Kritik an Bundestagswahlen

„Zustimmung zum Regiertwerden“
von am 16. September 2013 veröffentlicht in Hintergrund, Politik, Titelstory

Wählen gehen oder nicht? Diese Frage stellt sich nicht, sagt Margaret Wirth (Foto: MoG)

Die Bundestagswahlen stehen mal wieder vor der Tür und wir erleben dieser Tage die heiße Phase des Wahlkampfs. In den Medien und der Politik ist man sich weitgehend einig, dass Wahlen eine gute und sinnvolle Sache sind. Es gibt aber auch Leute, die das ganz anders sehen,  zum Beispiel die Politikwissenschaftlerin Margaret Wirth.

Wer kennt nicht das Gejammer über die Wahlen? Wer die Wahl hat, hat die Qual heißt es, oder, politischer: Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten. Spott und Resignation sprechen aus den Redewendungen, die der Volksmund für die Wahl ersonnen hat, und für viele Menschen steht von vornherein fest: „Die da oben machen doch sowieso nur das, was sie wollen.“ Wir sprachen mit Margaret Wirth von der Zeitschrift GegenStandpunkt über den Sinn und Zweck von und die Kritik an demokratischen Wahlen. Wirth ist emeritierte Professorin für Politikwissenschaft und hält am 18.9. im Holbornschen Haus einen Vortrag mit dem Titel „Die Wahl – Eine Sternstunde demokratischer Herrschaft“. Beginn ist um 19:30 Uhr.

Monsters: Am 22. September sind wieder mal Bundestagswahlen. Medien und Politik versuchen angesichts sinkender Wahlbeteiligung, möglichst viele Menschen zu den Urnen zu mobilisieren. Warum ist es eigentlich für die Demokratie so wichtig, dass möglichst viele Menschen zur Wahl gehen? Aus eigenem Antrieb scheinen ja nur wenige auf die Idee zu kommen.

Margaret Wirth: Mit der Teilnahme an der Wahl erklärt sich der Bürger praktisch einverstanden mit der politischen Geschäftsordnung dieses Landes: Mit den Zielsetzungen, die sich die Regierungen vor und nach der Wahl setzen, mit den Maßnahmen zu deren Durchführung; damit auch mit allen Härten, die für die Bürger selbst darin enthalten sind. Auf diese Zustimmung legen die politischen Entscheidungsträger gerade deshalb viel Wert, weil sie den Leuten keine Wohltaten versprechen – das gilt ja allgemein als „Populismus“ – also nur zu gut wissen, dass Bürger allen Grund zur Unzufriedenheit mit der Politik haben. Nicht zu Unrecht nehmen Politiker die Wahlbeteiligung deshalb als Indikator dafür, mit welcher Handlungsfreiheit sie nach der Wahl durchregieren können, ohne auf Protest zu stoßen.

Wie bewerten Sie die gelegentlich diskutierte Überlegung, angesichts niedriger Wahlbeteiligungen eine Wahlpflicht einzuführen?

Manchen Beobachtern des „Wahlverhaltens“ ist es offensichtlich schon zu viel Distanz zur Politik, wenn Bürger in den Angeboten der Parteien ihre Interessen nicht wiederentdecken können und deshalb zu Hause bleiben. Da wird offenbar so gedacht: Wenn man als Bürger dieses Landes schon wählen darf, dann hat man dieses Angebot auf jeden Fall anzunehmen und nicht danach zu fragen, was man selbst eigentlich davon hat. Andererseits hat die Wahlpflicht den Mangel, dass man dann gar nicht weiß, ob die Wähler wirklich aus freien Stücken und nicht bloß gezwungeneraßen der Politik ihren Wahlsegen geben… Also wird es dazu wohl nicht kommen.

Die Zeitschrift GegenStandpunkt ist ja für kritische Positionen in Bezug auf alles mögliche bekannt, so auch in Bezug auf die Wahlen. Was genau ist aus Ihrer Sicht das Problem an Wahlen? Sie gelten doch gemeinhin als große Errungenschaft um die „uns“ viele Menschen auf der Welt beneiden.

Streng genommen liegt der positive Nutzen der Wahl ganz auf der Seite der Regierenden und Gewählten; und als Errungenschaft gilt sie in Wahrheit auch nur in Staaten, wo über die Wahlen stabile politische Verhältnisse zustande kommen und die Kontinuität des Regierens gesichert ist. Nicht umsonst gelten Völker, die allzu gegensätzliche politische Parteien wählen, als „nicht reif für die Demokratie“. Erst kürzlich hat der deutsche Finanzminister der griechischen Regierung empfohlen, die Wahlen dort wegen der Krise auszusetzen, weil die Gefahr bestand, das „die Falschen“ drankommen. Wenn die politische Agenda des Landes ganz jenseits der Wahl feststeht, dann wird sie als Errungenschaft für die Bürger gefeiert; für andere politische Lagen kennt auch die Demokratie andere Wege, für Stabilität im Lande zu sorgen.

Das Wort „Demokratie“ bedeutet „Volksherrschaft“. Halten sie den Begriff Volksherrschaft für das politische System der BRD für zutreffend? Was müsste sich ggf. ändern, damit er zutrifft?

„Volksherrschaft“ ist deshalb eine eigentümliche Kennzeichnung für ein politisches System, weil das Volk in diesem Begriff zweimal vorkommt: Einmal ist das Volk die regierende Instanz, und zugleich ist es die Gesamtheit derer, die regiert werden. De facto ist es allerdings offensichtlich gar nicht so, dass diejenigen, die Politik machen, mit dem großen Rest identisch wären, die ihr unterworfen sind: Die einen haben die politischen Ämter inne, sie beschließen Gesetze und setzen sie durch, bestimmen also praktisch die Lebenverhältnisse in diesem Land; die anderen sind von der Politik betroffen und müssen schauen, was da jeweils auf sie zukommt. Vorstellen darf man sich, dass die Ausübung der Staatsmacht über die Leute deshalb in der Demokratie keine Gewalt gegen sie sie sei, weil diejenigen, die die Macht haben, von denen beauftragt seien, die ihr dann zu gehorchen haben. Gegen diese Vorstellung spricht allerdings dann doch die Praxis der Demokratie – vor allem dann, wenn sie es mit Opposition und Protest zu tun bekommt: Die gewählte Regierung beruft sich gerne darauf, dass sie gewählt ist, um Maßnahmen zu treffen, wie sie sie für richtig hält, und weist mit dem Hinweis jeden „Druck der Straße“ ausdrücklich zurück.

Auch unter radikalen Linken scheint das Wählen nicht völlig out zu sein. Wie erklären sie sich den Widerspruch zwischen der Ablehnung des politischen Systems einerseits und dem Mitmachen bei der Wahl andererseits?

Da müssen Sie schon die jeweiligen Gruppen selbst fragen. In aller Regel liegt da wohl die Auffassung vor, man könne die Wahlen auch für einen systemwidrigen Zweck „missbrauchen“. Auch gegen diese Vorstellung möchte ich in meinem Referat am Mittwoch ein paar Einwände vortragen.

Unter Bezugnahme auf die vorhergehende Frage: Ist der Widerspruch nicht der gleiche wie der, dass man zwar gegen Kapitalismus ist, aber aus der Notwendigkeit des Alltags heraus trotzdem Geld verdienen geht und ein Konto bei der Bank hat?

Nicht ganz. Aus dem Zwang, Geld zu verdienen und es dann auch noch bei der Bank zu deponieren, wird hierzulande niemand entlassen; dafür sorgt die qua Rechtsstaat gesicherte Eigentumsordnung. Zum Wählengehen wird niemand gezwungen: Da liegt tatsächlich die freie Entscheidung des Bürgers vor. Eben deshalb muss er sich auch zur Wahl etwas hinzudenken, weshalb ihm die Teilnahme an dieser Veranstaltung etwas bringt. Die Wahlwerbung der Parteien will den Bürgern die Vorstellung nahebringen, es handele sich bei der Wahl um ein Auftragsverhältnis von „unten“ nach „oben“. Irgendein politischer Inhalt, ein Interesse des Wählers wird mit dem Wahlkreuz allerdings gar nicht dokumentiert; die Zustimmung zu einer Partei ist da ganz abstrakt und inhaltsleer. Und die Parteien interpretieren das Wahlergebnis nach der Wahl ja auch ganz so, wie es ihnen passt. Der „Wählerauftrag“ besteht eben in gar nichts anderem als darin, dass eine Regierung zustande kommt. Das kommt aus der Wahl ja auch auf jeden Fall raus.

Viele Menschen machen bei der Entscheidung über ihre Teilnahme an Wahlen einen Unterschied zwischen Kommunalwahlen, Landtagswahlen und Bundestagswahlen. An ersteren nehmen sie teil, weil sie ihren Einfluss auf den niederen Ebenen der Politik als größer ansehen. Was halten sie von dieser Auffassung?

Nichts.

Denken sie denn, dass Wahlverweigerung sich als Protestmittel gegen die Regierung oder die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft an sich eignet? Letztlich weiss ja niemand, wer warum nicht zur Wahl gegangen ist.

Genau so ist es. Der Protest bleibt hier genau so abstrakt und inhaltsleer wie die Zustimmung, ist deshalb auch absolut folgenlos. Und die Parteien interpretieren ihn, wie sie es für richtig halten.

Für viele Menschen stellt sich aktuell wieder die Frage „Soll ich oder soll ich nicht?“. Welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich aus der Kritik an der demokratischen Wahl und was raten Sie denjenigen, die das Thema genau so beurteilen wie Sie?

Der praktische Schluss aus der Kritik der Wahl ist in der Tat erst einmal nur ein negativer: Wenn diese Veranstaltung den Zweck hat, die Zustimmung der Bürger zum Regiertwerden zu organisieren – und zwar auch und gerade der Bürger, die nicht zu den Nutznießern der herrschenden Verhältnisse gehören – dann stellt sich in der Tat nicht die Alternative: Hingehen oder nicht. Auf der Veranstaltung am Mittwoch will ich dieses Urteil erläutern und begründen.

Vielen Dank für das Interview!

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