Göttinger Perspektiven auf den G20-Gipfel in Hamburg (III)
„Radikale queer-feministische Inhalte sichtbar machen“
von isawpn am 21. August 2017 veröffentlicht in Diskussion, Gespräche, TitelstoryIn Hamburg hat es heftig geknallt. Seither wird über Ursachen und Konsequenzen debattiert. Wir haben Menschen getroffen, die sich an Protesten gegen den G20-Gipfel beteiligt haben und sie nach ihren Motiven für den Protest und nach ihrem vorläufigen Fazit gefragt. Nachdem wir im ersten Teil ein Interview mit der redical M geführt haben und im zweiten Teil das Offene Treffen Göttingen unsere Fragen beantwortet hat, positioniert sich heute die queer-feministische Gruppe [femko] in der Debatte.
monsters: Warum habt ihr zum G20 nach Hamburg mobilisiert?
[femko]: Wir sehen im G20-Gipfel ein Symbol für die Herrschaftsstrukturen, gegen die sich unsere alltäglichen politischen Kämpfe richten – beispielsweise weltweite kapitalistische und neokoloniale Ausbeutung, patriarchale Strukturen und Rassismus.
Außerdem gibt’s bei solchen Großprotesten auch immer gute Möglichkeiten, unterschiedliche Perspektiven queer-feministischer und antikapitalistischer Kritik zu verbinden und sich mit linken Aktivist*innen aus anderen Regionen und vor allem auch international zu vernetzen. Cool war, dass die Strukturen vor Ort schon einen sehr breit angelegten Protest möglich machten. So fiel es leichter nach Hamburg zu mobilisieren.
Der G20 Gipfel und eine radikale Kritik war in Göttingen in den Woche vor dem 7./8.Juli kaum zu vernehmen. War es schwer in Göttingen für die Gipfelproteste zu mobilisieren?
Naja, das ist eine Frage der Perspektive. Wir hatten schon den Eindruck, dass es in vielen Zusammenhängen Interesse gab, sich frühzeitig zusammenzusetzen und zu gucken, wie man mobilisieren und auf Inhalte aufmerksam machen kann. Gleichzeitig würden wir auch sagen, dass die Resonanz geringer ausgefallen ist, als erwartet. Die Veranstaltungen vom Bündnis „Göttingen goes G20“, bei denen sich Interessierte informieren und auf unterschiedliche Protestmöglichkeiten vorbereiten konnten, haben einen guten Monat vor dem G20 begonnen. Auf einigen Veranstaltungen haben wir auf jeden Fall gemerkt, dass es eine Menge Aktionspotential gibt, auch an Blockaden teilzunehmen usw. Deshalb glauben wir nicht, dass es an Interesse mangelte.
Aber Leute, die sich noch nicht mit G20 beschäftigt haben oder noch nie auf einer großen Demo waren, wurden wahrscheinlich in dem Zeitraum nicht mehr erreicht. Vermisst haben wir dabei Infos und Aufrufe zu den Gipfelprotesten von großen Bildungsträgern, dem AStA oder anderen Uni-Institutionen.
Zu welchen Protestaktionen gegen den Gipfel in Hamburg habt ihr aufgerufen?
Nur zu sowas wie der „Protestwelle“ vor dem Gipfel oder „Hamburg zeigt Haltung“ mit SPD und Grünen haben wir explizit nicht aufgerufen, weil die sich in Abgrenzung zu der internationalen Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20!“ gegründet haben und sich positiv auf G20 beziehen. Wir haben also zu Aktionen aufgerufen, wie „Block G20“, Hafenblockade, den Aktionen von „Alles Allen“ oder der Refugee-Demo im Vorfeld des Gipfels.
Dabei haben wir vor allem mit dem queer-feministischen Bündnis aus Hamburg zusammengearbeitet, mit denen wir ja auch eine Mobilisierungsveranstaltung in Göttingen hatten. Wir finden es sehr wichtig, innerhalb solcher großen Proteste radikale queer-feministische Inhalte sichtbar zu machen und uns abzugrenzen von pseudo-feministischen Vereinnahmungen wie sie beim W20, diesem Frauengipfel, gemacht wurden. Darüber hinaus haben wir in den selbstorganisierten FrauenLesbenTrans*-Strukturen eine gute Aktionsgrundlage gehabt.
Würdet ihr den Verlauf eurer Aktion als Erfolg werten? Inwiefern musstet ihr spontan auf Ereignisse und Dynamiken vor Ort reagieren?
Wir sehen es auf jeden Fall als Erfolg, dass der reibungslose Ablauf des Gipfels an vielen Stellen durch Blockaden gestört wurde, z.B. beim Transfer der Gipfeldelegationen. Und, dass die blaue Zone als protestfreier Raum nicht durchgesetzt werden konnte. Außerdem dürfte jetzt klar geworden sein, dass ein solcher Gipfel in einer Großstadt massenhaften Widerstand mit sich bringt. Für uns war es auch sehr empowernd, zu sehen, dass so viele Menschen trotz der vielen Schikanen im Vorfeld nach Hamburg gekommen sind. Und, dass selbst die massive Polizeigewalt und das Aushebeln von Grundrechten durch Politik und Polizei diesen Protest nicht brechen oder spalten konnten.
Gleichzeitig fällt es uns schwer, eine Erfolgsbilanz zu ziehen, wenn es so viele Verletzte gab und immer noch Menschen in Hamburg im Knast sitzen.
Du hast nach spontanen Reaktionen gefragt: Naja, die brauchte es natürlich permanent, angefangen bei der rechtswidrigen Verhinderung der Camps. Genauso musste auf die Gewaltorgien der Polizei reagiert werden. Zum Beispiel am Donnerstag bei der „welcome to hell“-Demo haben sich einfach mal Zehntausende Leute nach der gewaltvollen Zerschlagung der Demo erneut zusammengefunden, um gegen diese autoritäre Scheiße auf die Straße zu gehen. Das zeigt auf jeden Fall die Motivation und Stärke der Protestierenden.
Die Polizei konnte Handlungsmacht weit über das gewohnte Maß hin für sich beanspruchen. Wie habt ihr das polizeiliche Auftreten wahrgenommen? Inwiefern ist es richtig, von einer neuen Dimension von Polizeigewalt zu reden?
Das polizeiliche Auftreten haben wir als sehr aggressiv und eskalierend wahrgenommen. Wie massenhaft Leute mit Pfefferspray, Schlagstöcken usw. von Bullen attackiert und verletzt worden sind, das war schon heftig zu erleben. Beispielhaft dafür ist die „welcome to hell“-Demo: Hier hat die Polizei an einer Stelle in die wartende Demonstration geknüppelt, wo es für die Menschen keine Fluchtmöglichkeiten gab. Damit hat sie Tote in Kauf genommen. Denn dass es nicht zu einer Massenpanik kam, ist nur der Besonnenheit und der Solidarität unter den Demonstrierenden zu verdanken.
Dieses Auftreten der Polizeieinheiten ist das Ergebnis von immer mehr Macht, die der Polizei in den letzten Jahren verliehen wurde. Wir denken da u.a. an die neuen Gesetze zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, die polizeilicher Willkür bei Demonstrationen Tür und Tor öffnen. Das Hamburger Bullenszenario und der mediale Aufschrei über angebliche Gewalt gegen Polizeibeamte und das gleichzeitige Verschweigen bzw. Leugnen von Polizeigewalt sind das Spiegelbild einer sich nicht erst kurz vor dem G20-Gipfel nach rechts verschiebenden Gesellschaft. In dieser werden Rechtsstaatlichkeit – wie auch immer diese aussehen mag – und Versammlungsfreiheit immer weiter ausgehöhlt.
Und müsste die Linke nicht auch stärker in den Blick nehmen, dass die Polizei immer stärker als eigenständige politische Akteurin auftritt?
Die mediale und polizeiliche Kampagne zielt ja nun vor allem auf die Gewaltfrage. Inwiefern muss die Linke dazu Stellung beziehen?
Sicher ist es wichtig, sich über sinnvolle Aktionsformen Gedanken zu machen. Aber dass sich jetzt plötzlich alle zu eingeschlagenen Fensterscheiben und kaputten Bankautomaten verhalten sollen, während immer noch Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken, kotzt uns an. Zurzeit ist gerade an den NSU-Urteilen zu sehen, wie viel Wert zum Beispiel Menschenleben beigemessen wird: den 832.000€ für alle Angehörigen der 10 Mordopfer zusammen stehen 40 Mio.€ Entschädigung für abgebrannte Autos und Umsatzeinbußen in Hamburg gegenüber.
Der Begriff Kampagne erfasst vielleicht schon ganz gut, was da gerade passiert. Da werden Polizei-Tweets als Berichterstattung eins zu eins übernommen und einfach zur Wahrheit erklärt. Die fake news, die die Polizei während des Gipfels verbreitet hat, sind das beste Beispiel dafür, dass das weder neutrale Informationen noch Wahrheiten sind. Mit den gefälschten Zahlen zu verletzten Polizeibeamt*innen z.B. wird eine perfide Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Es geht auch darum, Polizeipropaganda als solche zu markieren und anzugreifen.
Es gibt zwar eine gewisse Empörung bezüglich der polizeilichen fake news und es werden auch immer mehr Fälle von Polizeigewalt in Hamburg öffentlich gemacht. Der Aufschrei hierüber ist aber minimal im Vergleich zu der inhaltslosen Effekthascherei der Berichterstattung über den Gipfel-Freitag mit dem angeblichen ‚Bürgerkrieg‘ in Hamburg. Auch da braucht es eine noch stärkere Gegenöffentlichkeit, Solidaritätskampagnen etc. Unfassbar finden wir auch die gezogenen Vergleiche von ‚Linksextremismus‘ und rechtem Terror oder dem IS. Diese Relativierung von gezielten Morden des NSU oder von islamistischen Anschlägen, bei denen Dutzende Menschen getötet werden, ist einfach widerlich.
Wie wichtig war der G20-Gipfel für euren Protest? Wie sähe ein guter Gipfel aus?
Naja, es ist ja nicht so, dass wir sonst nichts gegen die herrschenden Ungerechtigkeiten tun würden oder unser Protest, den wir auf die Straße bringen, nach einer schlichten Kosten-Nutzen-Rechnung funktioniert. Wenn es darum geht, welche Rolle der Gipfel für uns im Nachhinein spielt: Für kommende Aktionen haben wir viel gelernt und uns vernetzt. Solidarität ist Praxis geworden.
Zur zweiten Frage können wir sagen: Wir brauchen diesen G20-Gipfel nicht und er gehört abgeschafft, weil es in diesen neokolonialen kapitalistischen Verhältnissen immer ein Gipfel der Herrschenden sein wird, der Ausbeutung und Unterdrückung fortschreibt.
Ist der Verlauf des G20-Gipfels und das Fehlen linker Deutungshoheit in einem Großteil der Medien und der Zivilgesellschaft eine große Gefahr für eine schon bereits marginalisierte, politische Linke?
Wie geht es mittel- und langfristig mit der Linken weiter?
Meinst du, was wir aus den Gipfelprotesten für linke Politik mitnehmen? Ein wichtiger Punkt ist für uns, die starke Solidarität, die wir in Hamburg erlebt haben. Das möchten wir gerne mit in unsere weiteren Kämpfe nehmen. In diesem Zusammenhang schicken wir auch ein großes Danke an die Aktivist*innen in Hamburg! Wir waren wirklich beeindruckt, was da an Support-Strukturen aufgebaut und über Tage aufrecht erhalten wurde. Jetzt gilt es erst recht, diese Projekte zu verteidigen und sich gegen Repressionen zu wehren.
In der Vorbereitung auf den Gipfel und auch vor Ort hat sehr viel Vernetzung stattgefunden, wovon sicherlich einiges bestehen bleibt bzw. Neues daraus entsteht. Für uns ist für eine emanzipatorische Bewegung wichtig, verschiedene Kämpfe, die sonst klassischerweise eher nebeneinander stehen, miteinander zu denken. Konkret sind z.B. die Proteste von Geflüchteten ein enorm wichtiger Teil linker Kritik. Wir finden es auf jeden Fall total wichtig, diesen scheiß Gipfel nicht einfach stehen zu lassen, sondern an emanzipatorische Kämpfe anzuknüpfen. Dafür braucht es diese linke Solidarität, trotz aller Differenzen.
Wir danken euch.