Von Terroristen, Sympathisanten und dem starken Staat: Hanno Balz über die öffentliche Debatte über die RAF in den 70er Jahren.
von am 4. Dezember 2008 veröffentlicht in Hintergrund, Politik, Texte

Vor wenigen Wochen, etwa zeitgleich mit dem Kinostart des „Baader-Meinhof-Komplexes“, erschien das Buch „Von Terroristen, Sympathisanten und dem starken Staat. Die öffentliche Debatte über die RAF in den 70er Jahren.“ von Hanno Balz im Campus Verlag, das er am 20. November im Roten Buchladen vorstellte. Es beruht auf seiner Dissertation, der er in diesem Jahr im Fachbereich Kulturwissenschaften der Uni Bremen eingereicht hat.

Inhalt des Buches

Der „Baader-Meinhof-Komplex“, aber auch viele der in den letzten Jahren erschienenen Bücher über die RAF hangeln sich nahezu ausschließlich an deren Taten entlang und hegen den ebenso unerfüllbaren wie unsinnigen Anspruch, jetzt endlich einmal zu erzählen, wie es denn „eigentlich gewesen“ ist. Doch über der lückenlosen Darstellung aller Details und der minutiösen Aufarbeitung der Taten wird die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung jener Jahre oft vergessen zu thematisieren, oft auch bewusst nicht zur Sprache gebracht. Hanno Balz hingegen beschäftigt sich nicht mit den Taten der RAF, sondern mit der massenmedialen Auseinandersetzung über sie. Er betrachtet die Massenmedien als entscheidende Struktur politischer Kommunikation und geht davon aus, dass die mediale Auseinandersetzung mit der RAF in den 70er Jahren ein Paradigma für die zunehmende politische Polarisierung der Kommunikationsprozesse in der bundesdeutschen Gesellschaft war. Die Debatte um den „Terrorismus“ sei vor allem eine Auseinandersetzung über den Zustand der Republik und die diskursiven, moralischen und politischen Grenzen seien heftig umkämpft gewesen.
Er will in seiner Untersuchung eben diese Kommunikationsprozesse der 70er Jahre anhand einer diskursanalytischen Untersuchung der Massenmedien und im Speziellen der bundesdeutschen Zeitungsdiskurse darstellen und in ihrer Funktion für gesamtgesellschaftliche Prozesse analysieren. Die Geschichte der RAF erzählt er nicht von dem – oftmals als zeitgeschichtliche Zäsur wahrgenommenen und beschriebenen – „Deutschen Herbst“ her, sondern unternimmt den Versuch, sie von Anfang der 70er Jahre an gewissermaßen vorwärts zu denken. Eine teleologisch reduzierte Betrachtung der RAF, die von einer Zäsur nach dem „Deutschen Herbst“ ausgeht, kann die Rolle, welche der Terrorismus für die deutsche Gesellschaft der 70er Jahre einnahm, nur zum Teil gerecht werden.

Theoretisch-medthodischer Hintergrund

Mit seiner Untersuchung massenmedialer Kommunikationsprozesse kommt er Forderungen der neueren Terrorismusforschung nach, Terrorismus als Kommunikationsereignis und als Medienphänomen zu analysieren sowie nach der Interaktion und Kommunikation zwischen den beteiligten Gruppen, Personen und Institutionen zu fragen. Denn es wäre ein Fehler, die mediale Repräsentation dem eigentlichen Geschehen als nachgeordnet zu betrachten – vielmehr waren die Medien in vielerlei Hinsicht direkt in die Ereignisse involviert.
Inzwischen besteht in der Terrorismusforschung weitgehende Einigkeit darüber, dass Terrorismus primär eine Kommunikationsstrategie ist und das Spezifikum terroristischer Gewaltakte in ihren kommunikativen Aspekten besteht, die es gilt, schärfer herauszuarbeiten und analytisch nutzbar zu machen. „Die Besonderheit dieser Kommunikation besteht (…) darin, dass den in vieler Hinsicht unverständlich erscheinenden Terrorakten eine Art Sinn verliehen oder sie in ein Erklärungsschema eingepasst werden sollen. (…) Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus, der aus der eigenen Gesellschaft hervorging, wurde somit notwendigerweise eine Auseinandersetzung um die Gesellschaft selbst.“1
Der Ansatz, Terrorismus primär als Kommunikationsstrategie zu verstehen, sollte deshalb nicht dabei stehen bleiben, die Botschaft der einzelnen terroristischen Akte zu entschlüsseln. Es ist stattdessen davon auszugehen, dass die Frage nach der Wahrnehmung der Zustände in der Gesellschaft durch die Terroristen auf der einen sowie die Wahrnehmung der terroristischen Taten durch die staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppierungen auf der anderen Seite das Agieren und Reagieren im Bereich des Terrorismus maßgeblich bestimmt haben, also Wirklichkeit nicht nur abbildeten, sondern diskursiv erst erzeugten.

Die Diskurstheorie von Foucault, auf die sich Balz stützt, geht davon aus, dass es sich bei Diskursen nicht um eine Wirklichkeit handelt, wie sie in den Medien dargestellt oder „widergespiegelt“ wird. Diskurse bilden die Wirklichkeit nicht ab, sondern bringen sie mitsamt dem dazugehörigen Wissen erst hervor, indem sie Gegenstände auf eine bestimmte Weise erfahrbar machen und benennen. Auch stellen Diskurse nicht nur eine Abbildung oder Übersetzung gesellschaftlicher Machtkämpfe in Sprache dar, Diskurse sind selbst Macht: Der Diskurs – „dies lehrt uns immer wieder die Geschichte – ist nicht bloß das, was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt: es ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, derer man sich zu bemächtigen sucht.“4
Da Diskurse, wie bereits gesagt, selbst Macht sind, handelt es sich beim Diskurs nicht um einen Ausdruck neutraler Kommunikation oder um neutrale Wissensproduktion. Bei einer kritischen historischen Diskursanalyse geht es deshalb letztlich darum, wie und unter Einwirkung welcher Machtverhältnisse Wahrheit und Wissen historisch konstruiert und hegemonial wirksam werden und somit gültige Versionen von Wirklichkeit etablieren.

Aufbau des Buches

In den einzelnen Kapiteln des Buches sollen verschiedene Teil-Diskurse des „Terrorismus“-Diskurses untersucht werden. Zunächst wird allerdings der theoretisch-methodische Ansatz der in der Untersuchung angewandten Diskursanalyse dargestellt und nach dem Verhältnis von bundesdeutscher Presse und Öffentlichkeit in den 1970er Jahren gefragt. In dem darauf folgenden Kapitel „Selbstverständnis und mediale Strategien der RAF“ soll ein Blick auf die Rolle der RAF als Akteurin im Diskurs gerichtet werden. Die daran anschließende Untersuchung des „Sympathisanten“-Diskurses im nächsten Kapitel verweist auf eine zentrale Auseinandersetzung um Verantwortlichkeiten für den deutschen „Terrorismus“. Die Auseinandersetzung um die Behandlung der inhaftierten RAF-Kader, die Thema des nächsten Kapitels ist, beinhaltet viele Aspekte: Die vermeintlich den Terroristen zuarbeitenden „Linksanwälte“, der Prozess im eigens dafür gebauten Gerichtsgebäude in Stammheim, der Körper der Gefangenen (der mittels Hungerstreik und Zwangsernährung zum zentralen Austragungsort von symbolischen Kämpfen zwischen der RAF und dem Staat wurde) sowie der Ort des Gefängnisses und des Gerichtsgebäudes selbst (die „Festung Stammheim“). Im nachfolgenden Kapitel sollen Strukturen einer „Moral Panic“, wie sie vor allem in der angloamerikanischen Soziologie untersucht werden, im „Terrorismus“-Diskurs aufgespürt werden, dies soll die Frage nach den Gründen für den deutlichen Anstieg eines subjektiven Bedrohungsgefühls in der bundesdeutschen Bevölkerung beantworten helfen. Daran anschließend soll der Frage nachgegangen werden, was den großen Sensationsgehalt der weiblichen „Terroristinnen“ ausmachte und wie die Konstruktion von geschlechtlicher Repräsentation im Diskurs erfolgte. Inwieweit es um Konstruktionen einer Repräsentation geht, untersucht auch das nächste Kapitel „Hitlers Kinder?“, das die Repräsentationen einer vielschichtigen Generationalität in den Blick nimmt. In der Beschreibung des „Deutschen Herbstes“ 1977 sollen die zuvor untersuchten Diskursstränge in ihrer Bündelung während dieser Zeit auf die Frage nach einer Eskalation hin untersucht werden; dieses Kapitel stellt sowohl vom Umfang als auch inhaltlich den Schwerpunkt der Untersuchung dar. Im Schlussteil geht es schließlich um die Frage, ob man es bei dem „Terrorismus“-Diskurs der 1970er Jahre nur mit einem vorübergehenden Phänomen zu tun hatte und inwieweit die damaligen ideologischen Aussagezusammenhänge noch bis heute wirkungsmächtig bleiben.

Fazit

Balz kommt zu dem Schluss, dass die gesellschaftliche Auseinandersetzung um den „Terrorismus“ in den 1970er Jahren nicht die zentrale Auseinandersetzung jener Jahre war, beispielsweise waren jene über die Ostpolitik oder jene über den massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit prägender – sondern dass sie stattdessen vielmehr als Katalysator einer bundesrepublikanischen Gesellschafts- und Institutionengeschichte verstanden werden sollte, der die politischen Prozesse prägte, sowohl im jeweiligen Beschleunigen als auch Abbremsen der Entwicklung. Dies galt für die Institutionen der „Inneren Sicherheit“ ebenso wie für die politischen Organisationsformen auf Seiten der Neuen Linken. Jedoch lasse sich an der Auseinandersetzung um den „Terrorismus“ vor allem der dringende Bedarf einer Verständigung über gesellschaftliche Grundfragen, also eine Wertedebatte erkennen, wobei sich im Diskurs zunächst eine große Verunsicherung zeigte.
In der Anrufung eines breiten gesellschaftlichen Konsens manifestierte sich seiner Meinung nach eine Gesellschaftsformierung durch Abgrenzung. Abgrenzungsbemühungen seien für die Selbstvergewisserungstendenz des gesamten Diskurses prägend gewesen, im Kern sei es um Grenzziehungen und um eine Auseinandersetzung mit einem kritischen Potenzial in der Bundesrepublik, um die gesamte Linke gegangen, an der sich die Fragen gesellschaftlichen Ein- und Ausschlusses orientierten. So lässt sich seiner Ansicht nach sagen, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft in der Auseinandersetzung nicht mit, sondern über die RAF zwischen 1970 und 1977 ein Bild von sich selbst in Beziehung zu den staatlichen Apparaten entwarf.

Das Buch eignet sich aufgrund seiner thematischen, nicht chronologischen Herangehensweise nur bedingt für Leute, die über kein oder wenig Vorwissen über die RAF verfügen und die sich erst einmal einen ersten Überblick verschaffen wollen, allen anderen ist es jedoch sehr zu empfehlen.

Hanno Balz: Von Terroristen, Sympathisanten und dem starken Staat. Die öffentliche Debatte über die RAF in den 70er Jahren. Frankfurt/ New York 2008

  1. Klaus Weinhauer/ Jörg Requate/ Heinz-Gerhard Haupt (Hg.): Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren. Frankfurt/ New York 2006. Hier: Seite 15 [zurück]
  2. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, München 2007. Hier: Seite 11 [zurück]

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Ein Kommentar auf "Von Terroristen, Sympathisanten und dem starken Staat: Hanno Balz über die öffentliche Debatte über die RAF in den 70er Jahren."

  1. der Klassensprecher von 1984 sagt:

    Warum sind unter dem Eintrag http://monstersofgoe.de/2009/01/10/female-beatz-im-juzi/ keine Kommentare erlaubt?

    Hat das was mit dieser ominösen „Definitionsmacht“ zu tun, von der ich so viel gehört habe?

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