Kolumne

Göttinger Linke
von am 19. Januar 2011 veröffentlicht in Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft

Bereits seit Jahren sammelt unser neuer Kolumnist in Göttingen „Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft „. Heute beginnt er, sich seinen Frust über eben jene in der gleichnamigen Kolumne von der Seele zu schreiben. Nichts und niemand darf sich mehr vor ihm sicher wähnen. Teil 1: Die Göttinger Linke.

Göttingen, manchmal kannst du ein ganz schön linker Haufen sein. So sehr, dass deine Gruppen antreten sich gegenseitig den Faschismus auszutreiben.

„Die Redical M? – Das sind doch Macker in Markenklamotten!“
„A.L.I.? – Klassenkampfromantische, heimliche Djihad-Fans!“
„Anti-Atom-Plenum? – Alles Hippies!“
„Basisdemokratisches Bündnis? – Die gehen doch zum Lachen in den Keller“

Und so weiter. Göttingen, da werden manchmal Dinge über deine Linke gesagt, die glaubst du gar nicht. Und wer sagt so was? Ganz genau – deine Linke! Deine Linke ist nämlich aufgeteilt in einen riesigen bunten Blumenstrauß voller kleiner, hübscher, sich von einander abgrenzender Identitäten. Nur: ist das mit der Identität ja ein bisschen problematisch, auch wenn sie links ist. Schon Adorno hat gesagt, Identität sei voll der Faschismus, ey. Also jetzt nicht wortwörtlich so, allerdings vielleicht so in die Richtung.

Aber liebe Genossinnen und Genossen. Jetzt mal unter uns: ihr fühlt euch doch im Juzi auch besser aufgehoben, als auf dem Göttinger Weihnachtsmarkt oder? Die Distinktion ist zwar ein bisschen schwieriger, aber umso besser kann sich der bunte Blumenstrauß entfalten. Anarchos, Punks, Hardcoreszene, Sharpskins, (Neo-)Hippies, Ökos, Antideutsche, InternationalistInnen, KommunistInnen, Queers, Transen, Bi’s, Homos, Heteros, Frauen, Männer, Menschen, Junge, Alte, Grüne, LINKE, GewerkschafterInnen, Studis und ab 3 Uhr Technoprolls aus dem EinsB. Und alle sind sie irgendwie „links“. Bis auf die Prolls natürlich. Auch hier wieder: Identität und Abgrenzung.

Und wenn man dann mal so richtig gute, oft bierselige Laune hat und sich so richtig wohl fühlt in der biologisch determinierten, kulturell überformten Haut, dann ist das ja auch irgendwie identisch, nech? Oft wird dann auch noch darüber geredet, was diese oder jene Gruppe schon wieder gemacht hat oder wie die Göttinger Linke so ist im Vergleich zur Linken in anderen Städten. Ja, es soll sogar Standpunktdiskussionen über das örtliche Linkssein auf einschlägigen Mailverteilern und Internetseiten gegeben haben.

Nun gehen die meisten aber nicht vollkommen auf in diesen anarchischen Ökoantifa-Identitäten. Sind ja Individuen. Wenn auch nicht Freie in Assoziation. Also voll ambivalent das alles. Und trotzdem; hört man sich etwas um: Immer wieder: „Göttinger Linke“.

Mein Kumpel Thomas ist schon etwas älter. Oft erzählt er von früher und wie es damals so war. 1989. Damals wurde Conny von den Bullen ermordet und daraufhin brannte die Luft. Kompromisslose Antworten. Bullenwagen aufs Dach gekippt, Molli rein, fertig. Zerschlagene Scheiben in der Innenstadt. 20000 Leute auf der Demo. Ebenso: Kampf gegen Nazis in Stadt und Umland. 1993 gegen das NPD Schulungszentrum in Adelebsen. 1994 gegen das FAP Zentrum in Northeim. Natürlich auch: linke Asten, Mittwochsantifa: die gute alte (M). Göttingen: Zentrum der linken Bewegung. So ging das ein paar Jahre. „Die Goldenen 90er“ denke ich mir manchmal. Dann: Rot-grün wirbelt die politischen Fronten durcheinander. Machtergreifung der ADF. Mittwochsantifa kaputt. Gescheitert an einer Debatte über den korrekten Standpunkt zur Wochentagsfrage. Oder ging es doch um was ganz anderes? Ich war nicht dabei und wer weiß das heute noch schon so genau? Nein, im Ernst: belanglos war es sicher nicht und klare Positionen und Reibung und Auseinandersetzung; das ist ja auch alles gut.

Aber alles zerfällt. Seit ich im Jahr 2003 angefangen hab in Göttingen zu studieren, habe ich auch die Gefühlslage der Linken studiert. Die besagt: früher war alles besser, da waren wir noch Viele. Die linke Identität wähnt sich im Gegensatz zur Mehrheitsgesellschaft. Man muss viel ertragen. Manchmal bewegt man sich in ganz schrecklich fremden Lebenswelten. Der Campus gehört für mich dazu, ganz zu schweigen von diesen furchtbaren Wirtschaftsvorlesungen, die ich mal machen musste. Und ohne Scheiß: es soll sogar Linke geben, die ihren Lebensunterhalt mit Arbeit verdienen müssen. Die Widrigkeiten, die man dort ertragen muss, will ich mir aber gar nicht vorstellen. Arbeit, pfui Teufel! Und wer hat nicht schon mal den Fehler begangen und ist auf die Party eines Bekannten gegangen, der Jura studiert? Er selbst ist ja ziemlich nett, aber das ändert auch nichts daran, dass man dann mit den anderen Gästen diskutieren muss, warum es richtig ist NPD-Aufmärsche zu blockieren.

Natürlich kann man auch nicht mit allen Linken. Die Woche bietet schließlich auch nicht umsonst sieben Tage für sieben Antifagruppen. Aber mal Hand aufs Herz: ihr habt euch schon oft über SRK aufgeregt, schon oft das Kabale als „zu PC“ empfunden und euch schon viel zu oft über den Staat Israel gestritten aber an Connys 20. Todestag steht ihr ja doch wieder gemeinsam auf der Straße. Ich für meinen Teil verspüre auf einer Bündnisdemo dann doch weniger Unbehagen, als wenn ich in der Innenstadt Weihnachtsgeschenke für meine Nichten kaufe.

Warum das mit den Weihnachtsgeschenken für die Nichten so anstrengend ist, lässt sich dann beim nächsten Mal hier erfahren.

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35 Kommentare auf "Göttinger Linke"

  1. Revolver sagt:

    Amen, danke und *thumbsUp* 🙂

  2. und so sagt:

    Ich find den Text gut 😉
    Ich mein das mit den Grabenkriegen kotzt mich in meinen jungen Jahren schon an!

  3. alex sagt:

    schöner text. danke!

  4. hoffnungsvoll sagt:

    Klasse Kommentar…voll den Nagel auf den berühmten Kopf getroffen!

  5. yeah sagt:

    SRK lebt!
    Kultur in den AStA!

  6. dystopia sagt:

    „…umso besser kann sich der bunte Blumenstrauß entfalten…“ — Feindbild ist ein Hippie!!!
    Nein, im Ernst, großartiges Stimmungsbild.
    Doppelplusgut.

  7. - - - sagt:

    Hoch die intragöttinger Solidarität.

  8. e.r. sagt:

    erm, wenn den text hier alle so gut finden, wieso gibt es denn dann eigentlich diese dämlichen grabenkämpfe? das schreit ja nach einer neuen gruppe 🙂

  9. bewegung sagt:

    Die „Intergöttinger Linke?“

  10. Yeah! sagt:

    Lasst uns ne neue M machen!

  11. greta sagt:

    das beste was ich seit langem gelesen habe.
    die technoprolls bezeichnen sich übrigens auch als links, die finden bullen nämlich scheißen, die nehmen ihnen ihre drogen weg (hab ich mir nich ausgedacht, dass haben die mir gesagt)

  12. gebirgsjägerwurstschmecktgut sagt:

    das gibt es ja gar nich! fanfare hoch und tor uff für gulasch, bockwurst und goldbroiler! Ab in Osten mit Dir! 😉

  13. gebirgsjägerwurstschmecktgut sagt:

    allerdings noch ne anmerkung: SRK is kaputt! Für immer! So. BastA!!!

  14. death_souls sagt:

    na klar ist SRK kaputt. die gruppe hat sich gegründet, um gremienarbeit in hochschschulpolitik zu bepöbeln. realität dieser gruppe ist, dass sie die stellvertretende stupa präsidentin (!) stellen.

    auch wenn die leute sonst ganz nett und witzig sind.

  15. gebirgsjägerwurstschmecktgut sagt:

    SRK stellt die stellvertretende Stupa-Präsidentin? Was ist dran an der Sache? Wusst ich nicht!

  16. vollkommen egalundso sagt:

    super text.
    beschreibt wirklich wie es ist 😀
    dieses ganze angekacke zwischen antiimps und anti-ds,a.l.i und redical nervt unglaublich.
    Wir machen damit unsere szene kaputt…..
    wäre schon mal ein guter anfang wenn man sich nicht am samstag wieder anakcen würde wie bei der conny demo..

    hoffe mal das es bei manchen menschen endlich mal ankommt:D
    weil bevor wir uns nicht verstehen können wir auch nicht die bürgerlichen massen ziehen :D:D

  17. eigentlich nicht egal sagt:

    ich fänds ja auch gut, wenn sich ali und redicalz zukünftig in ruhe gegenseitig ihr zeug machen lassen würden. müssen ja nicht gleich die besten freundInnen werden …

    aber hey, hier klingt es bisweilen, als ob ali und redical die einzigen gruppen wären in gö und/oder durch ihre inzwischen doch sehr gelegentlichen streitereien dem rest die möglichkeit nehmen würden, ganz tolle linke politik zu machen. mir kommts eher so vor, als ob sich so mancheR gölinkeR auf den beiden gruppen ausruht, im sinne von „die werden sich schon drum kümmern“. und wenn sie das dann mal aus irgendwelchen gründen nicht tun, passiert eben wenig bis gar nichts.

    im übrigen: so „habt-euch-endlich-lieb“-appelle bringen in der regel nicht viel.

  18. soft_brain sagt:

    Darf ich kurz erfahren, welche Art von aktuellem „Angekacke“ und Streiterei zwischen der ALI und der Redical vorliegt? Da ist doch seit Ewigkeiten nichts mehr passiert, oder habe ich was verpasst? Ich bitte um Aufklärung!

  19. Göunited sagt:

    Mensch soft_brain…nimm dir die Zeit, gönn dir noch mal den Artikel und frag dich dann, wie geil zielführend bitte deine Aufforderung zu Klatsch und Tratsch ist!

    Gemeinsam am Samstag auf die Straße! Vamos!

  20. Susi Suspekt sagt:

    Wenn Linke etwas können, dann spalten. Das bewahrt die Fähigkeit zu kritischer Reflektion. Mir sind die Rufe nach Einheit immer schon schräg vorgekommen…

  21. beppo sagt:

    bei der sache mit dem weihnachtsmarkt und dem juzi bin ich mir nicht ganz sicher was einige genoss_innen angeht

  22. Ines sagt:

    in der schönen linken Textsoße werden einige Dinge vergessen: die Opfer der Scene und das aufgeklärte akademische Bürgertum, ohne dessen Widersprüchlichkeiten und Kaputtheiten es diese linke Szene gar nicht geben würde. Die vielen, vielen Stunden Umsonstarbeit einiger Aktivist_innen. Auch, dass „Randkulturen“ wie die fusion und die Esos einen immer stärkeren Einfluss gewinnen und die Linke auf ihre wahre Funktion, nämlich eine systemstabilisierende Antikultur zu sein, immer wieder zurückführen …

  23. soft_brain sagt:

    Mein Kommentar ist keine Aufforderung zu Klatsch und Tratsch, eher das absolute Gegenteil! In den vorherigen Kommentaren wurde nämlich genau dies fabriziert.

  24. Spalter sagt:

    Mein Kommunismus funktioniert nur alleine. Spaltung find ich gut!

  25. wayne sagt:

    srk ist tot. es gibt zwar noch eine gruppe die sich so nennt. diese hat aber mit dem ursprünglichen srk nichts zu tun.

  26. death_souls sagt:

    @ gebirgsjägerwurstschmecktgut

    ich will hier niemanden schlecht machen, komm einfach nächstes mal vorbei und guck dir das trauerspiel an 😉

  27. winterschlaf sagt:

    die gräben, die hier vom feindbild wieder aufgerissen werden, sind doch längst verschüttet. klar gibts ideologische unterschiede zwischen bspw. redicals und alis. dagegen spricht doch auch nix. das gezanke, auf das hier abgezielt wird, ist aber schon lange passé.

  28. und so sagt:

    zwischen denen ist der Grabenkrieg vielleicht zugeschüttet, aber es gibt noch andere Gruppen 😉

  29. Oi! sagt:

    und die anderen Gruppen bekriegen sich? Ist doch Quark!

  30. Feindbild sagt:

    Liebe Leserinnen und Leser,
    danke für eure Kommentare. Es ist schon interessant zu sehen, wie so ein Text interpretiert werden kann. Trotzdem möchte ich klarstellen, dass ich hiermit nicht auf konkrete aktuelle Entwicklungen anspiele, sondern auf ein Stimmungsbild, dass ich so seit Jahren wahrnehme. Des weiteren handelt es sich auch nicht um einen Apell zur Einheit. Siehe die Textstelle: „Nein, im Ernst: belanglos war es sicher nicht und klare Positionen und Reibung und Auseinandersetzung; das ist ja auch alles gut.“ Es geht mir auch nicht um eine differenzierte Analyse der Situation, sondern um persönliche Gedanken und Eindrücke. Ich habe nicht gesagt, dass innerlinke Auseinandersetzungen falsch seien. Ganz im Gegenteil, da steh ich total drauf! Aber trotzdem und vielleicht auch gerade deshalb fühl ich mich unter Linken wohler, als unter welchen die aus Versehen konservativ geworden sind.

  31. gebirgsjägerwurstschmecktgut sagt:

    @ feindbild: geh doch weg 🙁

  32. AAP sagt:

    Das AntiAtomPlenum schreibt sich aber mit großen BinnenBuchstaben…
    Der Identität wegen und so.

  33. Genosse mit reformorientierten Alüren sagt:

    Diversität ist toll. Und Stimmungen einzelnen Menschen, die auch so bildhaft beschrieben sind, dass andere dem folgen können, zeugt von Kreativität.

    Ich finde den Artikel toll. Weil eher beim Lesen immer wieder auch ein Schmunzeln zauberte, der mir deutlich machte, dass die wirren „der Szene“ auch als Realsatire verdeutlicht werden können. „Die Linke“ und Göttingen ist so bunt (noch), weil es die Unterschiede gibt. Einheit macht nur in der Aktion Sinn, nicht in der Diskussion.

    Weiter so! Die Artikel nehmen mit, und lassen Raum für Kritik.

  34. Genosse mit reformorientierten Alüren sagt:

    Hmm, Genosse Feindbild:

    Sehr interessante Darstellung der Ereignisse. Und Zustimmung bei der These der „NoGoArea“ Göttingen. Stutzig machte mich jedoch deine Orientierung auf Bratwürste, woher kommt die?

    Mit sozialistischem Gruß

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