Innenminister Schünemann nimmt Stellung
Pfeffersprayeinsatz mit Nachspiel
von Harvey am 21. Februar 2011 veröffentlicht in Polizei & Justiz, TitelstoryAm 22. Januar wurde in Göttingen demonstriert. Die Polizei setzte dort auch in größerem Stil und scheinbar wenig zielgerichtet Pfefferspray ein. Es gab mehrere Verletzte. Eine „kleine Anfrage“, gestellt von Patrick Humke (LINKE), war das parlamentarische Nachspiel im Niedersächsischen Landtag. Der Innenminister Uwe Schünemann antwortet nun mit Schuldzuweisung an die verletzten Demonstranten und Herunterspielen der Gefahren des Einsatzmittels „Pfefferspray“.
Pfefferspray wird mit Reizstoffsprühgeräten versprüht, die eine Reichweite von bis zu fünf Metern haben. In den Herstelleranweisungen enden die Ratschläge zu erster Behandlung nach dem Aussetzen mit Pfefferspay meist damit, dass geraten wird, einen Arzt aufzusuchen. Neben starker Reizung („Brennen“) der Haut kann es zu Atemproblemen sowie mehrminütiger Lidverkrampfung am Auge kommen. Die Wirkung setzt nach wenigen Sekunden ein. Mehr Informationen im Wikipedia-Artikel „Pfefferspray“.
Einsatz durch die Polizei
Neben der Berechtigung, überhaupt Pfefferspray bei sich zu tragen, gibt es keine besonderen Vorschriften, was Pfefferspray angeht. Wie alle Mittel des „unmittelbaren Zwangs“ – zu dem als noch schwereres Mittel auch Schusswaffenbenutzung gehört – muss der Einsatz aber „verhältnismäßig“ sein. Dazu muss er das mildeste Mittel sein, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Der Polizeibeamte muss also konkret abwägen zwischen einem Antippen, leichten Drücken, einem Stoß, einem Schlag – ggf. mit dem Schlagstock – und dem Einsatz von Pfefferspray oder einer Schusswaffe. Pfefferspray genießt dabei offiziell den Ruf, „mild“ zu sein, wohl „milder“ als ein Schlagstock oder Fausthieb. Eigentlich ist die Anwendung des „unmittelbaren Zwangs“ auch vorher anzudrohen. Das allerdings kennt man wohl höchstens von Blockaden (dort die Räumungsandrohung), Wasserwerfereinsätzen oder aus dem Krimi als „…oder ich schieße“. Und richtig: Unter vielen Umständen kann die Androhung auch unterbleiben, wenn es denn nur eilig genug ist.
Neben der Durchsetzung von polizeilichen Maßnahmen ist der Einsatz rechtlich auch zulässig zur Notwehr oder Nothilfe. Darauf will wohl auch Schünemann hinaus, wenn er erklärt, dass am Leinekanal Polizisten ihren Kollegen aus einer Notsituation helfen wollten, oder wenn er stets bemüht ist, vorangegangene Angriffe gegen Polizisten aufzuzählen.
So sei Pfefferspray keine Waffe, betont Schünemann, sondern ein „Hilfsmittel der körperlichen Gewalt“. Dazu verweist er auf die Systematik des Gesetzes, genauer des Polizeirechts (§69 Nds. SOG). Denn er wird wohl wissen, dass Pfefferspray durchaus eine Waffe ist: Privatpersonen, die anders als Polizisten dem Waffengesetz unterworfen sind, müssen bei Pfefferspray die waffenrechtlichen Vorschriften beachten. Schünemann möchte aber wohl den Eindruck vermeiden, hier sei gegen Demonstrierende mit Waffengewalt vorgegangen worden.
Um den Einsatz des Pfeffersprays zu legitimieren, holt Schünemann in seiner Antwort zunächst einmal weit aus und schildert die Demonstration vom 22. Januar. Dabei schwankt er zwischen polizeilicher Lagebewertungs-Sprache und einem Unterton politischer Verurteilung der Versammlung. Er verweist auf – zum Zeitpunkt der Antwort – drei Strafverfahren, die eingeleitet wurden.
Obwohl zur Beantwortung der gestellten Frage irrelevant, bringt er den Brandanschlag im Ausländeramt ins Spiel: Im Rahmen der Ermittlungen dazu sei die DNA-Entnahme angeordnet worden, die Thema der Demonstration war. Das ist schon erstaunlich, da die Ermittlungen zu diesem längst eingestellt sein sollten. Es passt aber zu dem Vorwurf, dass die Staatsanwaltschaft die Gründe für die DNA-Entnahme nur vorgeschoben habe und in Wirklichkeit immer noch die DNA-Spuren für die offiziell beendeten Ermittlungen benutzen wollte. Auch eine falsch zusammengefasste Schilderung des Versuchs, die DNA-Entnahme noch per Verfassungsbeschwerde zu kippen, kann Schünemann sich nicht verkneifen.
Zum Pfeffersprayeinsatz selbst verweist Schünemann auf die Demonstranten: So habe die Polizei den Demonstrationszug vor der Staatsanwaltschaft gestoppt, sei dann aber von Demonstrationsteilnehmern angegriffen und auch mit Fahnenstangen geschlagen worden. Hier seien die Reizstoffsprühgeräte gezielt gegen einzelne Demonstrationsteilnehmer eingesetzt worden.
Am Leinekanal seien dann wenig später Beamte an das Brückengeländer gedrängt worden. Andere Beamte hätten ihnen zu Hilfe kommen wollen und haben dabei körperlichen Zwang eingesetzt – gemeint ist hier wohl, dass sich die Beamten eine Schneise durch die Versammlung geprügelt haben. Dabei sei es wiederum zu Widerstandshandlungen einzelner Versammlungsteilnehmer gekommen. Daraufhin seien Pfefferspray und Schlagstock eingesetzt worden – und die Angriffe damit beendet worden.
Gezielter Einsatz gegen Störer? Bild aus der Demonstration am 22. Januar.
Kommentar
Schünemann hält sich nicht lange damit auf, sich mit eventuellen Gefahren von Pfefferspray auseinanderzusetzen. Ohne die Worte auszusprechen bringt er es aber fertig, durch bestimmte Auslassungen einerseits, Verallgemeinerungen andererseits zu sagen: „Selber schuld, wer Pfefferspray abbekommt.“
So, wie Schünemann die Einsatzgeschichte erzählt, werden ihm das die anderen Parlamentarier wohl auch abgenommen haben, insofern sie denn zugehört haben. Freilich nur dann, wenn sie selbst nicht auf besagter Demonstration waren.
Natürlich kann es schon sein, wenn Schünemann erklärt, dass sich Polizeibeamte auf der Leinekanalbrücke bedrängt gefühlt haben. Dass sich dann der Pfeffersprayeinsatz aber „gegen die unmittelbar agierenden Störer“ gerichtet hätte – das ist dann doch sehr pauschalierend dafür, dass die heranstürmende Truppe sich schlicht den Weg freigeräumt hat und dabei nicht besonders sorgfältig unterschieden hat, wer nun gerade Faust, Pfeffer oder Schlagstock zu schmecken bekam.
Rhetorisch verwendet Schünemann noch einige Worte darauf, das Anliegen der Demonstration zu diskreditieren – wohl um bürgerlichen Bedenken gegenüber allzu brutalen Polizeieinsätzen zu begegnen. Sein als „Law and Order“ einsortierter politischer Kurs zeigt sich dabei einmal öfter als kleinbürgerlich-konservatives Mantra, dass Polizeigewalt entweder nicht existiert oder aber die richtigen trifft.
In der kleinen Anfrage widmet sich ein weiterer Teil der Fragen dann der Gefährlichkeit von Pfefferspray. Hier antwortet Schünemann dann beschwichtigend: Er verweist darauf, dass es „in Niedersachsen“ nie zu längerfristigen Gesundheitsschäden oder sogar Todesfällen gekommen sei. Die Eingrenzung auf das Bundesland wird wohl bedeuten, dass es Schünemann trotz allem klar ist, dass es außerhalb Niedersachsen durchaus dazu kam – auch zu Todesfällen. Darauf deutet auch die spätere Einschränkung hin, die er macht: Die Risikobewertung ginge von einem guten Gesundheitszustand der betroffenen Person aus – und davon, dass sie nicht berauscht ist. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hatte nämlich bereits im November festgestellt, dass es bekannte Todesfälle im Zusammenhang mit Pfefferspray gebe und dazu auf einen Bericht des SPIEGEL verwiesen.
Schünemann versichert außerdem, dass alle Polizisten, die mit Pfefferspray ausgerüstet sind, auch über eine entsprechende Ausbildung verfügen und im Notfall Erste Hilfe leisten könnten. Insgesamt sieht das Innenministerium keine Veranlassung, den „erforderlichen Einsatz von Pfefferspray einzuschränken“.
Der Innenminister nennt in seiner Antwort auf die kleine Anfrage aber auch eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt sowie eine Klage gegen eine Personalienfeststellung. Zumindest in einem Fall wird auch verwaltungsgerichtlich gegen den Einsatz von Pfefferspray geklagt. Neben dem parlamentarischen Nachspiel wird es also auch noch ein juristisches Nachspiel der Demonstration geben.
„Er verweist darauf, dass es „in Niedersachsen“ zu längerfristigen Gesundheitsschäden oder sogar Todesfällen gekommen sei.“
ich glaub, da fehlt ein „nicht“ oder „nie“ oder so…
Tja, was soll Schünemann als Law-and-Order-Innenminister auch anderes sagen?
Gut, dass die Fraktion der Linken diese kleine Anfrage gestellt hat. Macht sie doch zumindest deutlich, dass auch das Innenministerium weiterhin die Anordnung zur DNA-Entnahme in Kontext mit der Verpuffung im Ausländeramt setzt. Das kann juristisch vielleicht für den Genossen im Kampf um offizielle Löschung der DNA-Probe noch nützlich sein.
Ansonsten ist ja der Verweis des Innenministers auf den §69 SOG ganz putzig. Schon im Vorfeld der Verabschiedung des SOG wurde u.a. diese Passage, wo willkürlich zwischen „Hilfsmitteln“ und „Waffen“ unterschieden wird, von juristischen Gutachtern kritisiert. Soweit ich mich recht erinnern kann, war
damals die Kritik, dass Sprengmittel (Sprengstoffe sowie damit befüllte Sprengkörper) lediglich unter „Hilfsmittel“ laufen. (btw: Zumindest war das damals noch offiziös als „Mehrzweckrettungsstock“ firmierende Tonfa bereits als Schlagstock in die Kategorie „Waffen“ subsumiert und nicht mehr reines „Hilfsmittel“.)
Jedenfalls ist bei genauerer Betrachtung auch für Laien die Distanz zwischen Fesseln/Dienstpferden/Dienstfahrzeugen zu Reizstoffen weitaus größer als zwischen Schlagstock/Pistole/Revolver zu Reizstoffen. Dem trägt das Gesetz natürlich bisher nicht Rechnung.
Wäre übrigens mal interessant, wieviele „Hilfsmittel“ auf der besagten Demo zur „Anwendung unmittelbaren Zwangs“ von den Bütteln in Gesichter von Genoss_innen entleert wurden.
er ist und bleibt ne freche sau, dieser innenminister! (oder gilt das jetzt als persönliche beleidigung und wird dann gelöscht??? zur sicherheit: ist nicht beleidigend, sondern verniedlichend gemeint …)
1. das argument, in nds. sei es nicht zu „längerfristigen gesundheitsschäden oder sogar todesfällen gekommen“, hat ungefähr so viel gehalt, wie wenn fjs 1962 erklärt hätte, dass in der brd bisher noch kein starfighter abgestürzt sei, oder gorbi anfang 1986, dass bisher alle sowjetischen atomkraftwerke keinen super-gau gehabt hätten. nach den inzwischen zahlreichen dokumentierten todesfällen in d-land und auch anderswo, insbesondere usa (sucht selbst, gibt nen haufen artikel dazu im web), müsste sowas selbst im landtag in den bürgerlichen fraktionen als hohn wahrgenommen werden. aber wahrnehmen oder wahrnehmen wollen bleibt ja immer so ne sache …
2. hätte sich die „freche sau“ (zitat: mamabär) wenigstens mal die mühe machen können, die zur zeit „offizielle“ lesart von bullen, h.-h- h. und gerichten bezüglich brand im landkreis, dna-entnahme etc. zu recherchieren – da wird ja alles durcheinander geworfen. und gleichzeitig drängt sich der verdacht auf, dass sowohl bullen- wie auch justizmaßnahmen gegen den (solidarische grüße!), mit dem „dunklen teint“, politisch bis ganz nach oben abgepsrochen sind. oder aus welchen anderen gründen sollte sich sonst so eine argumentation ergeben, wenn normalerweise die untergebenden behörden einfach ihren kenntnisstand an das ministerium weitergeben, damit die anfrage beanwortet werden kann?
3. sollten jetzt nur noch erwachsene personen mit „gutem gesundheitszustand“ ihr recht auf öffentliche versammlungen wahrnehmen? die anderen wären ja durch pfefferspray stark gefährdet? so hört sich jedenfalls die freche agrumentation an. vor der demo also check bei dem arzt machen und 10 euro löhnen oder die krankenkasse fragen, ob mensch bei dem risiko da hin gehen kann?
4. bullen, die erste hilfe an demonstrierenden leisten? noch nie gesehen. halt, stimmt doch nicht: wenn sie die nachher eh festnehmen wollten, dann manchmal (!)
5. gezielter einsatz mit vorwarnung? jeder kann sich entfernen? haha! guckt euch dresden-, göttingen-, stuttgart-, gorleben-, whatever-videos an, das ist ein witz! gerade dresden zeigt wieder, wie menschen einfach nur weg wollen und dann mit pfeffersprax eingedeckt werden.
6: dass es keine gezielten pfeffersprayeinsätze gibt, beweisen alle bilder, nicht nur die aus nds.
7. XXXXXX auf maul!
Auf den , der ja auch Gegenstand von Gerichtsverfahren ist, geht er nicht ein, oder? Interessant, spricht dort doch alles eindeutig gegen die Polizei.
@ mamabär
ich habe so was mal erlebt. da ist ein demo-teilnehmer zusammengebrochen (Kreislauf), wir mussten den behäbigen bullen-sani massiv nerven, eh der penner sich bequemt hat sein sanni- set auszupacken (penner ist keine beleidigung, sondern ein kompliment).
so richtig um die kollabierte person hat er sich net gekümmert. als wir ihm gesagt haben, er solle seine arbeit tun: „hetzen sie mich nicht“. ein anwesender medizinstudi sowie ein sanitäter die gerne geholfen hätten, haben die bullen nicht durchgelassen. in der zwischenzeit ist zum glück der rtw gekommen.
@ mamabär:
„bullen, die erste hilfe an demonstrierenden leisten?“
Habe ich schon gesehen, ist allerdings die absolute Ausnahme.
Medizinische Versorgung nach Pfefferspray- oder CS-Gas-Angriffen ist mir bisher seitens Polizei-Sanitäter_innen allerdings nie bekannt geworden.
Dann schon eher mitprügelnde Polizei-Sanitäter_innen: Bei CASTOR Schottern in Leitstade im November 2011 hat ein Polizei-Sanitäter gleich mal mit Hand angelegt und auf die Atomkraftgegner_innen mit eingeprügelt, siehe:
http://www.youtube.com/watch?hl=en&v=XfifHJWkXOA&gl=US
Pressemitteilung der GRÜNEN:
http://www.gruene-goettingen.de/presseinformationen-ab-oktober-2010/?no_cache=1&expand=340076&displayNon=1&cHash=3e19fb1f72f5f334206a56216f3207e9
Pressemitteilung von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN KV Göttingen vom 28. Februar 2011
Schünemann nimmt körperliche Verletzungen von Demonstrierenden in Kauf!
Zur Beantwortung der kleinen Anfrage des MdL Patrik Humke (LINKE) durch Innenminister Schünemann (CDU) im nds. Landtag erklärt der Kreisvorstand von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Göttingen:
Innenminister Schünemann versucht den Einsatz von Pfefferspray durch Beamt_Innen der BFE auf der Demonstration in Göttingen gegen staatliche Repression am 22. Januar bewusst herunterzuspielen, indem er betont, dass Pfefferspray erstens nach dem Polizeirecht nicht als Waffe gedeutet wird, zweitens „in Niedersachsen“ nie langfristige, körperliche Folgen aufgetreten sind und das Reizmittel solche Folgen bei gesunden Menschen auch nicht hervorrufen würde. Daraus folgert er dann auch, dass er die Verwendung dieses Zwangsmittels nicht einzuschränken braucht. Wir halten diese Argumentation im Angesicht von mindestens 30 Verletzten geradezu für zynisch.
Dazu Hans-Georg Schwedhelm, Sprecher des GRÜNEN Kreisverbandes: „Der Innenminister geht wohl davon aus, dass in Niedersachsen nur top-fitte und gesunde Menschen demonstrieren gehen und seine Polizist_Innen deswegen ruhig willkürlich mit Pfefferspray um sich sprühen könnten. Wenn doch mal ein_E Asthmatiker_In dazwischen sein sollte, dann scheint Herrn Schünemann das Risiko für diese_N, langfristige Atemwegsbeschwerden zu bekommen auch recht zu sein. Derart ignorant, auch schon gegenüber kurzfristigen Verletzungen zu sein, ist für einen Minister, der als Repräsentant staatlicher Gewalt das Grundrecht seiner Bürger_Innen nicht nur auf Demonstrationsfreiheit, sondern vor allem auch auf körperliche Unversehrtheit schützen soll, einfach unfassbar!“ Auch den Eindruck, gegen die Demonstration sei nicht mit Waffengewalt vorgegangen worden, kann sich Schünemann in seiner klein-klein Gesetzeslektüre schenken, denn auch vom Polizeigesetz als Waffen eingeordnete Schlagstöcke sind am 22. 01. ohne Rücksicht auf körperliche Verletzungen gegen die Demonstrierenden eingesetzt worden. Wie Videos zeigen, wurde Pfefferspray pauschal über die Menge der Demonstration hinweg gesprüht. Wie bei einem solchen Einsatz vom Innenminister davon ausgegangen werden kann, dass in der Menge jede_R gesundheitlich in der Lage ist, die Wirkung des Reizmittels einfach weg zu stecken, muss jedem rational denkenden Menschen unbegreiflich bleiben.
Bei seiner Lektüre der Gesetzestexte hat Schünemann zudem anscheinend die Grundsätze für den Einsatz von unmittelbarem Zwang überlesen, nämlich dass der Gebrauch von Zwangsmitteln angemessen und verhältnismäßig zu sein hat. In der Situation auf der Leinekanalbrücke war das Verletzen und in Kauf nehmen von langfristigen körperlichen Folgen, die laut einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags bei manchen Personen bis hin zur Lebensgefahr geht (siehe http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2010/pfefferspray.pdf), in keiner Weise angemessen. Hier hätte das einfache Zurückdrängen der Demonstrierenden oder der Rückzug der Polizist_Innen völlig gereicht, um das Ziel, die Situation friedlich aufzulösen, zu erreichen. Verhältnismäßig ist das Verletzten von Demonstrierenden in einer Situation, in der die Polizei selbst einen Konflikt auf einer Brücke provoziert hat, schon gar nicht. Das Gesetz schreibt zudem nach dem Einsatz von Zwangsmitteln wie Pfefferspray Erste-Hilfe-Maßnahmen durch die Polizist_Innen vor. Davon war in der Goethe-Allee am 22. 01. keine Spur! Die Verletzten mussten auf der Straße notdürftig von anderen Demonstrierenden versorgt werden.
Insgesamt wurde durch den Polizeieinsatz an diesem Tag die Brutalität des leider inzwischen standardmäßigen Vorgehens der Bereitschaftspolizei, insbesondere der BFE-Einheiten, klar. Es geht nicht um angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen, sondern um ausufernde Gewalt, mit der Teilnehmer_Innen von unliebsamen Demonstrationen gegängelt und abgeschreckt werden sollen. Wir fordern daher, dass jeder Einsatz von unmittelbarem Zwang standardmäßig durch die Staatsanwaltschaft kritisch und scharf auf Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit überprüft wird. Verstöße müssen konsequent Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung nach sich ziehen – wenn sich die jeweilige Beamt_In nicht ermitteln lässt, dann auch gegen die_den verantworliche_N Einsatzleiter_In. Außerdem muss Pfefferspray im Polizeigesetz als Waffe geführt werden, da die körperlichen Folgen des Einsatzes auch langfristig sein können. Die Verwendung dieser Waffe darf auf Grund ihrer Wirkung nicht standardmäßig zur Durchsetzung ordnungsschaffender Maßnahmen, sondern nur in eindeutigen Notwehr- oder Nothilfe-Situationen stattfinden.
http://www.hna.de/nachrichten/landkreis-goettingen/goettingen/innenminister-pfefferspray-gegen-demonstranten-angemessen-1141936.html