Eine Göttinger Institution – der Rote Buchladen
von am 5. Oktober 2008 veröffentlicht in Neu in dieser Stadt

Göttingen war in den letzen Jahrzehnten politisch immer klar auf der linken Seite. Nicht nur 1968’er Bewegung hinterliess bleibende Spuren in der Universitätsstadt. Solche Spuren sind heute fest etablierte Einrichtungen wie das JuzI oder der Buchladen Rote Straße, die mindestens so repräsentativ für das Stadtbild sind wie das zum Maskottchen stilisierte Gänseliesel. Nicht nur für Neu-Göttinger_innen ist der Buchladen eine sympathische Angelegenheit, in der man Literatur für Uni und Eigenbedarf erstehen kann und auf ausdrückliche Empfehlung dieses Magazins auch sollte.

Der Rote Buchladen wurde 1972 gegründet, vier Jahre nach den viel zitierten 68’ern. Zu jener Zeit war AStA noch ein Synonym für linke Politik. Zahlreiche Initiativen, Bewegungen und Politikgruppen waren in der Stadt aktiv. Sie richteten sich beispielsweise gegen den Abriss von Häuserblöcken zu Gunsten von Umgehungsstraßen oder zählten sich zur so genannten „Anti-Knast-Bewegung“. Einige von ihnen erlangten auch bundesweite Beachtung, wie die berüchtigte „Mescalero Erklärung“. Das politische Klima in der Stadt war noch wesentlich eindeutiger, als es heute ist.

Those were the 70s

Die großen Buchhandlungen Göttingens weigerten sich indes, bestimmte Bücher zu bestellen: sie waren ihnen zu links. Dennoch gab es einen großen Bedarf an neuen, anderen Büchern. Selbst etablierte bürgerliche Verlage legten Klassiker wie die Texte der „Frankfurter Schule“ auf, die zuvor nur als Raubdruck zu haben waren. Neue Verlage schossen aus dem Boden, in verschiedenen deutschen Städten entstanden neue Buchläden und Vertriebsstrukturen. In Göttingen existierte 1972 bereits ein solcher politischer Buchladen, der vom Betreiber allerdings auf Parteilinie gebracht wurde. Für viele Gruppen der Stadt ein Grund, eine neue Buchhandlung zu eröffnen, die alle Facetten linkspolitischer Literatur abdeckte. Der Buchladen Rote Straße war geboren.

In 35 Jahren hat sich viel verändert. Zum einen ist die linke Szene der Stadt, zu der sich auch der Buchladen nach wie vor zählt, sehr viel kleiner geworden. Gleichzeitig konnte sich der Buchladen aber auch ein Stück weit für Menschen ausserhalb der teilweise geschlossen wirkenden Linken öffnen. Dabei war der Buchladen schon immer für alle Menschen gedacht: „Unserem eigenen Anspruch nach wollten wir nie einen geschlossenen Eindruck machen“ erzählt Gerd vom Buchladenkollektiv im Gespräch. Man habe immer darauf gesetzt, die Schwellenangst abzubauen. Hausdurchsuchungen der Polizei mit fadenscheinigen Begründungen und Verfahren gegen das Buchladenkollektiv wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung taten in den Anfangsjahren ihren Teil dazu bei, den Ruf des kleinen Ladens in der Roten Straße zu beschmutzen. Zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte: zu einer Verurteilung ist es nie gekommen. Von diesem Image konnte man sich mitlerweile lösen. Es ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass Göttingen einen linken Buchladen hat. Schulen und Bibliotheken bestellen Bücher, das Göttinger Tageblatt kündigt Veranstaltungen an. „Das war früher undenkbar“ weiss Gerd weiter zu berichten.

Den ursprünglichen Zielen treu geblieben

Heute heisst der Buchladen zwar noch Rote Straße, befindet sich aber auf dem Nikolaikirchhof. Aus dem dunklen, schlauchartigen Geschäft ist eine helle, einladende Buchhandlung geworden. Auch heute gibt es noch Klassiker von Karl Marx und Theodor W. Adorno zu kaufen. Sie stehen im Regal zwischen neueren linken Büchern und dem aktuellsten Kassenschlager von Nick Hornby. Jedes andere Buch kann auf Wunsch bestellt werden. Im Keller kann der Besucher sich bei kostenlosem Kaffe die neuesten Zeitschriften und Broschüren durchlesen, die man teilweise in Göttingen sonst nirgends mehr bekommt. Der Buchladen hat es als einer der wenigen geschafft, seinen Zielen und Idealen aus der Gründerzeit trotz der vorhandenen Marktzwänge treu zu bleiben. „Wir sind da sehr stolz drauf, und würden den Laden sonst auch gar nicht mehr machen“ brüstet sich Gerd wohlwissend, dass er auch stolz auf das Göttinger Umfeld sein muss. „Das ist nicht nur unser Verdienst. Wir haben immer breite Unterstützung aus der linken Szene gehabt“. In vielen anderen Städten sei die weitere Existenz eines solchen Projektes nicht mehr denkbar. Göttingen ist und bleibt eine besondere Stadt.

Trotz der laufenden Wegrationalisierung kritischer Studieninhalte, der aktuellen Konzentrationswelle im Buchhandel und der geplanten Ansiedelung großer Buchhandelsketten in der Göttinger Innenstadt beantwortet der Buchhändler die Frage nach dem Fortbestand seines Buchladens erfreulich optimistisch. „Ich glaube, dass kleine engagierte Buchläden eher eine Chance haben als mittlere gesichtslose“ schätzt er den Göttinger Buchmarkt ein. Erst wenn die linke Szene sterben würde, wäre der Buchladen seiner Meinung nach in seiner Existenz bedroht. Dieses Szenario ist für Gerd jedoch weit weg: da die gesellschaftlichen Verhältnisse wie früher auch in der Zukunft Anlass für Protest geben werden, werde es auch den Buchladen Rote Straße weiter geben.

Anlässlich des 35. Buchladen Geburtstags führten wir im Jahr 2007 ein Interview mit Gerd.

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3 Kommentare auf "Eine Göttinger Institution – der Rote Buchladen"

  1. thin lyzi sagt:

    lol, monsters auf platz 10 der blogsportcharts.
    ich immerhin auf 62. 8D

    ps: ich mag buchläden^^

  2. hw sagt:

    Schöner Artikel! Was aber ist ein „Raubdruck“? Wird da der Drucker mit vorgehaltener Waffe — ach, ich mag es mir gar nicht ausmalen…. 🙂

  3. Eduard Bär sagt:

    So wie ne CD verbrecherisch vervielfältigen, nur mit ’nem Buch.

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