Verhandlung wegen § 113 vertagt
von Lilli am 19. April 2007 veröffentlicht in Lokalpolitik„Soziale, emanzipatorische Bewegungen sind darum bemüht, die eigene Handlungsfähigkeit und in gleichem Maße auch die der anderen Menschen zu erweitern. Hierarchische und entfremdende Strukturen stehen da im Weg. In diesem Sinne kann auch staatliche Repression nicht geduldet werden. Vielmehr geht es darum, sich gegen die versuchte Kriminalisierung von sozialen und politischen Bewegungen direkt und solidarisch zu wehren – im Alltag, im Kontakt mit Behörden und auf der Straße.“
So lautet ein Auszug aus der Prozesserklärung des Angeklagten Marcus B. Ihm wird vorgeworfen, er habe sich am 28. Oktober des vergangenen Jahres des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte Schuldig gemacht. Zum dritten Mal innerhalb eines Jahres hielt an diesem Tag die rechtsextreme Szene in Göttingen eine Kundgebung ab. Damals gingen einige Tausend Gegendemonstranten auf die Straße um gegen Nationalsozialistisches Gedankengut Gesicht zu zeigen. In diesem Zusammenhang kam es auch zu zahlreichen Festnahmen und Anklagen.
Marcus B. bekam einen Strafbefehl über 20 Tagessätze à 15 €, gegen den er Widerspruch einlegte. Daraufhin wurde er zu einer Gerichtsverhandlung vorgeladen, die heute Mittag im Amtsgericht stattfand. Bei der Hauptverhandlung hatte der Angeklagte zu Beginn des Prozesses die Möglichkeit sich zu dem Vorwurf zu äußern; stattdessen hatte er eine Erklärung verlesen, in der er das Vorgehen von Polizei und Justiz im Allgemeinen verurteilte.
Die Anklage gegen den 35 jährigen lautete „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ nach § 113 des Strafgesetzbuches. Er soll einer Räumung des Bahnhofgebäudes durch Polizeibeamte nicht Folge geleistet haben, in dem er sich gegen die Polizeiketten stemmte und einem Polizeibeamten bei dem Versuch ihn raus zu schieben die Hände weg geschlagen habe.
Es waren vier Zeugen geladen, alles Polizeibeamte, die die angebliche Straftat beobachtet haben wollen. Spannend wurde es bei der Aussage einer Polizeibeamtin: auf die Frage , ob sie sich im Vorfeld der Verhandlung mit den Kollegen über den Sachverhalt unterhalten habe, antwortete sie zunächst mit nein, doch nach mehrmaligem Nachfragen musste sie zugeben, es doch getan zu haben.
Am Ende der Verhandlung sagte der Richter, er könne sich vorstellen die Anzeige gegen eine Geldauflage fallen zu lassen; doch dies wurde von der Verteidigung abgelehnt, da sie auf Freispruch plädiert und diese Regelung ein Mindestmaß an Schuld voraussetze.
Die Staatsanwältin hatte keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen und rückte in ihrem Plädoyer von keiner der Anklagepunkte ab. Sie forderte als Strafe wie schon im Strafbefehl vorgesehen 20 Tagessätze, allerdings mit einer Angleichung der Höhe an den Verdienst des Angeklagten auf 40 € pro Tag.
Die Verteidigung sah es anders. Der Rechtsanwalt Johannes Hentschel betonte noch einmal, dass eine Zeugin vor Gericht gelogen hat und plädierte weiterhin auf Freispruch aus zwei Gründen:
Gehe man von dem Verfahren aus, so sei klar geworden, dass sein Mandant keine Gewalt angewendet habe. Selbst der Polizeibeamte habe bestätigt, dass das Wegschlagen seiner Hände nicht wehgetan habe und er sich auch weiter nicht bedroht gefühlt habe. Damit sei der Tatbestand des § 113 nicht erfüllt, denn dieser sehe eindeutig vor, dass der Angriff für den Beamten körperlich spürbar gewesen sein muss. Bei dem Vorfall handele es sich lediglich um passiven Widerstand.
Viel interessanter waren allerdings seine Ausführung zu der gesamten Situation. Hentschel wies darauf hin, dass die Versammlung im Bahnhof auf der sich der Angeklagte befand nie offiziell aufgelöst wurde und so die Räumung und alle Platzverweise widerrechtlich waren, denn Maßnahmen im Rahmen des Bundespolizeigesetzes dürfen nur dann angewendet werden. So entschied bereits das Gericht in Braunschweig im vergangenen Jahr, als um eine ähnliche Situation ging. Die Versammlung dort war nicht angemeldet, es wurden Flaschen geworfen und die Räumung wurde vorschriftsmäßig dreimal laut und deutlich durchgesagt. Trotzdem war die Räumung rechtswidrig, da die Versammlung vorher von der Polizei nicht aufgelöst worden war.
Von diesen Ausführungen waren sowohl der Richter als auch die Staatsanwältin überrascht.
Letztendlich wurde die Verhandlung vertagt, um erneut einen Polizeibeamten zu befragen, ob die Versammlung wirklich nicht aufgelöst worden war, wie es zur Zeit scheint. Wenn dem so sei, so der Richter, wird der Angeklagte freigesprochen, unabhängig von den Vorfällen.
Die Verhandlung wird am 09. Mai um 11 Uhr im Amtsgericht fortgesetzt.
Coole Sache! Hoffen wir auf einen Freispruch, sieht ja ganz danach aus. Was wirklich interessant zu sein scheint, ist die Beurteilung der Gesamtsituation, um die es hier ging. Die eingesetzten BeamtInnen handelten nach dem Polizeigesetz, obwohl es sich um eine Versammlung handelte. Dann darf die Polizei aber eben nicht nach dem Polizeigesetz handeln, sondern muss sich an das Versammlungsgesetz (geht als Sonderordnungsrecht dem Nds. Polizeigesetz vor) halten. Das Handeln der Polizei scheint hier wirklich rechtswidrig gewesen zu sein. (Gegen rechtswidriges Handeln wäre dann der sog. Widerstand quasi gerechtfertigt, der erhobene Tatvorwurf entfällt.) Entweder sind die BeamtInnen schlecht geschult, und sie erkannten nicht, dass sie hier eine Versammlung vor sich hatten. Oder aber, was nicht abwegig ist, sie wussten durchaus, was Sache war, handelten aber trotzdem so . Und das ist genau der Punkt: sie machen es einfach. Dies lässt sich häufig beobachten: PolizeibeamtInnen greifen in Rechte ein, auch wenn dies (mehr oder weniger offensichtlich) rechtswidrig ist. Wichtig wäre, sich stets dagegen zur Wehr zu setzen. Da das in der konkreten Situation oft schwierig ist, auch eben im Nachhinein. Gerade in solchen Prozessen kann polizeiliches Handeln vorgeführt und bloßgestellt werden (wie hier ja geschehen). In der Summe könnte solches Agieren dazu führen, dass ein gewisser Druck ausgeübt wird, der zukünftig allzu krasse polizeiliche Auswüchse verhindern mag. Ähnliches lässt sich im Wendland beobachten.
Leider sind in Göttingen ja einige neue Polizeipraxen im Begriff, sich durchzusetzen. Zur Demo am 28.10.2006 konnte z.B. vermehrt beobachtet werden, dass DemoteilnehmerInnen wegen ihres Schuhwerks von der Demo ausgeschlossen wurden, was so vorher nicht vorgekommen war. Erfolgreiches juristisches Vorgehen könnte dem evtl. ein wenig Einhalt gebieten…
Bin gespannt auf den 09. Mai.
Auch bezüglich der Ingewahrsamnahmen, z. B. wegen des Tragens von Springerstiefeln mit Stahlkappen sind noch mehrere Beschwerdeverfahren anhängig. In erster Instanz wurden die Beschwerden zurückgewiesen, da dies aber offenbar gegen die geltende Rechtsprechung geschah, werden wohl auch die nächsten Instanzen bemüht werden. Die Rote Hilfe beobachtet die Fälle weiter.
Die Verhandlung wurde schon wieder vertagt, es geht näxten Mittwoch (16.05.) um 11:30 h weiter. Diesmal wurde ein kurzes Polizeivideo gezeigt und ein Polizeizeuge wurde erneut gehört, allerdings berichtete er seltsamerweise andere Dinge als beim ersten Prozeßtag. Beim Polizeivideo konnte die Zeiteinblendung nicht aktiviert werden, weil die Batterie der Fernbedienung leer war. Der Richter wollte aber unbedingt wissen, wann genau das da gewesen war, deshalb vertagte er die Verhandlung erneut. KeineR der Anwesenden konnte sich vorstellen, warum denn dieser Zeitpunkt jetzt so wichtig sein soll. Eigentlich sehr seltsam, diese ganze Prozeßführung. Also, näxten Mittwoch auf ein Neues…