Wasserkocher als Anschlagsmittel, Flugblätter als Bekennerschreiben? Über eine Kampagne gegen die Göttinger Linke
von am 13. März 2010 veröffentlicht in politische Justiz

Am 22. Januar 2010 bricht in einer Teeküche im Göttinger Landkreisgebäude, die auch von der Ausländerbehörde genutzt wird, ein Feuer aus. Als ein Mitarbeiter den Brand löschen will, kommt es zu einer Verpuffung. Die Göttinger Polizei veröffentlicht daraufhin noch am gleichen Tag eine Pressemitteilung, in der sie von einem „Brandanschlag“ spricht, obwohl sie offensichtlich keine Ahnung hat, was den Brand ausgelöst hat: In der gleichen Mitteilung ist von einer „unbekannten Spreng- und Brandvorrichtung“ die Rede. Anders als die Polizei geht die Stadtverwaltung in einem internen Rundschreiben von einem technischen Defekt aus und weist dementsprechend ihre Bediensteten an, Probleme mit Elektrogeräten schnell zu melden: „Am Freitagvormittag ist ein Wasserkocher im Landkreis-Gebäude explodiert. Dieses nimmt FB 80 zum Anlass, dass bei Auffälligkeiten an technischen Geräten, sofort die Hausverwaltung, Hausmeister oder Pforte informiert werden müssen.“

Dieser Text stammt aus der Broschüre der Initiative für gesellschaftliches Engagement – gegen Kriminalisierung und politische Justiz. Presserechtlich verantwortlich ist Patrick Humke-Focks, MdL.

Schon am ersten Tag geht die Polizei davon aus, dass das Feuer einen „politischen Hintergrund“ hat, genauer: einen antirassistischen. In der Nähe will sie nämlich ein Flugblatt entdeckt haben, das „Bleiberecht für alle“ fordert und sogleich zu einer Art Bekennerschreiben aufgebauscht wird. Dass in der Nähe des Brandortes ein derartiger Flyer gefunden wird, wäre indes nicht weiter verwunderlich: Seit Wochen finden Proteste gegen die Abschiebung von Roma in das Kosovo statt, bei denen in großer Zahl Flugblätter verteilt werden – gerade auch bei den Behörden, die für diese Maßnahme verantwortlich sind.

Obwohl also faktisch nichts geklärt ist, findet fünf Tage später in einer bekannten linken Wohngemeinschaft in der Roten Straße eine Hausdurchsuchung statt. Angeblich haben zwei Spürhunde, so genannte Mantrailer-Hunde, eine Spur vom Kreishaus bis zu der durchsuchten WG verfolgt – eine Behauptung, die angesichts des zeitlichen Abstands und der ungünstigen Wetterverhältnisse zumindest sehr zweifelhaft erscheint. Noch dubioser ist allerdings die Angabe der Polizei, sie habe den Hunden einen „Spurenträger“ unter die Nase gehalten, woraufhin diese die Fährte aufgenommen hätten. Was für ein Spurenträger das war, will Kripo-Chef Volker Warnecke lieber nicht sagen. Ob es sich dabei um das gefundene Flugblatt handelte, bleibt offen.

Die Einsatzkräfte verschaffen sich Zugang zu der Wohnung und weigern sich zunächst, einen Durchsuchungsbefehl vorzuzeigen. Obwohl gesetzlich klar geregelt ist, dass BewohnerInnen bei der Durchsuchung von Räumlichkeiten anwesend sein sollen, sperrt die Polizei diese anfangs in anderen Zimmern ein: Was in der ersten halben Stunde der Hausdurchsuchung passiert, wissen deshalb nur die eingesetzten BeamtInnen. Nach Angaben der Ermittlungsbehörde schlagen die Hunde an den Türen von vier Zimmern an, gegen deren BewohnerInnen daraufhin Verfahren eingeleitet werden. Auffällig ist, dass die Hunde explizit keineN der BewohnerInnen identifizieren können. Die Durchsuchung bringt offensichtlich keine belastenden Ergebnisse, dafür nehmen die BeamtInnen neben einer Flasche Klebstoff aber die Computer der BewohnerInnen mit.

Sogar das Göttinger Tageblatt merkt zum Vorgehen der Polizei inzwischen kritisch an: „Beweise für eine Beteiligung der vier Personen an dem Brandanschlag konnte sie aber bisher nicht liefern.“ Die Polizeiführung hält trotzdem stur an der eingeschlagenen Linie fest und erklärt, dass „sich der Verdacht, dass der Brandanschlag auf das Göttinger Kreishaus aus dem linksextremistischen Umfeld begangen wurde“ konkretisiert habe. Der vom Leiter der Göttinger Polizei zum Präsidenten des niedersächsischen Verfassungsschutzes aufgestiegene Hans Wargel legt noch eine Schippe drauf und spricht von einer „neuen Qualität der Gewalt“ und der „Schwelle zum Terrorismus“.

Das Vorgehen der Göttinger Polizei deutet darauf hin, dass die Aufklärung des Brandes im Kreishaus für sie nur von untergeordnetem Interesse ist. In einer Situation, in der es in Göttingen vielfältige Proteste gegen Abschiebungen gibt, nutzt sie ein ungeklärtes Feuer, um sowohl die Protestbewegung zu diskreditieren als auch massiv gegen die lokale Linke vorzugehen. Dabei zeigt sie sich von Anfang an sehr zielstrebig. Aus einem Feuer wird ohne Belege ein Anschlag, ein Flugblatt wird zum Bekennerschreiben gemacht. Die erste konkrete Maßnahme lässt mit einer dubios begründeten Hausdurchsuchung in einer linken WG nicht lange auf sich warten. Dabei wird zwar nichts Belastendes gefunden, die Ausforschung linker Zusammenhänge mit der Mitnahme von Computern und Unterlagen sowie der Eröffnung von Ermittlungsverfahren aber bereits eingeleitet. Darüber hinaus wird unbeeindruckt von den Ergebnissen eine Erhärtung des Verdachts behauptet. Die von Polizei und Verfassungsschutz vorgenommene sprachliche Radikalisierung deutet bereits an, wohin die Reise gehen soll: Geplant ist offenbar die gründliche Ausschnüffelung des linken Spektrums in Göttingen, inklusive Telefonüberwachung und ähnlichem.

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