. Pauli“, wie sie den Prozeß der Gentrification erleben. Es sind alteingesessene ViertelbewohnerInnen, die um den Fortbestand ihrer Eckkneipen bangen, Künstler wie Rocko Schamoni, die sich „ausgesaugt“ fühlen, SozialarbeiterInnen, Hoteliers und Großinvestoren, die sich in ihren Großbauprojekten interviewen ließen. In diesem Film erzählen Betroffene aller coleur sowie Akteure und keine WissenschaftlerInnen und ExpertInnen.

„Empire St. Pauli“ bleibt deshalb über die 85 Minuten auf der deskriptiven Ebene. Was da eigentlich genau passiert und warum, wird im Film nicht thematisiert. Am treffendsten bringt das immer noch einer der interviewten Bewohner auf den Punkt: „Das ist ganz normal Kapitalismus, oder wie sagt man?!“, analysiert er. Wem das nicht an Analyse reicht, dem wird von den MacherInnen eine 28seitige Hintergrundbroschüre an die Hand gereicht. In Texten wie „Was ist Gentrifizierung“, „Städtische Verwertungsökonomie“ oder „Hartz IV und Gentrifizierung“ wird dem Phänomen theoretisch nachgegangen.

Im Film wird die Entwicklung exemplarisch an einigen wenigen Beispielen nachgezeichnet. Viel Raum nimmt ein Großbauprojekt auf dem Gelände der früheren Astra-Brauerei ein, am Rande erfährt man auch etwas über ein „Aktionsnetzwerk gegen Gentzrifizierung“. An einigen Stellen vermisst man mehr Details, wenn es zum Beispiel um die Vertreibung von Menschen aus dem öffentlichen Raum geht. Denn für „Rumlungern“ zu Dritt, „bei Bier oder Brause“, kriegt man auf St. Pauli heutzutage einen Platzverweis, erfährt die Zuschauerin. Vieles andere auch, sodass „Empire St. Pauli“ summa summarum ein informativer Dokumentarfilm geworden ist, den es sich anzusehen lohnt.

Ein Dokumentarfilm von Irene Bude und Olaf Sobczak | Produktion Steffen Jörg, GWA St. Pauli | Mini-DV, 2009, 85 Min.

„Empire St. Pauli“ läuft am 22. September um 19.30 im Kino Lumiere.

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7 Kommentare auf "Empire St. Pauli: „Leute raus – Mieten hoch – Bumm – ganz normal Kapitalismus“"

  1. mad B sagt:

    Hab den schon gesehen und kann ihn nur empfehlen. Die Szenen mit den „Investorenvertretern“ sind top! Selten so authentischen Mist gesehen. Das sind Klischeees, die tatsächlich zutreffen. Wer schon mal mit Leuten in Wirtschafstministerien und Baufirmen zu tun gehabt hat, wird mir zustimmen. Insgesamt fand ich den Streifen allerdings auch ziemlich tarurig, weil darin sehr konkret nachvollziehbar dokumentiert ist, wie selbstverständlich und letztendlich doch unaufhaltsam Stadtplanung und Wirtschaft jeden Ansatz von …“liebenswürdigem“ Leben hinwegfegen können und dürfen. Die meisten Leute aus meinem Bekanntenkreis meinten, dass der Streifen animiere, das man „was machen“ will. Das kann ich nicht bestätigen, ich fand den wie gesagt, im ersten Moment eher traurig und erst konnte Motivation erst lange danach rausziehen. Der Antrieb, „was“ zu machen, kommt bei mir eher, wenn ich rausgeh und versuche, nen angenehmen Tag zu haben ohne Geld in der Tasche…

  2. lattemacchiatoyuppie sagt:

    ein tip an alle linken/punks/alternativen/…, die gentrification verhindern wollen: bleibt bei mama wohnen! diejenigen, die am lautesten jammern, sind in der regel die, die den aufwertungsprozess erst angestoßen haben. oder haltet ihr es wieklich für einen zufall, dass immer die bezirke „aufgewertet“ werden, in denen sich ein linkes, oft studentisches millieu ansiedelt und sie dadurch erst interessant macht?
    btw: „gentrification“ ist ein völlig normaler prozess, der in jeder größeren stadt ständig abläuft. das mag für die „echten kiezbewohner“ (aka künstlerfritzen oder „autonome“, die es vor 1-2 jahren in das jeweilige viertel verschlagen hat) unangenehm sein, weil sie ihre bequemen quartiere und billigen galerien nicht mehr so einfach aufrechterhalten können; letztendlich ist es aber recht präzise analysiert mit „ganz normal Kapitalismus“. da hilft auch autos abfakeln nix (ich weiß, das ist grad eher in berlin. na und? die blöde heimatschutzideologie dazu ist dieselbe)

  3. lattemacchiatoyuppie sagt:

    und übrigens: hafencity bleibt!

  4. cyberpunk sagt:

    Schön waren die Zeiten, wo Hausbesetzungen tatsächlich noch etwas bewirken konnten.

  5. mad B. sagt:

    @lattemacchiatoyuppie: Die Tatsache, dass in nahezu allen irgendwie attraktiven Städten die Mieten steigen und Familien mit mehr als einem Kind oder Leute wie ich, die nicht so viel Kohle haben, sich jeweils gezwungen sehen, an den Arsch der Welt zu ziehen, weil die Wohnungen kleiner und teurer werden, ist nicht zwangsweise hinzunehmen. Jedenfalls sehe ich nicht, weshalb das einzusehen sein sollte.

    Es geht mir dabei weder darum Autos anzuzünden, noch darum, irgendwelche „Autonome“ zu retten. Sicherlich geschieht – wie so oft und typisch für „Autonome“ oder „Antifakiddies“ – viel Unfung in Bezug zu diesem Thema. Die einen meinen, einen Befreiungskkampf für „ihr Viertel“ führen und deswegen alles kaputtmachen zu müssen. Diese „Fraktion“ ist ziemlich irre, weil sie einen „Befreiungskampf“ herbeihalluziniert, den es so gar nicht gibt.

    Die anderen denunzieren jeden Ansatz, Einfluss auf die Entsicklung der unmittelbaren Umwelt nehmen zu wollen, als „Heimatschutz“, also als völkische / faschistische Tat ähnlich der Schaffung „national befreiter Zonen.“
    Diese Fraktion ist irre, weil sie antideutsche Parolen mit radikaler Kritik verwechselt und in der Konsequenz die zumindest in weiten Teilen tatsächlich vermeidbare Produktion von Elend befürwortet. Mit Elend ist in diesem Zusammenhang die Tristesse des Alltags gemeint, der in „normalen“ Randbezirken herrscht.

    Es ist nach wie vor völlig legitim, auf billige Drinks, freien Zugang zu angenehmen Orten und sowieso auf ein schönes Leben zu bestehen. Darum und nicht mehr geht es mir dabei und das sehe ich in diesem Film ebenfalls dokumentiert und konkretisiert.

  6. Rakete sagt:

    Ein sehr interessantes Interview mit einem Hamburger Bezirksamtsleiter zum Thema erschien heute in der taz:

    http://www.taz.de/regional/nord/hamburg/artikel/?dig=2009%2F09%2F24%2Fa0079&cHash=80e3e13f83

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