Klares Bekenntnis zur schwarzen Platte
von am 28. Mai 2008 veröffentlicht in Musik, Neu in dieser Stadt

Schallplatten, das sind die großen, runden, meist schwarzen Scheiben, auf denen sich gepresste Musik befindet. Seit Anfang Mai gibt es in Göttingen an neuer Stelle und mit neuem Besitzer den Plattenladen dis records wieder. Ein guter Anlass für Beleuchtung und Wiederentdeckung der so genannten Langspielplatte.

Am 25. April war der „Tag des geistigen Eigentums“, der so hieß, weil die Musikindustrie ihn so genannt hat. Diese schrieb aus dem selbsterschaffenen Anlaß einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem sie die immergleiche Leier von sich gab: „Internetpiraterie“ zerstöre, so der Tenor, den „Motor für Wachstum und Wohlstand“. Folglich solle Merkel ihre Bekämpfung zur „Chefsache“ erklären.

Sieben Tage später, am 2. Mai, eröffnete in der Göttinger Friedrichsstraße der Plattenladen dis records seine Türen neu. Das Fachgeschäft unter alter Geschäftsführung hatte im Februar das bisherige Ladenlokal in der Goetheallee geschlossen. Dem neuen Inhaber Bartek ist der pessimistische Tonfall der Plattenfirmen und Mainstreamkünstler nicht anzuhören. Ihm geht es vor Allem um eins: die Liebe zum Vinyl.

„Ich war früher selber Kunde bei dis records und dann habe ich dort meine Ausbildung gemacht. Als der alte Inhaber Christian aus privaten Gründen die Stadt verlassen wollte, hat er mich gefragt, ob ich den Laden übernehmen will. Und das war eigentlich schon immer mein Traum: ein eigener Plattenladen.“

Nach anfänglicher Skepsis begann Bartek, sich auf die Suche nach Startkapital zu machen, jedoch ohne Erfolg. Plattenläden seien ausgestorben, entgegnete man ihm. „Jemand fragte mich sogar, was einer machen solle, der schon alle Platten habe. Er dachte tatsächlich, Platten würden gar nicht mehr gepresst.“ Weil Bartek wusste, dass das nicht stimmt und er von seiner Idee überzeugt war, nahm er das Zepter selbst in die Hand und zog in das Cheltenhamhaus in der Friedrichsstraße.

DJs, Freaks, Fans

Aber wer kauft heutzutage eigentlich noch Platten? „Viele Leute, denen es wichtig ist, mehr als nur eine MP3 zu haben und das Cover zu schätzen wissen. DJs, Freaks, Fans“, zählt Bartek zu seinen Kunden wie auch sich selbst: „Es ist mir einfach wichtig, das Cover in der Hand zu haben.“ Jeder, der im Besitz einer colorierten Doppel-LP mit aufwendig gestaltetem, mehrseitigem Booklet ist, weiß, wovon er redet. Musik kann so viel mehr sein, als einfach nur bei Winamp auf „Play“ zu drücken.

Aktuelle Veröffentlichungen verbinden die analoge Schallplatte mit den digitalen Medien. Interpols „Our Love to Admire“ aus dem Jahr 2007 kam als Doppel LP und war dank des großen Formats in ein außerordentlich ansehnliches Coverartwork verpackt. Als Beilage erhielten die Käufer das Album wahlweise auf CD oder im MP3 Format. So war alles vereint: die Nähe zur Musik durch Vinyl, das Gefühl der Platte und das praktische Format für den MP3 Player.

Forward / Rewind

Kommt die Schallplatte wieder oder kommt sie nicht? Die Experten sind sich uneinig. Die LP habe noch eine kleine, treue Fangemeinde, spiele in der Betrachtung der Umsätze jedoch fast keine Rolle mehr, behaupet der Bundesverband Musikindustrie in seinem Jahreswirschaftsbericht 2007. Der Umsatzanteil der Langspielplatte liegt hier bei unter einem Prozent, während die CD auf satte 81 Prozent kommt. Anders sieht es im Land der „The-Bands“, Großbritannien aus: um 13% stiegen dort die LP-Verkäufe in der ersten Jahreshälfte 2007. Vor Allem die White Stripes haben auf der Insel das Vinyl wieder nach vorne geholt. Die Verkaufsschlager Kaiser Chiefs, Franz Ferdinand und die Arctic Monkeys setzen ebenso verstärkt auf das schwarze Gold.

Auch Bartek von dis-records sieht einen neuen Trend zur eigentlich alten Schallplatte. „Kunden, die früher CDs bei uns gekauft haben, kaufen sich das selbe Album jetzt auf Platte.“ Die Auswahl ist groß, alle Neuerscheinungen jenseits des Mainstreams sind auch auf LP zu haben und können von Bartek zumindest bestellt werden. Egal ob Independent, Hiphop, Soul oder Funk. Dort war die LP auch nie wirklich verschwunden, immer gab es pralle Mailorderkataloge und Menschen, die auf Konzerten aus ihren Plattenkoffern verkaufen.

„Generell ist kein Ende des neuen Höhenflugs der Schallplatte abzusehen. Das zeigen auch die Verkaufszahlen von Plattenspielern. So vertreibt etwa der Weltmarktführer Pro-ject Audio Systems jährlich rund 50.000 Geräte. Das ist eine beachtliche Zahl“, schätzt Thomas Epple, Inhaber der Online-Plattform Vinyltom, den Markt in einem Interview mit pressetext ein.

Geschichte wird gemacht

Rosige Aussichten für den neuen alten Plattenladen dis-records. Seine Geschichte begann irgendwann in den 90ern in der Goetheallee. Gereon Klug, heute Hamburger, Labelmacher („Nobistor: das Pofaltenlabel von der Elbe“) und immer noch Plattenladeninhaber („Hanseplatte“), erachtete es für angebracht, einen anständigen Plattenladen in Göttingen zu eröffnen. Einige Jahre später übernahm Christian Giedow die Führung, bevor er das Geschäft Anfang des Jahres auf gab. Mit Plattenläden wird man in Göttingen offenbar nicht alt.

Ein Argument hat die Erfindung von Thomas Alva Edison aus dem Jahr 1877 unantastbar an ihrer Seite: Festplatten geben mit der Zeit ihren Geist auf, CDs gehen nach 25 Jahren ohne fremdes Zutun kaputt. Langspielplatten hingegen halten bei pfleglicher Behandlung eine Ewigkeit. „Deine Platten kannst du nach 150 Jahren aus dem Keller holen und sie funktionieren immer noch“ weiß Bartek fest davon überzeugt, dass es immer Menschen geben wird, die sich die großen, runden Scheiben kaufen. Merkel, übernehmen sie!

Artikel teilen

2 Kommentare auf "Klares Bekenntnis zur schwarzen Platte"

  1. John K. Doe sagt:

    ist übrigens ein an peinlichkeit kaum zu übertreffendes stück klopapier. unterschrieben hat die elite der deutschen kunst. ein paar namen: tokio hotel, mikie krause, roger cicero, die söhne mannheims, ralph siegel, (die oberpeinlichen) revolverheld – aber auch musikalische bringer im linken hippiemilieu wie seeed, jennifer rostock und die unsäglichen culcha candela. im mainstream-pool deutscher musik gibt es nur eine handvoll cooler säue. und die coolste in dem zusammenhang bleibt für mich dieter bohlen! der hat den wisch nicht unterschrieben und vor monaten darauf hingewiesen, dass das geflenne aufhören soll, dass man junge leute nicht weiter kriminalisieren sollte und das am besten musik grundsätzlich online frei sein müsste. die leute rennen, wenn die musik was taugt, auf konzerte – so einfach kann das sein.

    im übrigen – das vinyl der gewinner bei dem ganzen geheule ist, ist für mich das größte. in dem bereich scheint sich die qualität der releases deutlich zu verbessern.
    bartek und seinem laden wünsche ich das allerbeste. also, plattenspieler besorgen und da hin gehen!!!!

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.