Mi. 30.03.: Vortrag „Die Revolten in Nordafrika und der europäische Krieg gegen Flüchtlinge“
von Rakete am 24. März 2011 veröffentlicht in Diskussion, Theaterkeller, Tipp!, VortragVortrag und Diskussion mit Harald Glöde von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Berlin. Der Ankündigungstext:
Die Revolten in Nordafrika haben für ein Ende der Tyrannen in Ägypten und Tunesien gesorgt. Nach dem Sturz der Diktatoren Mubarak und Ben-Ali haben sich die Proteste für Freiheit und bessere Lebensbedingungen in zahlreiche weitere arabische Länder wie Libyen, Bahrain, Jemen und Syrien ausgeweitet. Hierzulande vielverbreitete Vorstellungen über die Menschen in den arabischen Staaten sind durch die Bilder von und Interviews mit den Revoltierenden als rassistische Klischees entlarvt worden.
Die EU-Regierungen haben die nordafrikanischen Machthaber jahrzehntelang hofiert und gestützt. Passend dazu haben sie sich auch in den letzten Wochen zögerlich bis bremsend gegenüber den Aufstandsbewegungen verhalten. Dahinter stecken starke ökonomische Interessen, aber auch die sorgsam gepflegten Kollaborationen in der Kontrolle von Flüchtlingsbewegungen. Despoten wurden umso wichtigere „Partner“, je effektiver sie als Wachhunde für das vorverlagerte EU-Grenzregime fungierten. Migrationsbewegungen aus Afrika sollten um jeden Preis eingedämmt werden. Die italienische Regierung zahlt an Libyen seit 2008 insgesamt 5 Milliarden Dollar für „mehr Gas, mehr Benzin, weniger illegale Einwanderer“, wie Berlusconi es auf den Punkt brachte.
Tausendfacher Tod und tausendfaches Leid, nicht mehr nur auf See, sondern auch in den Wüsten und Internierungslagern, waren und sind die Folgen dieser menschenverachtenden Komplizenschaft. Die EU hat beispielsweise den Regimen in Libyen und Tunesien zur Flüchtlingsbekämpfung zig Millionen Euro gezahlt und Überwachungstechnik für die Grenzen geliefert – „gute Geschäfte“ auch für deutsche Konzerne. Die arabischen Revolutionen markieren möglicherweise das Scheitern dieses brutalen Ausgrenzungsprojektes der EU im Mittelmeerraum. Allerdings bemüht sich die EU bereits jetzt, eine Neuauflage des Anti-Flüchtlingsdeals mit einer neuen libyschen „Übergangsregierung“auszuhandeln.
Mit der bewusst medial geschürten Hysterie vor nunmehr drohenden „Flüchtlingsströmen“ von Millionen Menschen, die auf dem Weg nach Europa seien, wird die weitere Verschärfung und Militarisierung des EU-Grenzregimes gerechtfertigt. Dieses Kontrollregime wird seit 2004 durch die „Grenzschutzagentur“ FRONTEX verkörpert. FRONTEX koordiniert und erweitert die nationalen Kontrollsysteme, die seit Jahrzehnten auf Abschreckung und Kriminalisierung der Migrationsbewegungen zielen.
Mit unserer Veranstaltung beleuchten wir die dramatische Situation von Migrant_innen in Nordafrika, die Ignoranz und den Kampf des Westens gegenüber den Flüchtlingen und den Widerstand gegen diese menschenverachtende Politik.
Mittwoch, 30. März 2011 | 20:30 Uhr | Theater-Keller (Geismarlandstraße 19)
Auf Indy gibt’s zu der Veranstaltung eine Ankündigung mit einem Erklärungsversuch der „Teilnahmslosgikeit“ der Linken.
Zitat daraus:
Das (Nicht-)Verhalten der Linken in Deutschland (in unserem Fall: Göttingen) wurde schon mehrfach kritisiert (siehe u.a. http://de.indymedia.org/2011/03/301653.shtml).
Hier vor Ort gab es bislang eher spärliche Mobilisierungen (siehe http://de.indymedia.org/2011/02/301530.shtml). Die „Teilnahmslosigkeit“ vieler Linker scheint in einem Mangel an Verständnis der Entwicklungen im arabischen Raum begründet. Es dürfte sich hier nicht nur um „zufälliges“ Unwissen handeln, sondern vermutlich auch „gezielte Ignoranz“, die dem Wiederaufleben orientalistischer Denkmuster geschuldet ist.
Malte Meyer hat in einem lesenswerten Artikel im aktuellen ak [=analyse&kritik] (ak 559, vom 18.03.11) unter der Überschrift „Brotaufstand, nicht Web 2.0“ die Wahrnehmungsverzerrungen der Linken bei der Betrachtung der Aufstände beschrieben: „Es leuchtet vielleicht noch ein, dass sich in Wohlstandsghettos lebende westliche JournalistInnen mit Vorliebe auf Akteure konzentrieren, die ihnen vertraut vorkommen – zumindest was das Versenden von Twitter-Nachrichten anbetrifft. So werden jedoch selbst revolutionäre Prozesse zu einer Affirmation des Status quo. Auch der Mainstream der metropolitanen und insbesondere deutschen Linken schein[t] im Gefolge von 9/11 den Anspruch aufgegeben zu haben, soziale Bewegungen und Klassenauseinandersetzungen in der arabischen Welt überhaupt wahrzunehmen. Möglicherweise hat das orientalistische Stereotyp von der ‚arabischen Straße‘, das Edward Said in Hinblick auf seine historischen Voraussetzungen und politischen Implikationen kritisiert hat, in den letzten Jahren auch von dem einen oder der anderen Linken Besitz ergriffen (ak 558). Die Umbrüche zwischen Casablanca und Kairo helfen nicht zuletzt der hiesigen Linken, diesbezügliche Irrtümer und Versäumnisse selbstkritisch aufzuarbeiten, sowie unterentwickelte Kenntnisse auf Höhe der politischen Zeit zu bringen.“
http://de.indymedia.org/2011/03/303699.shtml