Transparente? NEIN Danke!

Die Mär von der politischen Neutralität
von am 23. November 2014 veröffentlicht in Gespräche, Titelstory
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Foto mit freundlicher Genehmigung der Wohnrauminitiative

In Göttingen schwebt großes Unbehagen zum Thema „freie Meinungsäußerung“ über der Stadt. Konkreter: Über dem Studentenwerk, den Fraktionen des Stadtrats und der Wohnrauminitiative. Der Konflikt dreht sich um das Heraushängen von Transparenten aus den Fenstern einiger Wohnheime. Für die meisten eine Selbstverständlichkeit, für das Studentenwerk eine Frage von Verordnungen. Ein Kommentar zum aktuellen Geschehen.

Wer kennt das nicht: Da fühlt man sich im Recht, aber trotzdem scheinen alle was zu meckern zu haben. So ergeht es gerade auch der Leitung des Studentenwerks der Uni Göttingen. Ratlosigkeit macht sich breit, denn eigentlich ist die Sache doch glasklar, steht schwarz auf weiß in den „Allgemeinen Mitbedingungen“: Das Anbringen von Transparenten an den Hausfassaden ist verboten. Punkt. Ende der Debatte. Pech gehabt.

Wie kann es also sein, dass sich plötzlich sämtliche Leute uneins darüber sind, was doch schon längst festgeschrieben steht? Und noch schlimmer: Überall und ständig hängen diese verbotenen Transparente tatsächlich munter in der ganzen Stadt verteilt. Wer würde da nicht in leitender Funktion gewissenhaft Handeln und ganz „neutral“ auf diesen problematischen Sachverhalt hinweisen? Hört sich ja alles einleuchtend an. Recht und Ordnung. Kennt man ja.

Tja, zu früh gefreut. So einfach ist das nicht. Denn den Studierenden, die sich ihre Transparente nicht verbieten lassen wollen, ist dieser Verordnungs-Hickhack ein gewaltiger Dorn im Auge. Denn das, was sich hier als „neutraler“ Akt des Ordnungsschaffens präsentiert, ist nicht weniger politisch geprägt, als die Transparente selbst. So kam auch der Vorwurf des Verbots von Meinungsäußerungen ins Spiel. Keine neutrale Angelegenheit, sondern ein brisantes Thema. Da kommt man als Hüter der Ordnung schnell mal ins Schwitzen.

Wie steht es also nun in dem Streit? Alle gegen das Studentenwerk, scheint sich jüngst als Konsens zu offenbaren. So liest man im Göttinger Tageblatt, was sich einige Stadtratsfraktionen dazu überlegt haben: Eine Schulung für die Studentenwerks-Leitung zum Thema „Stadtkultur“, die Versetzung des Geschäftsführers in die Leitung eines Seniorenheims, und allgemein nicht mehr so viel mit „Recht und Ordnung“ rummachen, wenn es um politische Meinungsäußerung geht. Kommt nicht gut an. Diesen Schuh will sich erst recht keine Uni-Stadt anziehen müssen!

Was mal wieder keiner aufm Zettel hat

Der Leiter des Studentenwerks, Jörg Magull, wird also ordentlich mit Dreck beworfen. Eine Lektion, die er mehr trotzig, als demütig hinnimmt. Denn in die Bresche springt sein Kollege Hubert Merkel, Vorstandsvorsitzender des Studentenwerks, der mit letzter Kraft versucht das Imperium zu retten. In einem offenen Brief erklärt dieser, dass das Studentenwerk die Neutralität als oberstes Gebot verinnerlicht hat, denn das sei der wichtigste Grundsatz, um mit etwa 30.000 Studierenden fertig werden zu können. So bleibt alles beim Alten, nämlich bei den „Allgemeinen Mietbedingungen“. Dieses Prinzip habe sich all die Jahre bewährt. Punkt. Ende der Debatte. Pech gehabt.

Zudem führt Merkel ein beunruhigendes Szenario heran, denn was wohl niemand bedacht hat: Dann müssten ja auch Transparente mit rechtsextremem Gedankengut erlaubt sein, das wäre ja sonst ungerecht, wenn man die eine Meinung erlaubt und die andere nicht. Das wiederum würde ja wohl niemand wollen! Stimmt, rechte Transparente in einer Stadt, in der alles mit linken Transparenten zugeklatscht ist? Ja, das scheint in der Tat ein großes Problem zu sein. Doof, dass jetzt ausgerechnet auch noch die Miesmacher vom Studentenwerk als erste auf dieses Hindernis gestoßen sind. Das wird allen anderen Beteiligten sicher peinlich sein, dass niemand an die Nazis gedacht hat. Da zeigt sich also, was dabei heraus kommt, wenn man die Neutralität gepachtet hat.

Aber es geht noch weiter. Denn das nächste Problem ist die Anbringung der Transparente an sich, völlig unabhängig von deren Inhalt. Diese werden nämlich oft mit Wasserflaschen beschwert, damit sie im Wind nicht hin und her flattern. Was wäre denn das für eine Leitung, die nicht darauf aufpasst, dass niemandem so ein Ding auf den Kopf fällt? Daran hat natürlich auch noch keiner gedacht. Mag daran liegen, dass bisher noch kein Fall bekannt ist, in dem in Göttingen jemand von einem Transparent erschlagen wurde. Aber wenn die dann erst einmal offiziell genehmigt sind, dann wird so etwas sicherlich öfter passieren. Und dann wird es in allen Ohren klingeln, das „Wir haben es ja gleich gesagt!“.

Da wird also dem Empathievermögen aller beteiligten Akteure ordentlich was abverlangt. Es scheint nämlich keiner ernst zu nehmen, was für eine verantwortungsvolle Aufgabe der Leitung so einer Institution zuteil ist. Ein Akt der Balance zwischen neutralen Verboten und bevormundender Fürsorge. Ein Job, den keine Sau machen will.

Studentenwerk hat keine Lust mehr auf Streit

Wie auch immer (überzeugend) die Argumente des Studentenwerksleitung ausgetüftelt sein mögen, so wollen die Herren vor allem eins: untertänigst um einen Dialog bitten. Der Ruf ist ruiniert, die Peinlichkeiten auf die Spitze getrieben. Es geht ja auch bloß um Transparente. Das erscheint fast schon undenkbar, bei all dem, was nun noch alles im Raum steht. Und da der Herr Magull wahrscheinlich um seine Versetzung in ein Seniorenheim fürchtet, merkt er nun, dass wohl doch nicht alles im Alleingang entschieden werden kann. Denn da gibt’s ja noch die von der Politik, die einen in die Befugnisschranken weisen, wenn man mal über die Stränge schlägt.

Doch dann sollen die Frauen und Herren Politik doch bitteschön auch Rede und Antwort stehen, wenn es um so wichtige Fragen geht wie: Wer zensiert die Transparente? Wer bringt sie fachgemäß an? Und wie würden sie denn mit Leuten umgehen, die sich sowieso nicht an Verträge halten?

Tja, da ist natürlich kreative Denkleistung erforderlich, wenn einem mahnend der Knüppel entrissen wurde. Da macht so eine Schulung vielleicht auch nicht mehr viel gut.

Demokratie heißt für das Studentenwerk nämlich nach wie vor, sich an Recht und Ordnung zu halten. Dass man in einer Demokratie vor allem das Recht hat, sich darüber auch mal gewaltig zu beschweren, das macht im Herzogtum Studentenwerk keinen Sinn. Ein unauflöslicher Widerspruch, mit der Bitte, das doch im besagten Dialog mit allen Beteiligten aufzuklären.

Was wäre also wirklich zu befürchten, wenn diese heiß diskutierten Transparente plötzlich erlaubt wären? Welcher Schrecken würde zutage treten, den niemand vorhersehen konnte? Gar Keiner! Denn das, was die Studierenden sich wünschen wird ja längst umgesetzt. Oder anders gesagt, es würden im Gegensatz zu jetzt, wo überall Transparente hängen, plötzlich überall Transparente hängen. Dann wäre das Transparent neben den ganzen Deutschlandfahnen (die ja nicht als Transparent begriffen werden und dadurch auch nicht Gegenstand irgendeiner Ordnung sind) auch ein rechtlich gleichberechtigter Häuserschmuck. Jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass das Transparent die Fahne wahrscheinlich nicht unkommentiert neben sich stehen lassen würde. Wie wäre das doch schön!

Wie geht es nun weiter

Für Herrn Merkel ist der Gleichheitsgrundsatz eine notwendige Grundlage für eine Demokratie. Das gilt wohl besonders dann, wenn die Herren Studentenwerk wie die Großen im Geschehen in Göttingen mitmischen wollen. Da werden dann linke mit rechten Transparenten gleichgesetzt und gleichberechtigt verboten bleiben. Doch werden sich die Studierenden auch weiterhin ihr Recht nicht nehmen lassen, öffentlich das zu kritisieren, was kritisiert gehört. Nicht zuletzt das Verhalten des Studentenwerks selbst. Dass am Ende alle gleichberechtigt zufrieden sein werden ist nicht zu erwarten. Sehr undemokratisch, dieses Göttingen.

Offener Brief des Studentenwerks

Artikel im Göttinger Tageblatt

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