Freispruch für Angeklagten

Polizist strauchelt – über eigene Aussage
von am 5. Mai 2011 veröffentlicht in featured, Polizei & Justiz

Versuchte Nötigung, versuchte Körperverletzung – so lautete der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft einem Göttinger gemacht hatte. Einem Polizisten soll er ein Bein gestellt haben. Ein entsprechender Strafbefehl folgte, nach dem Widerspruch dagegen kam es nun heute zum Prozess. Die als Zeugen geladenen Polizisten hatten gar nicht gesehen, ob der Angeklagte absichtlich einen Schritt nach hinten gemacht hatte. Das Ziel des Einsatzes konnten sie auch nicht erklären. Ein Freispruch erster Klasse war zwangsläufige Folge.

Die Vorgeschichte spielt sich im vergangenen November ab: die Burschenschaft Holzminda feiert ihr 150. Gründungsjubiläum. Einige Burschenschafter sitzen in der kurzen Straße im „Schwarzen Bären“, wo 1860 auch die Holzminda aus der Taufe gehoben wurde. Die Burschenschaft ist bekannt dafür, politisch am rechten Rand zu agieren, und rief mit ihren Feierlichkeiten dann auch gleich Protest hervor. Es kommt zu einer spontanen Demonstration in der Innenstadt. Im weiteren Verlauf mischt dann die Polizei mit, nimmt schließlich den jetzt beschuldigten Göttinger fest – und auch kurzerhand mit auf die Wache. Im Prozess stellt sich nun heraus: Für das Verbringen auf die Wache gibt es ebensowenig Anlass wie für die Anklage wegen der vorgeworfenen Straftaten.

Vor Gericht verliest die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl, mit dem aus Sicht der Staatsanwaltschaft wohl die Angelegenheit ohne viel Federlesens vom Tisch sollte. Damit wollte der Göttinger sich aber nicht abfinden und legte Widerspruch ein, weshalb nun vor Gericht verhandelte werden musste. Dort macht der Göttinger von seinem Schweigerecht Gebrauch, verliest zu Beginn nur eine kurze Erklärung, dass er wegen bisheriger eigener Erfahrung mit Polizei und Justiz nicht eben davon ausgeht, dass er einen fairen Prozess zu erwarten hat. Später wird ihm Richter Höfer ermunternd sagen, dass es auch sein gutes Recht sei, nichts zu sagen – die Staatsanwaltschaft müsse die Schuld untermauern, nicht er selbst seine Unschuld nachweisen.

Eben das Nachweisen der Schuld konnte der Staatsanwaltschaft nicht gelingen. Der erste Zeuge und das vorgebliche Opfer der Straftat, ein Polizist der Göttinger Einsatzpolizei, schildert den Einsatz aus seiner Sicht: Eine nicht angemeldete Demonstration in der Innenstadt, „flüchtende“ Demonstranten als er später mit drei Kolleg_innen eintraf, er habe die Verfolgung aufgenommen… „Warum haben Sie denn die weglaufenden Demonstranten verfolgt?“ fragt der Richter. Der Zeuge ist verwirrt. Man merkt ihm an, dass er wohl davon ausging, dass das sein Job sei. „Was war denn Ziel, welche Maßnahme wollten Sie denn vollziehen?“ hakt der Richter nach. Der Zeuge kann nicht antworten. „Da müssen sie meinen Einsatzleiter fragen,“ sagt er. Der Richter bleibt neugierig: „Sie müssen denen doch wegen irgendwas nachgelaufen sein?“ Der Polizist erklärt, dass seine Kollegen schon vorweg gelaufen seien, den Demonstranten hinterher. Er sei nur hinterher, da er etwas zurücklag, mehr könne er dazu nicht sagen. Man merkt ihm an, dass ihm möglicherweise nicht ganz klar ist, warum er keine weglaufenden Demonstranten jagen sollte. Dann schildert er, wie er im Lauf den Göttinger gesehen haben will, der auffällig bekleidet gewesen sei. Und der habe dann plötzlich einen Ausfallschritt gemacht, um ihm ein Bein zu stellen. Gefallen sei er nicht, er habe mit mehreren Schritten ausweichen müssen. Daraufhin habe er den Göttinger angeherrscht, was das denn solle. Alles im Vorbeilaufen. Wie habe denn der Göttinger gestanden, fragt der Richter. Nachdem der Polizist sich zunächst kaum erinnert, räumt er dann ein, dass der Göttinger ihm wohl den Rücken zugewandt habe, dabei einen Schritt rückwärts gemacht habe.

Der Richter wird im weiteren Verlauf der Verhandlung merklich ungehaltener. Er bringt in Erfahrung, dass ein anderer Polizist – er wird der nächste Zeuge im Prozess sein – bereits den Göttinger festgehalten hatte, als das „Opfer“ des vermeintlich gestellten Beins später zurück kommt. Erst zurück auf dem Revier, nach Gesprächen mit Kollegen, habe er sich dann zur Anzeige entschlossen. Dorthin wird auch der Göttinger „zur Identitätsfeststellung“ mitgenommen – obwohl er sich längst ausgewiesen hatte. Regelrecht ungehalten wird der Richter, als auf Nachfragen der Polizist vorgibt, sich an nichts weiteres mehr zu erinnern. Nicht an Funksprüche, nicht an Gespräche mit Kollegen – nur an die Geschichte selbst, die er zuvor detailreich ausgeführt hatte. Der Staatsanwalt lässt sich von der gereizten richterlichen Stimmung anstecken. Auch er merkt, dass schon nach Anhörung dieses Zeugen nichts mehr von den Vorwürfen bleibt.

Der zweite Polizeizeuge – bei den Vorfällen in Zivil unterwegs – beginnt mit der „großen Variante“ der Geschichte: Er habe alles mitangesehen. Nun ja, räumt er auf Nachfrage ein, er habe zumindest gesehen, dass der Kollege gestrauchelt sei. Nein, räumt er ein, dass ein Bein gestellt wurde, das habe er nicht gesehen. Er habe dann den Göttinger zunächst zwecks einer Identitätsfeststellung festgehalten. Der Richter fragt nun wohl eher noch aus Neugierde – vom Vorwurf, wegen dessen verhandelt wird, ist nun ohnehin nichts mehr übrig: Warum habe er denn das Festhalten, die Identitätsfeststellung vorgenommen? Der Zeuge kommt ins Stottern, auch er ist sich wohl unsicher, warum er nicht mal vermeintliche Demonstranten festhalten solle.

Er erklärt dem Richter nun, es sei dabei nicht um Strafverfolgung, sondern um Gefahrenabwehr gegangen. Übersetzt aus Sicht des Strafjuristen bedeutet das: „Nicht Ihre Baustelle, das ist Verwaltungsrecht“. Die Stimmung des Richters verbessert das nicht. Er erlaubt sich noch eine kurze Tuchfühlung im Gefahrenabwehrrecht: Ob denn der Polizist meine, dass er bei jedwedem Verdacht jemanden festhalten dürfe. Aber ein wenig ungehalten belässt Richter Höfer es dabei, fragt lieber gar nicht erst weiter. Er hat gehört, was er für den Fall hören musste, den dritten Zeugen – auch Polizeibeamter – möchte er lieber gar nicht mehr befragen. Die Staatsanwaltschaft ist einverstanden. Das Plaidoyer der Staatsanwalt ist kurz: Freispruch, schon irgendeine Absicht sei nicht nachweisbar, von den weiteren Details der Aussagen ganz abgesehen. Die Verteidigung schließt sich an, der Richter „im Namen des Volkes“ kurz darauf auch.

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