Eine juristische Gratwanderung
Versammlungs-Blockaden verboten?
von Harvey am 9. Mai 2011 veröffentlicht in Hintergrund, Polizei & JustizDarf man eine Versammlung von Nazis blockieren? Auf diese einfache Frage gibt es keine einfache Antwort. „Man muss!“ kommentiert die eine Seite, „Grundrechte gelten auch für Nazis“ heißt es von der anderen. Aber das wird im rechtlichen Bereich der Komplexität nicht gerecht.
Richtig – im Sinne von „so steht es im Gesetz“ – ist, dass Grundrechte tatsächlich auch erst einmal für Nazis gelten. Sie dürfen sich also auch versammeln, so weit das friedlich und ohne Waffen vonstatten geht. Das garantiert ihnen die „Versammlungsfreiheit“, die in Artikel 8 des Grundgesetzes formuliert ist. Alle Grundrechte gelten in erster Linie gegen den Staat, der auch für ihre mögliche Ausübung zu sorgen hat. Unabhängig von ethischer und politischer Bewertung dürfen Nazis also rechtlich gesehen demonstrieren und Versammlungen abhalten, so weit sich alles im genehmigten Rahmen hält.
Genauso dürfen sich aber selbstverständlich auch Menschen versammeln, die ein Problem mit Versammlungen von Nazis haben. Die Versammlungsfreiheit schützt eine Versammlung immer dann, wenn öffentlichen Meinungsbildung ihr Ziel ist. Blockaden können durchaus mit zu den Mitteln gehören, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. So hatte auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Sitzblockaden zulässig sein können. Allerdings ging es in entsprechenden Urteilen meist um Blockaden von Zugangs- und Versorgungswegen, die sich gar nicht gegen anderen Demonstrationen richteten.
Das Stören und Vereiteln von angemeldeten Demonstrationen
Dass eine Versammlung eigentlich nicht verhindert werden darf, hat der Gesetzgeber im Versammlungsgesetz festgehalten. Hier gilt eine niedersächsische Variante, die sich das Land erst vor kurzem gegeben hat (wir berichteten dazu). Wie in vielen Spezialgesetzen finden sich dort auch themenbezogene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. So heißt es in Paragraph 20 im ersten Absatz: „Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer […] in der Absicht, eine nicht verbotene Versammlung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten begeht oder androht oder eine erhebliche Störung der Ordnung der Versammlung verursacht.“
Neben diesem Spezialgesetz gibt es außerdem die Straftat der Nötigung (§240 StGB), um die es dann meist bei Blockaden geht, die sich nicht gegen Demonstrationen richten. Um sich einer Nötigung strafbar zu machen, braucht es ebenfalls „Gewalt“.
Nun muss man wissen, dass „Gewalt“ im Strafrecht ein komplizierter Begriff ist. Anders als vielleicht von vielen empfunden kann eine Blockade auch „Gewalt“ darstellen. Die Abgrenzung ist schwierig und sorgte schon für einige juristische Auseinandersetzungen bis zum Bundesverfassungsgericht. Gerade erst im März gab es eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts, die in der Presse meist als blockadenfreundlich gewertet wurde – was allerdings nicht unbedingt der Fall sein dürfte. Ausdrücklich wurde hier die bejaht, dass „Gewalt“ vorgelegen habe. Aber wieder in einer ganz bestimmten Konstellation: Es ging um eine Straßenblockade, blockiert wurden Autofahrer_innen, um es kurz zu machen: die Gewalt geht dann durch das erste angehaltenen Auto aus, das die folgenden Autos ganz physisch zum Anhalten nötigt. Jurist_innen nennen das die „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“. Jedenfalls fällt auf, dass es beim Verhindern von Nazi-Versammlungen nicht um angehaltene Autos geht – Hindernis ist hier nicht ein anhaltendes Auto, sondern die Polizei, die die Versammlungen trennen will.
Nach den wohl als gelungen zu bezeichnenden Blockaden gegen Nazi-Kundgebungen in Dresden wurden Strafverfahren gegen Blockierende eingeleitet – nicht wegen Nötigung, sondern wegen Straftaten nach dem Versammlungsgesetz. Gegen entsprechend ergangene Strafbefehle wurde von den Betroffenden Widerspruch eingelegt, eine gerichtliche Entscheidung steht noch aus und wird womöglich auch einige Instanzen brauchen, bis hier mehr Klarheit herrscht.
Alles strafbar?
Nun ist es aber so, dass die Staatsanwaltschaft – und im Vorfeld die Polizei – sehr vorsichtig abwägen muss. Denn beim Blockieren aus einer Demonstration heraus sind die Blockierenden von ihren eigenen Grundrechten geschützt, vor allem der Versammlungsfreiheit. Und damit kann eine Blockade zumindest vorübergehend wieder rechtmäßig sein. Diese Abwägung muss alle bekannten Fakten berücksichtigen und versuchen, die Grundrechte miteinander in Einklang zu bringen. Damit wird schon klar: Eine solche Abwägung kann nicht in genereller Form erfolgen. Als Daumenregel bleibt nur so viel: Es gibt sicherlich einen gewissen örtlichen und zeitlichen Spielraum für Blockaden, der andererseits aber auch schnell überschritten sein kann.
Zulässigkeit von „Blockade“-Demonstrationen
Damit eine Demonstration auch rechtlich unter die Versammlungsfreiheit fällt, muss sie die öffentliche Meinung erreichen und beeinflussen wollen. Teilweise wird – vor allem von verbotsfreudigen Versammlungsbehörden – die Idee vertreten, dass deshalb Aufrufe zu „reinen“ Blockaden nicht zulässig wären. In aller Regel wird es aber so sein, dass das offensichtlich nicht alles ist, was eine solche „Blockade-Demo“ erreichen will. Zugleich drängt sie mit ihrem politischen Anliegen in die Öffentlichkeit und will – mit einer Maximalforderung – durchaus politische Meinung beeinflussen. Dazu kommt, dass sie ja außerdem als Demonstrationszug oder Kundgebung geplant ist – mehr also als einer reinen, „stummen“ Blockade.
Da also ein Verbot von „Blockade“-Demos kaum rechtmäßig wäre, wird der Konflikt meist von den Versammlungsbehörden über Auflagen erledigt: So werden Demo-Routen umverlegt und geografische Möglichkeiten ausgenutzt, die Demonstrierenden der verschiedenen Lager zu trennen. Außerhalb von Demonstrationen sind Blockierende dann nicht mehr von ihrer Versammlungsfreiheit geschützt.
Im vergangenen Jahr hatten die Göttinger Behörden auch ein „Blockadetraining“ verboten, das im Vorfeld einer „Blockade“-Demo stattfinden sollte (wir berichteten). Unterstellt wurde, es würde schon mit der Ankündigung zu Straftaten aufgerufen. Da Blockaden, gerade im Schutz der Versammlungsfreiheit, aber nicht immer strafbar sind, war das wohl kaum haltbar – da eine Blockade ja eine zulässige Möglichkeit sein kann, aus einer Versammlung die öffentliche Meinung zu beeinflussen. In diesem Jahr gehen die Veranstalter_innen aber das Risiko nicht ein und lösten sich vom Namen „Blockadetraining“.
Eine Frage der Verhältnismäßigkeit
Ein solches hochdynamisches Geschehen im Rahmen von Blockade-Demos ist im Vorfeld rechtlich kaum einzuordnen. Zu viel hängt von Abwägungsfragen ab. Ein pauschales „Blockaden sind erlaubt“ ist ebensowenig haltbar wie ein pauschales „Blockaden sind verboten“.
Vor Ort wird die Polizei entscheiden müssen, wie sie vorgeht. Einzelpersonen kann sie Platzverweise erteilen, wenn sie in den Personen eine konkrete Gefahrt sieht. Zu Demonstrationen und Kundgebungen müssen Besucher_innen durchgelassen werden, der Schutz der Versammlungsfreiheit bezieht sich auch auf den Hinweg. Eine dann stattfindende Blockade-Demonstration müsste wiederum erst aufgelöst werden, damit die Polizei eingreifen kann. Ab der formellen Auflösung kann das bedeuten, dass sich Weiter-Blockierende strafbar machen. Wenn die Polizei mit verhältnismäßigen Mitteln dann eine Blockade aber nicht auflösen kann, dann kann das auch zum Ergebnis haben, dass die Versammlung, gegen die sie sich richtet, letztlich nicht stattfindet.
Abbildungsnachweis: Das zugrundeliegende Bild wurde von flickr-Nutzer „dielinke-sachsen“ unter der CC-BY-Lizenz veröffentlicht und zeigt die „Blockade-Demo“ im Februar 2011 in Dresden.
Morgen, am 11.05., gibt es dazu eine Podiumsdiskussion im ZHG 001, Unicampus, 19.00 Uhr.
Und am Samstag, den 14.05. gibt es erneut ein Blockadetraining in der Innenstadt, 12.00 Uhr, Gänseliesel.
Naja, das am Samstag heißt eben gerade nicht „Blockadetraining“.