Der Göttinger Literaturherbst sagt ab: Matinee mit Autor und Geschichtsverdreher Jörg Friedrich
von am 13. Oktober 2007 veröffentlicht in Lokalpolitik, Politik

Seit 1992 findet jährlich der Göttinger Literaturherbst statt, dessen selbstgesetzte Aufgabe es ist, „eine jährliche Momentaufnahme der Gegenwartsliteratur“ zu liefern. Daher werden von der Göttinger Literaturherbst GmbH die verschiedensten Literat_innen eingeladen, die dann vor Publikum aus ihren Werken lesen, Fragen beantworten und im Anschluß Widmungen in die verkauften Exemplare ihrer Bücher schreiben und was Literat_innen eben sonst noch so tun. Auch das diesjährige Programm wartet mit einiger Vielfalt auf. Inmitten dieser Vielfalt, von der der Göttinger Literaturherbst lebt, taucht jedoch ein Name auf der stutzig macht: Jörg Friedrich. Der Historiker Friedrich steht für seine Thesen bezüglich des alliierten Bombenkriegs gegen Deutschland in der Kritik und gilt als Geschichtsrevisionist und Holocaust-Relativierer. Die geplante Matinee-Veranstaltung wurde nun abgesagt.

Friedrich sollte eigentlich am Sonntag, den 21. Oktober bei einer Matinee-Veranstaltung im Deutschen Theater sein neuestes Werk vorstellen. Es trägt den Titel „Nemesis. Der Westen im Krieg“ und behandelt den wirtschaftlichen Aufstieg Asiens nach dem Zweiten Weltkrieg. Was am Historiker Friedrich jedoch viel interessanter ist, ist sein 2002 erschienenes Werk „Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945“, in dem er den Bombenkrieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg behandelt. Neben der Bemängelung seines methodischen Vorgehens geriet Friedrich insbesondere deshalb ins Kreuzfeuer der Kritik, weil er in „Der Brand“ durch die Anwendung rethorischer Mittel und Vergleiche den Bombenkrieg der Alliierten mit dem Holocaust gleichsetzte. Unter anderem erfand er in diesem Buch den Begriff des alliierten „Bomben-Holocaust“ und bezeichnete die Zerstörung von Bibliotheken als Folge alliierter Bombenangriffe als „größte Bücherverbrennung aller Zeiten“. Darüberhinaus tituliert er alliierte Bomberverbände als „Einsatzgruppen“, in Anspielung auf die SS-Kommandos, die in den von Deutschland besetzten Gebieten vor allem in Osteuropa massenhaft die Zivilbevölkerung massakriert haben. Als Gipfel der Geschmacklosigkeit werden durch Bombardements in Brand geratene Luftschutzkeller bei Friedrich zu „Krematorien“.

Die Göttinger Literaturherbst GmbH war sich offenbar nicht nur nicht zu fein den Geschichtsrevisionisten Jörg Friedrich einzuladen, sondern warb auch noch in ihrer Veranstaltungsankündigung mit dem Satz: „In seinem Bestseller „Der Brand“ behandelte der Historiker die Geschichte des Bombenkrieges der Alliierten gegen Deutschland.“ Auf weitere Details zu Friedrich wurde in der Ankündigung verzichtet.
Es zeichneten sich bereits Proteste gegen die Veranstaltung mit Friedrich ab. So bereitete der DGB einen offenen Brief mit einem Aufruf zur Absage der Veranstaltung an die Göttinger Literaturherbst GmbH vor, der am kommenden Dienstag abgeschickt worden wäre. In dem Entwurf heisst es: „Wer die nationalsozialistischen Verbrechen auf solche Weise relativiert und verharmlost, hat weder beim durch die Stadt Göttingen geförderten Göttinger Literaturherbst, noch im Deutschen Theater etwas verloren.“
Offenbar wurde die Veranstaltung nun jedoch abgesagt. Auf eine Anfrage von Monsters of Göttingen antwortete der Geschäftsführer der Göttinger Literaturherbst GmbH, Christoph Reisner: „Ihre Fragen zu Jörg Friedrich sind für uns in diesem Jahr ohne praktischen Belang, da die Veranstaltung nicht stattfindet.“ Reisner begründet dies in seiner Antwort mit dem sich verzögernden Erscheinen von Friedrichs neuem Buch. Der Kritik an Friedrich weicht er jedoch aus: „Ob es mit dem neuen Buch eine Einladung an Jörg Friedrich zum Literaturherbst geben wird, steht aktuell nicht zur Debatte.“ Die Frage, welches Kriterium für die Einladung überhaupt entscheidend war, blieb leider ebenso unbeantwortet wie die Frage nach dem Standpunkt der Veranstalter_innen zu Friedrich und seinen Thesen.

Friedrich verschleiert bewusst die besondere Qualität des Holocaust, der versuchten Vernichtung der Juden, indem er die oben genannten Begriffe einführt und verwendet um die unterschiedlichen Ereignisse als dem Wesen nach gleich darzustellen. Diese Relativierung der (Kriegs-)verbrechen der Deutschen während des Dritten Reichs wurde in der Öffentlichkeit heftig kritisiert. Doch Friedrich erntete auch Beifall. Als die NPD im sächsischen Landtag sich weigerte der Opfer des Nationalsozialimus zu Gedenken verwies sie in Anspielung auf Friedrich auf den „allierten Bombenterror“. Die derartige Verdrehung der Geschichte im Gewand der Wissenschaftlichkeit spielt den Rechten direkt in die Hände und reiht sich ein in den geschichtsrelativistischen Diskurs über Deutsche Opfer und legitimes Gedenken, in der Opfer und Täter_innen historischer Verbrechen vermengt werden. Die spezifischen Kontexte historischer Ereignisse werden dabei ausgeblendet und lassen bei Friedrich Holocaust und den Bombenkrieg der Alliierten als gleichartige Geschehnisse bzw. Taten erscheinen.

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Ein Kommentar auf "Der Göttinger Literaturherbst sagt ab: Matinee mit Autor und Geschichtsverdreher Jörg Friedrich"

  1. kuska sagt:

    m.E. ebenfalls kritikwürdig am Literaturherbst: 36 Autor_innen, davon 4 (!) Frauen.

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