Menschenrechte? Bitte nicht stören.
von am 11. Februar 2010 veröffentlicht in Antirassistische Politik & Verfolgung, Politik

Bis zu 500 Roma sind in Göttingen derzeit von der Abschiebung in das Kosovo bedroht. Staatlich verordnete Deportationen, vor denen die Betroffenen große Angst haben – im Kosovo werden sie rassistisch verfolgt, haben kein soziales Umfeld. Der Gesetzgeber trotzt allen Appellen, von den Abschiebungen abzusehen. Eine Antwort der Bundesregierung mit der Bitte um Verschlusshaltung an den Europarat-Menschenrechtekommissar Hammarberg macht deutlich, dass die Bundesregierung voll hinter den Abschiebungen steht, allen Hinweisen auf lebensbedrohende Umstände zum Trotz. Allerdings steht sie zwar dahinter, aber nicht dazu.

Technokraten verstehen es, den Gewaltakt in so viele Stufen zu zerlegen, dass der Beamte bei der Entscheidung schlicht auf das Gesetz, den Erlass oder die Dienstanweisung verweisen kann: Ob Schreibtischtäter oder Polizist „für’s Grobe“, alle sagen: „wir müssen“. Dabei spart sich der Täter auch eine individuelle Rechtfertigung: Warum? Ja, da sprechen Sie besser mit dem Gesetz- oder Verordnungsgeber ‚drüber.

Das hat Thomas Hammarberg Ende letzten Jahres auch tatsächlich gemacht. Der Kommissar für Menschenrechte des Europarates hat dabei insbesondere das Schicksal der Kosovo-Krieg-Flüchtlinge, darunter auch speziell der Roma-Minderheit, im Blick. Unter erneutem Hinweis auf die unhaltbaren Umstände der Unterbringung im Kosovo fordert er Angela Merkel als Bundeskanzlerin auf, alle weiteren Abschiebungen in das Kosovo zu verhindern.

In view of the above, I think it is obvious that the time simply is not right for forced returns to Kosovo, especially of Roma people. I should like to stress that “return” is not purely a technical administrative act – it means to receive and re-integrate returning people and families in dignity and security, and in a sustainable way.
Thomas Hammarberg, 27. November 2009, CommHR/NS/sf 186-2009

Die Amtswürde Hammarbergs ließ es wohl nicht zu, schlicht nicht zu antworten. Die Reaktion, die dann erfolgte, lässt aber den Schluss zu, dass man eigentlich lieber gar nichts gesagt hätte. Ein Antwortschreiben sei jetzt gekommen, so verriet Hammarberg zu Monatsbeginn auf einem Seminar in Stockholm. Allerdings zugleich mit der Aufforderung, es nicht zu veröffentlichen, und die diplomatischen Gepflogenheiten werden es wohl auch nicht direkt dazu kommen lassen. Dennoch ist der Inhalt dank der schwedischen Journalistin Irka Cederberg kolportiert: Deutschland wolle an der Abschiebung der davon in diesem Zusammenhang betroffenen 10.000 Menschen festhalten, wobei – ganz technokratisch in Zahlen verpackt – 2.500 Menschen pro Jahr abgeschoben werden sollen.

Schon das ursprüngliche Schreiben Hammarbergs wurde von der Presse in Deutschland eher am Rande erwähnt. Die Regierung bemüht sich nun darum, bloß keinen Anstoß für eine politische Aufarbeitung anzubieten. Dabei war Angela Merkel sicher schon die richtige Adresse: Unter dem euphemistisch „Rücknahmeabkommen“ genannten Vertrag mit dem – jedenfalls seitens Deutschlands so akzeptierten – Staat Kosovo dürfte ihre Unterschrift stehen.

Hammarberg ist zur Zeit erneut im Kosovo. Am morgigen Freitag, 11:30 Uhr, wird er eine Pressekonferenz geben. Wenn dabei auch Deutschland erwähnt wird, sollte vor dem Hintergrund des Briefverkehrs besonders auf feine Anspielungen geachtet werden. Allerdings wird die Pressekonferenz sicher wiederum nur in Randnotizen erwähnt. Die Mainstream-Presse verunsichert die Bürger ebenso ungern wie die Regierung.

Anmerkungen:

  • Der Europarat ist vor allem dadurch bekannt, dass bei ihm auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR bzw. ECHR) – nicht zu verwechseln mit dem EuGH – angesiedelt ist. Er hat 47 Mitgliedstaaten und ist mit der Europäischen Union (EU) lediglich über Abkommen verbunden.
  • Hinweis auf die Antwort der Bundesregierung kolportiert von Irka Cederberg und publiziert vom „Roma Virtual Network“: http://groups.yahoo.com/group/Roma_Daily_News/message/11494

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